Denis weiß alles, kommt im Unterricht aber kaum dran. Lamine und Timothée reißen ständig dreckige Witze. Die Lernbegleiterin macht heimlich die Hausaufgaben der Inklusionsschülerin, und Tara kann in der 4. Klasse immer noch nicht richtig lesen. Tag um Tag packt die Grundschullehrerin Florence diese und andere Baustellen mit Elan an. Die junge Frau ist Pädagogin aus Überzeugung. Sie lässt nicht locker und bohrt weiter, wo andere womöglich schon früher aufgehört hätten.
Es ist Frühling, und bald wird Florence ihre Schützlinge an die weiterführende Schule ziehen lassen. Ohne lesen zu können, habe noch nie jemand ihre Klasse verlassen, ermuntert sie Tara, die über ihren Leseübungen verzweifelt, und versucht es mit einer antiquierten Methode. Die Lernbegleiterin wird scharf zurechtgewiesen, und Lamine und Timothée dürfen sich grammatische Strukturen anhand des Wortes „Furzen“ anstelle anderer Verben erschließen.
Einer aber zieht angesichts der Jonglage mit all diesen Baustellen stets den Kürzeren: Florences Sohn Denis, der in Ermangelung einer Parallelklasse wohl oder übel von seiner eigenen Mutter unterrichtet wird. Die beiden leben zudem in einer Lehrerwohnung im Schulgebäude. Denis hat deshalb seine Mutter selten für sich allein; nie sind seine Probleme in ihren Augen wichtiger als die aller anderen Kinder.
Es ist eine Geschichte wie im Lehrbuch, die von der französischen Regisseurin Hélène Angel hier erzählt wird. Eine Alltagsheldin versucht mit aller Kraft, den Menschen in ihrem Umfeld zu helfen. Mit den Mitteln, die ihr die Gesellschaft und ihre persönlichen Kapazitäten zur Verfügung stellen, mit der Lehre, sozialen Unterstützungsstrukturen sowie Empathie, Hilfsbereitschaft und gesundem Menschenverstand.
Der Fokus liegt nahezu vollständig auf Florence und all ihren Stärken und Schwächen, während die Schüler und ihr Sohn Denis als beispielhafte Fälle um sie herumkreisen. Selbst der verwahrloste Sacha, der die wackelige Work-Life-Balance von Florence schließlich zum Einsturz bringt, bleibt trotz emotionaler Ausbrüche eher blass und seiner Funktion als auslösendes Moment verhaftet. Dramaturgisch folgen daraus verschiedene Eskalationsstufen, vom Drama um Sachas Mutter über die Hilf- und Machtlosigkeit der Institution Schule bis zur Übernahme durch das Jugendamt. Vor Florences Augen setzt sich ein fatalistischer Mechanismus in Gang, den sie nicht akzeptieren will und der ein wenig an Filme von Ken Loach oder die der Brüder Dardenne erinnert. Im Genre des Sozialrealismus gibt es meist kein Entrinnen aus dem System, ganz gleich, ob sich die Figuren aufbäumen oder nicht.
Eben dieses Aufbäumen, Straucheln, Kämpfen und Fallen der Hauptfigur haucht dem ansonsten konventionell gestrickten Film aber viel Leben ein. Sara Forestier, die einst als Schülerin in Abdellatif Kechiches „L’esquive“ (fd 36 953) fulminant debütierte, zeigt in der Rolle der Lehrerin ihr Bestes. Sie erweckt Florence kraftvoll zum Leben und entzieht dem Film so ein Stück seines reißbrettartigen Charakters.
Der Film endet auch mit einem kleinen pädagogischen Wunder. Die Schule ist hier mehr als ein Spiegel der Gesellschaft und ihrer Konfliktherde; die Inszenierung entwirft sie als Mikrokosmos, in dem Veränderungen möglich sind und der als Keimzelle für eine bessere Welt fungieren kann, sofern die strukturellen und personellen Voraussetzungen stimmen. Auf diese formuliert der Film Kritik und Zuspruch zugleich. Im Reigen der Auseinandersetzung des französischen Kinos mit der Institution Schule, von Jean Vigos „Betragen ungenügend“ (1933) über François Truffauts „Sie küßten und sie schlugen ihn“ (fd 8514) oder „Der Wolfsjunge“ (fd 17 238) bis zu Laurent Cantets „Die Klasse“ (fd 39 090) fügt „Die Grundschullehrerin“ der filmischen Debatte über Chancen und Grenzen des Bildungssystems eine spannende weitere Perspektive hinzu.