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Im Spiegel: Das Tier in mir

Tiere auf der Leinwand oder im Fernsehen sind omnipräsent. Das sagt nicht nur viel über die Zuschauer aus, sondern geht auch mit radikalen ästhetischen und narrativen Veränderungen einher. Beobachtungen über ein Genre, in dem sich das ambivalente (Selbst-)Verhältnis der Menschen zu ihren nächsten Verwandten spiegelt

Veröffentlicht am
19. Mai 2020
Diskussion

Es vergeht kein Tag, ohne dass in den Medien Tiere zu sehen wären. Das steht in einem krassen Missverhältnis zum dramatischen Rückgang der Artenvielfalt. Auch hat sich die Weise, wie Tiere gefilmt werden, grundlegend geändert. Statt geduldiger Beobachtung mit dem Teleobjektiv dominieren Drohnenkameras und High-Tech – plus ein Schuss Pornografie.


„Ich muß aufrichtig gestehn: der Anblick jedes Thiers erfreut mich unmittelbar [,]

und mir geht dabei das Herz auf; […]“ (Arthur Schopenhauer)

Es vergeht kaum ein Tag ohne Bilder von Tieren: sich zankende Katzen auf dem Smartphone, ein zotteliger Hund in der Werbung, majestätische Schwärme unbekannter Vögel im dritten Programm, neugeborene Baby-Pandas auf den Titelseiten, auf der Straße tollende Wildschweine in Kleinstädten in den Abendnachrichten und traurige Esel im gewählten Film des Abends. Welch ein Glück, denn draußen in der sogenannten echten Welt flüchtet die so bewegende Tierwelt panisch vor unseren Blicken, wenn wir sie nicht schon lange verjagt, ausgerottet oder domestiziert haben.


Macht hat, wer das Bild macht

Die Geschichte der Beziehung zwischen Mensch und Tier lässt sich als eine Geschichte beschreiben, in der Menschen Bilder von Tieren machen wollen: die Höhlen von Lascaux, Kriegsbemalungen, gestickte Muster auf Kleidern oder Wandteppichen, Triumphfotos neben der toten Giraffe auf Safari, ein Bild des inneren Wahnsinns, wenn der besessene Kapitän seine Harpune in den Rücken des weißen Wals rammt, Alben des Familienglücks mit verdutzen Hunden, Instagram-Profile mit goldenen Riesensteaks, aufreizende Posen unter Blitzlichtgewitter im Pelzmantel, aufgespießte Schmetterlinge hinter Glasvitrinen zur Erforschung, genau wie Sender an den Flügeln von Zugvögeln, um zu sehen, wohin sie fliegen oder wie sie leben, dazu ein Schnappschuss vom spuckenden Kamel.

Spektakuläre Aufnahmen: "Die Wiese" von Jan Haft
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Nicht alle Bilder schaden, aber alle Bilder erzählen von einer Ungleichheit. Denn es gibt immer ein Lebewesen, das die Bilder macht und andere, die zu Bildern werden. Macht hat, wer das Bild macht. In seinem verstörenden Film „Zoorichtet der Dokumentarist Frederick Wiseman die Kamera gleichermaßen auf Menschen und Tiere, sodass man stellenweise nicht mehr weiß, wer wen betrachtet. Um bestimmte Tiere in freier Wildbahn zu filmen, etwa die beinahe ausgestorbene schottische Wildkatze, bauen Filmemacher Fallen auf. Das Tier löst die Kamera aus, wenn es an einem Draht hängenbleibt oder einen Zaun bewegt. Das Monitoring des Tiers ist ein Akt der Hilfe, aber es fällt auf, dass die gleichen Mechanismen greifen, egal ob man es töten oder fotografieren will. Dieser Zusammenhang zwischen Bildern und „schießen“ existiert immer, bei Tieren ist er aber frappierender, denn auf Tiere wird öfter geschossen.


Tierfilmer sind Jäger

Tierfilmer sind Jäger. Wer auch immer ein Tier unbemerkt filmen kann, könnte es auch erschießen. Doch statt am Fleisch, am Fell oder sonstigen Trophäen sind diese Kameras an einer Illusion interessiert. Es ist die Illusion eines Wildlebens. Dabei ist egal, ob es sich wirklich um ein Leben in der Wildnis handelt oder um heimlich in die Filme geschnittene Aufnahmen aus dem Zoo, Bilder aus Aquarien oder gar aus Filmstudios. Man muss an den surrealistisch angehauchten Tierfilmer Jean Painlevé denken, der einmal schrieb, dass die Entscheidung über die Beleuchtung einer Szene bei ihm eine Entscheidung über Leben oder Tod seiner Protagonisten (meist Unterwassergetier) wäre. Es soll nicht verschwiegen werden, dass die Lage auf dem Arbeitsmarkt mit den wenigen Fernsehsendern, die große Produktionen in Auftrag geben, auch für die Filmenden existenzbedrohlich ist.

Ausgesuchte Bildästethik: "Die Farbe der Sehnsucht" von Thomas Riedelsheimer
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Während das Kulturangebot im Fernsehen selbst in Zeiten einer Pandemie gekürzt wird, erfreuen sich die Tierfilme ungebrochener Beliebtheit. Dabei ist die Konkurrenz online spürbar größer geworden (Stichwort „Cat Content“), und auch aus dem Kino gab es in den vergangenen Jahren vermehrt Vorstöße ins Reich der Tiere. Zugespitzt könnte man sagen, dass kaum noch ein Film ohne Tier auskommt. Der französische Filmemacher Jean Renoir formulierte einmal, dass jeder gute Film eine Katze zeigen müsse, und seine obsessiv scherzende Maxime ist inzwischen zur Regel geworden. Das gilt von Mainstreamfilmen bis zum Festivalkino gleichermaßen. Tiere ziehen, sie können identifikatorisch, symbolisch, komisch oder als Erinnerung an die Natur eingesetzt werden. Ein Tier hat schon so manchen schlechten Film gerettet.


Action-, Reise- und Lehrfilm – plus ein Schuss Pornografie

Tiere sind Spektakel, sie liefern den reinen Schauwert, der sonst vielem im Kino abhandengekommen ist. Das gilt auch für das Fernsehen, wo die Tiere in großer Häufigkeit Hauptrollen spielen. Vor allem auf Kultursendern erfreut sich das Format der Tierdokumentation nach wie vor großer Beliebtheit. Dabei muss man betonen, dass sich das Genre in den letzten Jahren sehr gewandelt hat. Das könnte auch daran liegen, dass es sich leicht mit verschiedenen anderen Genres verknüpfen lässt. Eine Tierdokumentation ist meist auch ein Actionfilm, Reisefilm, Porträt verschiedener Orte oder Institutionen, ein Lehrfilm und eine mantra-artige Wiederholung der Schönheit, Einzigartigkeit und Schützenwertigkeit der Erde.

Die Dokumentationen liefern Bilder, die man nur aus diesen Filmen kennt. Sie setzen auf unzählige Top-Shots, extreme Nahaufnahmen, stilisierte Narrationen und extrem überzogene Musik. Zeitgenössische Tierfilme und Pornografie weisen einige Parallelen auf. Der entscheidende Unterschied ist, dass es in der Pornografie um eine Verunmenschlichung geht und im Tierfilm um eine Vermenschlichung. Das Verhalten der Tiere wird in der Mehrzahl der ausgestrahlten Produktionen mit Menschen verglichen, und je mehr der Filme man sieht, desto eher versteht man, dass es hierbei darum geht, dass der Mensch versucht, ein Bild von sich selbst zu machen. Das ist keine besonders originelle Feststellung, sie beseelt Tierfilme seit mehr als einem Jahrhundert. Sie wird nur dann problematisch, wenn sie zu einer Verniedlichung ausholt, die von Tieren erwartet, wie Menschen zu sein. Dann beginnen diese Bilder, unser Verhältnis zu Tieren weiter zu stören.


Die unbedingte Nähe, das große Spektakel

Einer der ganz großen Stars der Tierfilmerszene ist David Attenborough. Mit seiner „Life Series“ und „Planet Earth für die BBC hat er weltweit Fernseh- und Naturgeschichte geschrieben. Bei allem gebührenden Respekt für die bisweilen inspirierenden und außergewöhnlichen Arbeiten hat er damit auch eine Richtung vorgegeben, der Fernsehsender heute blind folgen. Statt geduldiger und realistischer Bilder der Tiere gibt es reißerische Inszenierungen mitsamt plumper Narrationen. Die Tiermütter, die ihre Töchter retten müssen, die verlorenen Kinder auf der Suche nach der eigenen Familie oder die zwei Streithähne im Kampf um den Thron sind klassische Narrationen des Tierfilms.

Ein Star der Tier- und Naturdokus: Richard Attenborough (1979, bei "LIfe on Earth")
Ein Star der Tier- und Naturdokus: Richard Attenborough (1979, bei "LIfe on Earth")

Naturgetreue Formate wie „Tiere vor der Kamera“ (ab 1974) von Hans Schweiger und Ernst Arendt sind größtenteils passé. Statt der großen Entfernung, der Demut vor dem Tier, dem Wunder, es überhaupt zu erhaschen, gibt es heute die unbedingte Nähe, das Spektakel, die Action. Das Teleobjektiv wurde von Drohnen und Kränen abgelöst. Die Frage, ob es für eine Büffelherde eine Rolle spielt, ob sie aus einigen hundert Metern Entfernung aus dem Gebüsch mit einem Teleobjektiv beobachtet werden oder ob eine Kamera über ihren Köpfen fliegt, beantwortet sich von selbst.

In Attenboroughs Erzählungen gibt es immer einen Sinn für das Wunder, das Erhabene. Seine Lösung, um Bilder von Tieren zu machen, besteht darin, Bilder zu konstruieren. Was von manchen als Lüge bezeichnet wird, ist womöglich auch eine Strategie, die Tiere nicht zu gefährden. Als Roberto Rossellini in einigen selbstgebauten Aquarien seinen Film „Fantasia sottomarina (1940) drehte, tötete er dafür jeden Tag mehrere Fische. Die Fische sollten allerdings lebendig wirken, weshalb er ihre Mägen mit Schrotkügelchen füllte, sodass sie möglichst waagrecht im Wasser schwammen. Es gibt Filme, von denen man nicht behaupten kann, dass beim Dreh keine Tiere verletzt oder getötet wurden. Und man kann in den meisten Fällen, wenn Tiertrainer mit Filmtieren an Drehorten erscheinen, nicht ernsthaft von einem guten Umgang mit Tieren sprechen. Die dressierten Tiere agieren wie Zombies; ihr Leben wird ausgelöscht für ein Bild, genau wie bei den Fischen von Rossellini.


Mit den Bildern ändert sich das Verhältnis zu den Tieren

Mit unserem Verhältnis zu den Bildern von Tieren verändert sich auch das Verhältnis zu den Tieren. Es gibt heute so viele Bilder von Tieren wie nie zuvor und gleichzeitig einen dramatischen Rückgang in der Artenvielfalt der Erde. Bilder von Tieren werden immer existieren. Das ist auch gut so. Doch inzwischen haben wir erkannt, dass ein Bild nicht um jeden Preis gemacht werden darf. Es liegt auch an uns, den Preis eines Bildes im Bild zu erkennen. Nur dann können wir uns kritisch damit auseinandersetzen.

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