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Malicks Märtyrer

Zum Kinostart von "Ein verborgenes Leben": Wie Terrence Malick die historische Figur des NS-Widerständlers Franz Jägerstätter in sein filmisches Werk integriert

Veröffentlicht am
02. April 2020
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In „Ein verborgenes Leben“ stellt Terrence Malick den Widerstand des tiefgläubigen österreichischen Bauern Franz Jägerstätter gegen den Nationalsozialismus bis zur Hinrichtung dar. Sein Interesse kommt nicht von ungefähr: Jägerstätters Christentum und sein naturnahes Umfeld fügen sich schlüssig in Malicks eigene religiöse Auseinandersetzungen ein.


Franz Jägerstätter war ein frommer Mann. Er wurde am 9. August 1943 hingerichtet, weil er nicht für das nationalsozialistische Deutschland in den Krieg ziehen wollte. Die katholische Kirche, der Jägerstätter angehörte, hätte das nicht von ihm verlangt. Es war sein Gewissen, das ihn dazu bewog. Und seine Frau Franziska trug diesen Entschluss mit, auch wenn sie damit ihren innig geliebten Ehemann und den Vater der drei gemeinsamen Kinder verlor. Sie wusste auch, dass sie sich damit in eine kritische Distanz zu den Menschen in ihrer Lebenswelt begab. Denn wenn der Entschluss von Franz Jägerstätter als vorbildlich begriffen wurde, dann hatten alle Nachbarn und Bekannten, von denen viele der Einberufung in die Wehrmacht selbstverständlich Folge leisteten, falsch gehandelt. Damit wurde der Fall Jägerstätter nach dem Krieg unmittelbar zu einem Thema der Vergangenheitsbewältigung.

Der amerikanische Regisseur Terrence Malick trug sich schon lange mit dem Gedanken, die Geschichte von Franz Jägerstätter zu verfilmen. 1964 war in den USA ein Buch dazu erschienen: „In Solitary Witness: The Life and Death of Franz Jägerstätter“ von Gordon C. Zahn. Seither war der Name in den Kreisen der amerikanischen Friedensbewegung geläufig.


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Der Film „Ein verborgenes Leben, der im Frühjahr 2019 nach einer ungewöhnlich langen Produktionszeit von drei Jahren in Cannes Premiere hatte und nun in die Kinos kommt, lässt sich nun durchaus auch als eine Summe von Terrence Malicks Kino insgesamt sehen. Jägerstätter wurde für den amerikanischen Regisseur zu einer Figur, in der er seine eigenen Anliegen verkörpert sehen kann. Handelt es sich dabei um ästhetische, oder eher um politische Anliegen, oder vielleicht sogar religiöse?

Die Malick-Kosmologie

Die Antwort auf diese Fragen wird auch „Ein verborgenes Leben“akzentuieren: denn Malick geht es darin nicht so sehr darum, der Figur von Franz Jägerstätter im Sinn eines Biopics gerecht zu werden, sondern er macht den oberösterreichischen Widerstandskämpfer zu einem Repräsentanten der spezifischen Malick-Kosmologie, die sich im Lauf der Jahre seit seinem ersten Film „Badlands(1973), in einem engeren Sinn jedoch erst seit „Der schmale Grat“ (1998) entwickelt.

Man kann dabei „The Tree of Life“ (2011) als Schlüssel nehmen: Franz Jägerstätter wird, ähnlich wie der junge Jack O’Brien, zu einer Frucht einer Wachstumsbewegung, in der sich die Bewegung des Menschen aus der Natur heraus und zu ihr zurück nachvollziehen lässt. Gerade als Bauer ist Jägerstätter für Malick relevant: ein Mann, der Natur und Kultur verbindet, der nicht nur den Baum, sondern auch die Felder des Lebens bewirtschaftet.

August Diehl in "Ein verborgenes Leben"
August Diehl in "Ein verborgenes Leben" (© Pandora)

Die Motive von Jägerstätter im engeren Sinn werden in „Ein verborgenes Leben“ weitgehend übergangen. Das hat wiederum damit zu tun, dass Malick keinen historischen Fall erzählen möchte, sondern eine Parabel. Hätte er sich stärker auf die konkreten Umstände eingelassen, hätte er vor allem bei Erna Putz nachlesen müssen, die mit ihrer Jägerstätter-Biografie „Besser die Hände als der Wille gefesselt“ (1987) die wesentlichen Aspekte herausgearbeitet hat.

Die Widersprüchlichkeit im Widerstand

Putz erzählt eine zweifache Geschichte: von Jägerstätter selbst, von seinen Beziehungen und Überlegungen. Für einen einfachen Bauern sind vergleichsweise relativ viele Dokumente überliefert, neben Briefen (die Malick verwendet) auch Selbstreflexionen. Diese persönlichen Angelegenheiten setzt Putz in Verbindung mit kirchenpolitischen Bemühungen aus dieser Zeit. Eine Stellungnahme des Linzer Bischofs Gföllner ist in diesem Zusammenhang sehr aufschlussreich: „Der nationalsozialistische Rassenstandpunkt ist mit dem Christentum völlig unvereinbar ... Das jüdische Volk nur wegen seiner Abstammung verachten, hassen und verfolgen, ist unmenschlich und antichristlich. .... Verschieden allerdings vom jüdischen Volkstum und von der jüdischen Religion ist der jüdische, internationale Weltgeist. Zweifellos üben viele gottentfremdete Juden einen schädlichen Einfluss auf fast allen Gebieten des modernen Kulturlebens.“ Die Zurückweisung der NS-Rassenpolitik ist also selbst rassistisch imprägniert.

Selbst bei Franz Jägerstätter, der eine bemerkenswerte intellektuelle Unabhängigkeit an den Tag legte, gibt es noch Spuren dieser Widersprüchlichkeit: „Ich glaub, es ist (bei der österreichischen Volksabstimmung 1938 über den Anschluss an NS-Deutschland) nicht viel anders zugegangen als am Gründonnerstag vor mehr als 1900 Jahren, wo man dem jüdischen Volke freie Wahl gegeben hat zwischen Christus, dem unschuldigen Heiland, und dem Verbrecher Barabas, auch damals hatten die Pharisäer Geld ausgeteilt unter das Volk, um fest zu schreien, um diejenigen, die noch zu Christus gehalten, irrezuführen und einzuschüchtern.“ Das Ressentiment gegen die Pharisäer ist ein Topos des christlichen Antijudaismus.

Jägerstätter sah im Nationalsozialismus eine „antichristliche Volksgemeinschaft“, aus der er sich durch Treue zu „unserem lieben Heiland“ ausnehmen wollte. Immer wieder stellt er „diese schlimme Menschenfurcht“ gegen eine Gottesnähe, die intensiv mit Jenseitshoffnungen und Sühnelogiken verbunden war. Er war aber auch ein aufmerksamer Beobachter und wusste die Geschehnisse einzuordnen: Im niederösterreichischen Ybbs, wo es eine „sehr große Irrenanstalt“ gab, „sollen sich (...) sehr traurige Dinge abgespielt haben“.

Klarer Standpunkt gegen den Nationalsozialismus

Und 1942/43, als Jägerstätter schon jederzeit mit der Einberufung rechnen musste und sich auf seinen Widerstandsakt geistig vorbereitete, notierte er: „Welcher Katholik getraut sich, diese Raubzüge, die Deutschland schon in mehreren Ländern unternommen hat und noch immer weiterführt, für einen gerechten und heiligen Krieg zu erklären?“ Die Anspielung auf christliche Rationalisierungen der jesuanischen Gewaltlosigkeits-Ethik zeugt davon, dass er immer wieder mögliche Gegenargumente gegen seinen einsamen Entschluss in Betracht zog. Aber am Ende war der christliche Glaube für ihn Orientierung genug, um gegenüber dem Nationalsozialismus und der Kriegs- und Vernichtungspolitik einen klaren Standpunkt zu beziehen.

Klare Haltung gegen den NS-Staat: Eine Szene aus "Ein verborgenes Leben" (mit August Diehl und Bruno Ganz)
Klare Haltung gegen den NS-Staat: Eine Szene aus "Ein verborgenes Leben" mit August Diehl und Bruno Ganz (© Pandora)

Bei Putz wird nicht zuletzt deutlich, dass Jägerstätter zwar eine einsame Entscheidung traf, dass er aber nicht allein war. Er hatte Kontakt zu anderen Verweigerern, er wusste auch von Mitgliedern der Zeugen Jehovas, die man damals „Bibelforscher“ nannte, und die für ihre Überzeugung ebenfalls in den Tod gingen. Jägerstätter war für die Verhältnisse eines österreichischen Katholiken ebenfalls ein Bibelforscher. Das Studium der entsprechenden Texte, dem die katholische Kirche insgesamt bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil eher wenig Vorschub leistete, war für Jägerstätter von zentraler Bedeutung.

Jägerstätters Einpassung in Malicks religiöses Weltbild

Es ist vor allem dieser Aspekt der Gewissensentscheidung, den Malick in seinem Film unterrepräsentiert. Und zwar aus guten Gründen: diese Facetten von Jägerstätter passen nicht zu dem religiösen Weltbild, das Malick selbst mit seinen Filmen entwirft und für das er die Geschichte von Jägerstätter passend macht. Die Religiosität von Malicks Filmen ist dabei mindestens so sehr Form wie Diskurs. Sie drückt sich in den Weitwinkelaufnahmen aus, in der gleitenden Kamera, in der Verwebung von Stimmen und atmosphärischen Eindrücken und Musik zu einer komplexen Bild-Ton-Spur, die immer nur zum Teil erzählerische Aufgaben erfüllt. Das kosmogonische Interesse, das ihn dabei bestimmt, hat er mit „The Tree of Life“ offengelegt; das zivilisationshistorische Interesse wurde mit seinen beiden Paradieserzählungen deutlich: „Der schmale Grat“ und „The New World“.

Malicks Filme suchen nach einer Unmittelbarkeit, die in einem religiösen Verständnis mit dem Naturzustand vor dem Sündenfall zu assoziieren wäre. Er weiß allerdings, dass er diese Unmittelbarkeit nur als filmischen Effekt erreichen kann – in Form einer „zweiten“ Natürlichkeit, die er durch seinen Stil zu suggerieren versucht. Das Zwiegespräch des Ehepaars Jägerstätter wird damit eingebettet in ein „Gespräch“, das die Menschen mit der Schöpfung insgesamt zu führen scheinen, und nicht nur mit Worten, sondern auch mit Gesten und handwerklichen Verrichtungen, und mit Bewegungen, die wie eingegeben durch die Elemente wirken.

Paradise Lost: "The New World"
Paradise Lost: "The New World" (© Warner)

Malick hat den Schauplatz sicher auch aus Gründen der visuellen Attraktivität aus der eher unscheinbaren Flachlandgemeinde Radegund in Oberösterreich in eine alpine Gegend verlegt, in der die Menschen, zugespitzt gesagt, dem Erhabenen näher sind – es ist ein alter Topos der Religionsgeschichte, dass die Götter auf Gipfeln wohnen. Jägerstätter wird bei Malick zu einem inspirierten Menschen, allerdings nicht so sehr von dem Heiligen Geist, dem sich nach Meinung des christlichen Glaubens auch die biblischen Schriften verdanken, sondern inspiriert von einer Naturnähe, die den Sündenfall zwar nicht aufheben kann, die ihn aber an dem Beispiel eines besonderen Akts der Dissidenz schmerzlich vor Augen führt. Jägerstätter ist kein neuer Jesus, sein Tod hat keine erlösende Wirkung, aber er macht mit seiner Entscheidung die Differenz zwischen Heil (Leben mit den Jahreszeiten, mit dem Säen und Ernten, in der Kontemplation des Heilands Jesus) und dem Unheil (Volksideologie, Rassenwahn, Spaltung und Krieg) deutlich.

Der religiöse Naturzustand und die tödliche Zivilisation

Malick hat diese Spannung zwischen einem religiös aufgeladenen Naturzustand und tödlicher Zivilisation am deutlichsten in „Der schmale Grat“ herausgearbeitet. Amerikanische Soldaten im Zweiten Weltkrieg treffen auf japanische Feinde und auf Ureinwohner einer Südseeinsel und machen die Erfahrung einer potenziellen „Erlösung“, bevor die Schlacht beginnt, die nur aufgeschoben war. Schon damals gab es Ansätze zu einem filmischen Weltbild, das ich als „pneumatisch“ bezeichnen würde: die Stilmittel des Kinos dienen Malick dazu, die Erzählung auf eine Dimension zu öffnen, die man christlich als Geistdurchwirktheit bezeichnen könnte. Er meint aber nicht nur den Heiligen Geist aus der Trinität, sondern einen Heiligen Geist, den er mit seinen Ton-Bild-Gemälden beschwört – ein ästhetisches Pneuma, das auch den Abstand zu genuin religiösen Erfahrungen markiert.

Malicks Religion ist in bester romantischer Tradition eine ästhetische. In „Ein verborgenes Leben macht er das an einer Stelle besonders sichtbar: Er erfindet einen Maler, der die Fresken in der Kirche von Radegund (der Name der Ortschaft war viele Jahre lang der Arbeitstitel des Films) restauriert. Die Szene könnte beziehungsreicher nicht sein. Sie verweist einerseits auf Andrej Rublow, also auf den Maler, mit dem das subjektive Bewusstsein eine ältere Tradition des „heiligen Bilds“ (namentlich der russischen Ikonen) erfasste. Sie verweist aber natürlich auch auf Tarkowskis Film über Andrej Rublow, und damit auf einen Versuch, dieses subjektive Bewusstsein mit der Kraft des heiligen Bilds zu versöhnen, um es gegen die Bedrohungen der Moderne zu wappnen, vor allem gegen den Totalitarismus. Mit Rublow kommt ein Faktor in die Geschichte der Bilder, dem auf einer anderen Ebene das Gewissen entspricht – ein bedeutender Aspekt der neuzeitlichen Bewegung, die schließlich dazu beitrug, die Menschen autonom zu machen.

Franz Jägerstätter hat diese Gewissensfreiheit christlich-biblisch interpretiert, als intimen Akt, den er mit seinem Heiland und seine Frau ausmachte. Für Malick wird er aber zu einer Epochenfigur, wie Andrej Rublow es für Tarkowski war: ein Mensch, der die größte Autonomie findet, indem er sich einem transzendenten Prinzip überantwortet. Dieses transzendente Prinzip aber löst Malick zugleich auf in seine ästhetische Religion. So wird Jägerstätter zu einer paradoxen Figur eines Märtyrers, der mit seinem (historisch gesehen) unhintergehbaren, in der persönlichen Konsequenz eindeutigen Akt vor allem die künstlerische Ambivalenz dessen bezeugt, der ihn hier in Erinnerung ruft.

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