Sind filmische Versuche, sich der Gestalt Jesus Christus anzunähern, von vornherein zum Scheitern verurteilt? Der Theologe Matthias Wörther verortet die Frage in den historischen Entwicklungen des Jesusbildes und sieht in der Vielfalt der filmischen Jesus-Figuren ein großes Plus, weil sie Einsichten in zeitgeschichtliche, theologische und anthropologische Voraussetzungen der jeweiligen Filme liefert.
Vor einiger Zeit hat der Filmkritiker Georg Seeßlen im „Chrismon“-Magazin unter dem Titel „It’s very Oberammergau“ Reflexionen zum Genre Jesusfilm veröffentlicht. „Es gibt eine Gestalt, die zugleich Gott und Mensch ist, Jesus Christus. Er ist nicht von jedem ein bisschen, sondern beides vollkommen. – Hier gilt das Abbildungsverbot, und es herrscht der Bilderdrang“, heißt es darin. An dieser Aussage ist manches richtig, wenn sie richtig verstanden wird. Aber sie richtig zu verstehen ist gar nicht so einfach. Tatsächlich definierte ein Konzil in Chalcedon im Jahr 451, dass Jesus „wahrer Gott und wahrer Mensch“ sei. Hinter dieser Formel steckte der Versuch, sich von bestimmten theologischen Auffassungen über „Göttlichkeit“ abzugrenzen und zugleich eine bestimmte Vorstellung vom Menschen zu verteidigen. Um ein „Abbildungsverbot“ ging es erst deutlich später, im byzantinischen Bilderstreit des 8. und 9. Jahrhunderts und dann noch einmal sehr heftig während der Reformationszeit. Das gelassene Verhältnis der alten Kirche gegenüber Bildern wurde schon im 8. Jahrhundert unter Bezug auf Johannes von Damaskus etabliert und dann in der Gegenreformation erneut bestätigt. Salopp gesagt: Bilder von Gott, Jesus, Maria oder den Heiligen sind kein Problem, solange die Gläubigen sie als das wahrnehmen, was sie sind: nämlich Bilder. Sie verweisen auf das Eigentliche, sind es aber nicht.
Es ist weder ein Problem, dass es so viele Jesusfilme gibt, noch dass sie so unterschiedlich sind
Sie dürfen deshalb auch unterschiedlich ausfallen, was sich ja schon im Neuen Testament zeigt. Dort gibt es mindestens fünf nicht einfach zur Deckung zu bringende „Jesusbilder“, nämlich die von Matthäus, Markus, Lukas, Johannes und Paulus. Seeßlens Behauptung, dass jede Abweichung des Bildes vom Text verboten sei, ist damit ziemlich unscharf. Um welche Abweichung von welchem Text soll es denn gehen? Und wer verbietet wem was?
Auch der „Bilderdrang“ bedarf der Präzisierung. „Bilderdrang“ kann ja nichts anderes meinen, als die auf die sinnliche Wahrnehmung angewiesene prinzipielle Rezeptions- und Ausdrucksfähigkeit des Menschen. Es gibt keine Erkenntnis ohne Anschauung. Wenn Gott also tatsächlich Mensch wurde und sich „inkarniert“ hat, trat er in der Gestalt von Jesus in den sinnlichen (und geschichtlichen) Wahrnehmungsraum der Menschen ein. Dass die Menschen ihn dann durch die Zeiten und Kulturen hindurch in unterschiedlichster Weise bildlich repräsentieren, darf durchaus als Verlängerung dieses Geschehens gesehen werden. Wenn Jesus in Afrika als Afrikaner dargestellt wird, ist das keineswegs ein Verstoß gegen die biblischen Aussagen über Jesus. Im Gegenteil: Besser kann „Inkarnation“ und „Inkulturation“ der neutestamentlichen Aussagen und der dogmatischen Lehre vom „ganz Gott und ganz Mensch“ gar nicht veranschaulicht werden.
Man sollte also (selbst als Theologe) mit Jesusfilmen keine größeren Schwierigkeiten haben. Es ist weder ein Problem, dass es so viele gibt, noch dass sie so unterschiedlich sind. Manche sind gut, andere sind schlecht. Sofern sie (kirchliche, kulturelle) Darstellungstabus in Frage stellen, betreiben sie im positiven Fall konstruktive Kritik am Hergebrachten. Sie arbeiten sich, wie ein Gutteil der europäischen Bild- und Kunstgeschichte, am Verständnis und an der Interpretation der christlichen Erzählung ab, die Gott und Mensch in ein bestimmtes Verhältnis setzt. Es besagt: Menschen haben eine Dimension, die über sie hinausweist (etwas „Göttliches“), und Gott besitzt seinerseits eine weltliche Dimension (er ist Mensch geworden). Was an dieser Bestimmung produktiv wirkt, ist die festgestellte Differenz zwischen Mensch und Gott (Menschen, die sich für Götter halten, interpretieren sich falsch), sowie die behauptete Identität des Menschlichen und des Göttlichen (wer die göttliche Dimension des Menschen nicht wahrnehmen kann, denkt den Menschen zu gering).
Wie viel Gott und wie viel Mensch stecken in einem Jesusfilm?
Betrachtet man Jesusfilme unter der Perspektive dieses Zuordnungsmodells, kann man interessante Einsichten gewinnen. Beginnen wir mit „König der Könige“ (1960) von Nicholas Ray. Die göttliche Dimension Jesu Christi wird hier im Sinne von überlegener Macht verstanden: Jesus, ein großer Einsamer, predigt bei den Seligpreisungen von der Bergspitze auf die Menschenmassen hinab. Je bombastischer der begleitende Soundtrack, umso mehr Göttlichkeit wird behauptet. Doch diese göttliche Macht bleibt, ungeachtet der Passion, ohne Bezug zu den Menschen. Gott und Mensch sind voneinander getrennt. Im Grunde kann Jesus gar nichts passieren, egal was ihm passiert.
Pier Paolo Pasolini stellt dagegen in „Das 1. Evangelium – Matthäus“ (1964) vor allem den Sozialrevolutionär heraus, getrieben von einem brennenden Idealismus. Das Göttliche an diesem Menschen kommt allenfalls in der konventionellen und mit klassischer Musik unterstützten Auferstehungssymbolik am Ende zum Ausdruck. Doch sie hat keine wirkliche Bedeutung für die Menschen. Noch weniger Transzendenzbezug bietet der eine Zeitlang in der Religionspädagogik gerne eingesetzte „Jesus von Montreal“ von Denys Arcand. Das muss der Film auch gar nicht, weil „Jesus“ in der filmischen Fiktion hier ein Schauspieler bleibt, der sich in extremer Weise mit den Anliegen des biblischen Jesus identifiziert. Dennoch: Seine „Auferstehung“, nämlich die Nutzung seines Leichnams als „neues Leben“ spendendes Organdepot, verzichtet völlig auf eine wie auch immer geartete Rede von Gott. War Jesus bei Nicholas Ray in einem bestimmten Sinn nur „Gott“, so ist er bei Denys Arcand nur „Mensch“.
Im skizzierten Raster, das von der Überhöhung Jesu als „Superman“ über die konventionelle, meist an den Evangelien orientierten Darstellung der als göttlich betrachteten Aspekte (Heilungen, Wunder, Auferstehung) bis zum völligen Verzicht auf einen Gottesbezug reicht, lassen sich alle Jesusfilme einordnen. Theologisch gesprochen vertreten sie entweder einseitige Positionen (nur Gott, nur Mensch) oder sehr vage und unschlüssige Zuordnungen der beiden Naturen. Zu diskutieren wäre also nicht wie bei Georg Seeßlen die Unmöglichkeit der filmischen Darstellung des „zugleich Gott und Mensch“, sondern die jeweilige dargestellte Verhältnisbestimmung der beiden Größen. Sie bietet in gleicher Weise Einsichten in zeitgeschichtliche, theologische und anthropologische Voraussetzungen eines Jesusfilms.
Nun wollen und müssen Jesusfilme keine Verkündigungsfilme sein, und schon gar nicht können sie die Gottesfrage für die Gegenwart klären, obwohl jeder von ihnen zwangsläufig bestimmte religiöse und antireligiöse Botschaften, Tendenzen und Positionen transportiert und intendiert, eingestanden oder uneingestanden. Kein Jesusfilm kommt allerdings daran vorbei, „Gott“ zu thematisieren, sobald er den Namen Jesus verwendet, um eine Filmgestalt zu benennen, denn die Rede von Gott zeichnet Jesus aus und unterscheidet ihn von anderen religiösen Gestalten. Sie ist der entscheidende Bezugspunkt des biblischen Referenzmaterials und ein Problem für jeden Drehbuchschreiber.Anders gesagt: Wer sich auf die Bibel bezieht, wird mit Gott und dem Himmelreich, mit Wundern, Engeln und vielen anderen Gegebenheiten des Textes konfrontiert. Mit ihnen muss er als Autor umgehen: Er kann sie ignorieren, entstellen, verschweigen, bestreiten. Doch der Jesus, den er dann auf die Leinwand bringt, wird immer auf der Folie des Ursprungstextes gelesen werden. Wenn also ein Jesus auftritt, der nichts mit Gott zu tun hat, muss der Film explizit deutlich machen, warum der Gottesbezug keine Rolle spielt.
In den Bildern spiegelt sich das Verhältnis von Gott und Mensch
Die Frage nach der Zuordnung von Göttlichem und Menschlichem ist auch für Filme erhellend, die gar keine Jesusfilme sind. Wenn sich der Protagonist Max Klein in Peter Weirs Katastrophenfilm „Fearless - Jenseits der Angst“ (1993) fortan für unverwundbar hält, weil er einen Flugzeugabsturz unversehrt überlebt hat, dann schreibt er sich göttliche Attribute zu. Es ist eine unrealistische Zuschreibung, wie er bald schmerzhaft erfahren muss. Die Erleuchtung, die er im Moment des drohenden Todes während des Absturzes hat, setzt ihn zwar zur göttlichen Sphäre in Beziehung, aber sie erlaubt ihm keine Identität damit. Die Differenz bleibt. Umgekehrt geht dieses den Alltag überschreitende Schlüsselerlebnis nicht verloren, nachdem er seine menschlichen Grenzen wieder akzeptiert hat. Es gehört zu ihm selbst, obwohl es ihn übersteigt und er nicht darüber verfügen kann.
Wenn Georg Seeßlen also formuliert, es sei „unmöglich, Mensch und Gott in einem Bild darzustellen“, hat er zweifellos Recht. Sofern Filme das anstreben, versuchen sie etwas Unmögliches und müssen scheitern. Was sie dagegen mit ihren Mitteln leisten können, ist eine anschauliche Identifizierung von Göttlichem in der Darstellung des Menschen und von Menschlichem in der Darstellung des wie auch immer verstandenen Göttlichen oder „Transzendenten“. Das Verhältnis von Mensch und Gott ist nur insofern eine Frage der Ikonografie, als sich in ihr die jeweiligen Auffassungen vom Menschen widerspiegeln und ablesen lassen.