© imago images / Everett Collection

Passionen: „The Seventh Victim“

Der Thriller „The Seventh Victim“ (1943) ist ein wenig bekanntes Meisterwerk des Spannungskinos, in dem schockierende Momente mit schönen abwechseln.

Veröffentlicht am
09. Dezember 2020
Diskussion

Der Thriller „The Seventh Victim“ (1943) ist ein wenig bekanntes Meisterwerk des Spannungskinos. Regisseur Mark Robson setzt die Geschichte einer Frau, deren Schwester in die Hände von Satanisten gefallen ist, mit sparsamen Mitteln um und führt in eine Welt der verlorenen Seelen. Exemplarisch steht der Film auch für die Arbeiten des Produzenten Val Lewton, in denen schockierende Momente mit schönen abwechseln.


Manchmal gibt es Filme, in denen nicht viel passiert und auch gar nicht so viel zu sehen ist. Milchige Scheiben oder undurchdringliche Dunkelheit verwehren die Sicht, man muss genau zuhören, weil sich das Geschehen hinter geschlossenen Türen oder außerhalb des Bildes zuträgt. Ein Kino der Andeutungen und Aussparungen. Trotzdem ist man bis zum Schluss gebannt, überrascht und überwältigt. So ein Film ist „The Seventh Victim“ (1943) von Mark Robson.

„I runne to death and death meets me as fast, and all my pleasures are like yesterday“. Mit diesem Epigramm aus dem siebten „Holy Sonnet“ des englischen Dichters John Donne (1573-1631) beginnt und endet der Film, der – wie „Katzenmenschen“ oder „Ich folgte einem Zombie“ – zum elfteiligen Horror-Zyklus des legendären Produzenten Val Lewton gehört. Zwei Zeilen nur, die jedoch den Ton vorgeben. Es geht um Angst und Verzweiflung, vor allem aber um den Tod, der süße Erleichterung verschafft von der Unbill des Lebens und der Kälte der Welt, auch der Sinnlosigkeit der Existenz.


          Das könnte sie auch interessieren – andere „Passionen“:


Kim Hunter, die für ihre Stella Kowalski in „Endstation Sehnsucht“ (1951) einen „Oscar“ gewann, verkörpert Mary Gibson, eine junge Frau, die als Waise in einem katholischen Schulheim aufgewachsen ist. Zu Beginn des Films wird sie von den Nonnen darüber informiert, dass ihre ältere Schwester Jacqueline verschwunden ist und deswegen schon seit mehreren Monaten keine Schulgebühren mehr bezahlt wurden. Notgedrungen macht sich Mary auf nach New York, um ihre Schwester im Greenwich Village zu suchen.

Jean Brooks als Jacqueline (© imago images/Everett Collection)
Jean Brooks als Jacqueline (© imago images/Everett Collection)

„Don’t come back“, rät ihr eine Lehrerin beim Abschied. Ein kleiner Hinweis darauf, dass hier ein Lebensweg falsch verlaufen sein könnte. Schnell findet die junge Frau heraus, dass Jacqueline ein Hotelzimmer gemietet hat – doch dort steht nur ein Stuhl, darüber ein Galgen, der wie eine drohende Handlungsanweisung von der Decke baumelt. Des Rätsels Lösung: Jacqueline ist in die Hände einer Gruppe von Teufelsanbetern geraten, die sich heimlich treffen und ihre Mitglieder streng kontrollieren. Als Jacqueline ihrem Psychiater von der Existenz dieser Gruppe berichtet, wird sie von den Satanisten zum Tode verurteilt.


Hitchcock muss das gekannt haben

Keine Inhaltsangabe wird der unbequemen, beängstigenden Atmosphäre gerecht, die Regisseur Mark Robson hier etabliert. Das beginnt schon mit dem pompös-düsteren, verwinkelten Schulheim, dessen hohe, bemalte Fenster die Schüler förmlich zu erdrücken scheinen. (Das Treppenhaus ist übrigens das gleiche wie aus Orson Welles’ „Der Glanz des Hauses Amberson“, auch ein RKO-Film.) Später dann, im Großstadtdschungel von New York, wartet Robson mit einigen unvergesslichen Szenen auf, etwa dem Öffnen des Hotelzimmers. Später erfährt man in einem Dialog, dass Jacqueline öfter auf dem Stuhl Platz nimmt und die Erwartung des Todes auskostet. Dann gibt es Marys nächtliche Konfrontation mit zwei Killern, die in einer leeren U-Bahn eines ihrer Mordopfer unterhakend mitschleppen. Oder die ungebetene Besucherin, die Mary mit klaren Worten zum Einstellen ihrer Nachforschungen auffordert, während die junge Frau duscht. Vor dem milchigen Vorhang sieht man nur die schwarze, bedrohliche Silhouette der Satanistin; Alfred Hitchcock muss diese Szene gekannt haben, von der er sich später in „Psycho“ inspirieren ließ.

Mary ist in eine Welt voller verlorener Seelen und unglücklicher Zyniker geraten – eine freudlose Welt, die man ertragen muss. Robson drehte fünf Filme für Val Lewton, also mehr als Jacques Tourneur und Robert Wise. Über den Produzenten sagte er, dass die Methode des Geschichtenerzählens, die ihn Lewton lehrte, darin bestand, „nach einer schockierenden Szene in irgendetwas Schönes überzugehen. Seine Filme benutzten das Schöne, um Schrecken zu erzeugen.“ So auch hier.

Atmosphärisches Spiel mit Licht und Schatten (© imago images/Everett Collection)
Atmosphärisches Spiel mit Licht und Schatten (© imago images/Everett Collection)

Der Film ist eine halbe Stunde um, als es an Marys Zimmertür klopft. Es ist Jacqueline, die man jetzt endlich zum ersten Mal sieht. Doch sie hält sich nur den Zeigefinger an die Lippen, zum Zeichen des Schweigens, und knallt die Tür wieder zu. Schon ist sie weg. Was für ein Gänsehautmoment, zumal die Gesuchte erneut für 20 Minuten aus dem Film verschwindet. Sie ist eine ungemein schöne Frau; ihre glatten schwarzen Haare sind an der Stirn zu einem akkuraten Pony gebändigt, so dass die Frisur das Gesicht zu rahmen oder wie ein Helm zu schützen scheint. Ein bisschen erinnert das an Elizabeth Taylor in „Cleopatra“. In jedem Fall ist sie eine „bellissima madonna“, wie die Köchin eines italienischen Restaurants mit dem sprechenden Namen „Dante’s“ sagt. Später wird Jacqueline nachts eine spärlich erleuchtete Straße entlanggehen, so wie die Hauptfigur in „Katzenmenschen“. Schnüffelnde Hunde, ein knutschendes Liebespaar und ein verdächtiger Mann erschrecken sie – bis eine fröhliche Theatergruppe sie aus der Dunkelheit reißt. Dann gibt es auch noch die Szene, in der die Satanisten sie zwingen wollen, einen Giftcocktail zu trinken – ohne Gewalt anzuwenden. Wie sich Jacqueline hier windet, den Tod fürchtet und ihn gleichzeitig herbeisehnt, wird von Jean Brooks überwältigend gespielt.


Wie ein Faustschlag

Es sind Momente wie diese, von Robson sparsam und effektiv inszeniert, die „The Seventh Victim“ so beängstigend machen. Ausgeleuchtet und fotografiert von Nicholas Musuraca, der schon „Katzenmenschen“ fotografiert hat, ist „The Seventh Victim“ ein meisterliches Spiel von Licht und Schatten. Dabei hat Val Lewton darauf geachtet, dass jede Stimmungsschwankung, jede Veränderung eines Charakters schon im Drehbuch enthalten war. Es ist fast ein existenzialistischer Film, in dem es um freien Willen und Schicksal geht, um Lebensüberdruss und Todessehnsucht. In diesem Sinne sind auch die Worte von Jacquelines Zimmernachbarin zu verstehen, einer Prostituierten (Elizabeth Russell), die an nichts anderes mehr denken kann als an den nahen Tod: „I’ve been quiet, oh, ever so quiet. I hardly move, yet it keeps coming all the time, closer and closer.“ Das ist aber noch nicht das Ende des Films. Robson und Lewton setzen noch eins drauf, in dem wohl lakonischsten, deprimierendsten und finstersten Schluss, den das Hollywoodkino kennt. Er trifft den Zuschauer wie ein Faustschlag, unvorbereitet und knallhart.

Das zeitgenössische Publikum fand „The Seventh Victim“ eher schrecklich als erschreckend. Vielleicht ist das der Grund, warum der Film nie im deutschen Kino lief und noch nicht auf DVD erschienen ist, im Gegensatz zu Ländern wie Italien, England, Frankreich und Spanien. Alle ausländischen Fassungen können bei amazon.de bestellt werden, nicht zu vergessen die Val-Lewton-Boxen aus Spanien und den USA.

Auf der Suche nach ihrer Schwester: Kim Hunter (links) als Mary (mit Isabel Jewell) (© imago images/Everett Collection)
Auf der Suche nach ihrer Schwester: Kim Hunter (l.) und  Isabel Jewell (© imago images/Everett Collection)


Hinweis:

The Seventh Victim. Schwarz-weiß. USA 1943. Regie: Mark Robson. Mit Kim Hunter, Tom Conway, Jean Brooks. 71 Min. Anbieter: Amazon.

Kommentar verfassen

Kommentieren