Marseille
Drama | Deutschland 2004 | 94 Minuten
Regie: Angela Schanelec
Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland
- Produktionsjahr
- 2004
- Produktionsfirma
- Schramm Film Koener & Weber/ZDF/arte/Neon Prod.
- Regie
- Angela Schanelec
- Buch
- Angela Schanelec
- Kamera
- Reinhold Vorschneider
- Schnitt
- Bettina Böhler
- Darsteller
- Maren Eggert (Sophie) · Marie-Lou Sellem (Hanna) · Devid Striesow (Ivan) · Friederike Kammer (Schauspielerin) · Wolfgang Michael (Schauspieler)
- Länge
- 94 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 0; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert.
- Genre
- Drama
- Externe Links
- IMDb | TMDB | JustWatch
Einmal mehr stellt Angela Schanelec mit ihrer konsequent-radikalen Erzählweise der „entschleunigten“ Beobachtungen unvorbereitete Betrachter auf eine Geduldsprobe. Lange, nahezu ungeschnittene Einstellungen mit zumeist statischer Kamera bieten präzise visuelle Arrangements, die detailund nuancenreich innere wie äußere Räume umspannen und bei aufmerksamer Betrachtung zu mannigfaltigen Geschichten anregen – während man zugleich stets spürt, dass jede Szene und jede Bildinformation doch nur Ausschnitt aus einer viel größeren Geschichte ist, die zwar abwesend bleibt, aber doch alles prägt. Geradezu meisterhaft versteht es die Regisseurin, mit ihrer asketisch- stilisierten Erzählweise den Blick des Betrachters zu lenken, sodass man sogar noch glaubt, innerhalb der weiten Totale über die Ausfallstraßen Marseilles unter den zahllosen winzigen Autos jenes von Sophie zu entdecken. Dabei baut sich ein intensives Spannungsverhältnis zwischen dem Sichtbaren und dem Nicht-Sichtbaren außerhalb einer Einstellung auf; wobei sich Angela Schanelec demonstrativ der Konvention des Schnitt-Gegenschnitts verweigert, sodass man immer rätseln muss, was etwa Sophie denn nun sieht, was sie fotografiert. Daraus resultiert die singuläre filmische Sprache der Regisseurin, die in gewagten erzählerischen Ellipsen stets auf die Mithilfe des Betrachters vertraut, der das Weggelassene und Übersprungene kreativ „hinzudenken“ soll. Erst dann nämlich schwingt „fühlbar“ auf mehrschichtigen Metaebenen das Unterschwellige, Unausgesprochene, Verdrängte und „Unter dem Tisch Gehaltene“ mit, das die Menschen in ihrer Ziel- und Orientierungslosigkeit umtreibt – und das sie in ihrer urbanen Modernität mit den archaischen Charakteren Anton Tschechows verbindet.
Den gewagtesten gedanklichen Sprung bewahrt sich die Regisseurin fürs Ende auf, wenn Sophies Rückkehr nach Marseille von der leeren Bahnhofstreppe unmittelbar zu einem Verhör auf einer Polizeiwache führt. Zwischenzeitlich wurde Sophie ausgeraubt, wurde ihr Leben bedroht – quasi eine in der Rückschau indirekt erfolgende Verdichtung ihrer gesamten Lebenssituation zwischen stillem Glück und Katastrophe. Danach verschwindet Sophie in Marseille, und man meint, sie irgendwo in der Ferne noch in ihrem gelben Kleid am abendlichen Meer spazieren zu sehen. Vielleicht ist dies aber nur ein Nachhall auf der Netzhaut oder auch auf der Seele, die von der beherrschten und zugleich poetischen Erzählweise des Films mehr bereichert wird als von manchem „schnell“ erzählten Film.