Das italienische Kino ist für den deutschen Kinogänger zu einer unbekannten Region geworden . Nur noch selten verirrte sich in den letzten Jahren ein Film aus jenem Land, dessen Küche und Landschaften so sehr geschätzt werden, auf die hiesigen Leinwände. Silvio Soldinis „Brot und Tulpen“ weckt nun Erinnerungen an die beliebten „Liebe, Brot und....“-Filme der 50er-Jahre, die nicht nur Gina Lolobrigida und Sophia Loren zu Stars machten, sondern auch das heimische Leben der ersten deutschen „Gastarbeiter“ nahe brachte. Soldinis Film knüpft jedoch nur in einem Punkt an diese Tradition an, indem er nicht ins Venedig der Touristenattraktionen entführt, sondern in den volkstümlichen Stadtteil Cannaregio. Der Titel erinnert an den Streik-Slogan amerikanischer Textilarbeiterinnen: „Die Seelen können wie der Körper vor Hunger sterben: Gebt uns Brot, aber gebt uns auch Rosen!“ - wobei Soldini die Rosen durch die Tulpen ersetzte, weil sie das Symbol des Begehrens sind und wie die schönen Dinge des Lebens Zeit zum Erblühen brauchen. Langsam blüht auch die Liebe zwischen Fernando und Rosalba auf. Rosalba, eine Hausfrau aus Pescara, war auf der Rückfahrt von einem Ausflug mit ihrem Mann und den beiden Söhnen von der Reisegesellschaft auf einer Raststätte vergessen worden und per Anhalter schließlich in Venedig gelandet. Da sie noch nie in der Lagunenstadt war, will sie einen Tag dort bleiben. In einem kleinen Restaurant lernt sie den aus Island stammenden Kellner Fernando kennen, der sich in einer altmodischen, fast versförmigen Sprache ausdrückt und ihr für eine Nacht sein Gästezimmer überlässt. Als sie am nächsten Tag nicht nur den Zug nach Pescara verpasst, sondern sich auch mit der lebenslustigen Nachbarin Grazia anfreundet und in ihrem skurrilen Gastgeber einen Seelenverwandten gefunden zu haben glaubt, sieht sie dies als Wink des Schicksals und beschließt, ihren Urlaub zu verlängern. Ihre Familie stürzt diese Nachricht in eine mittlere Katastrophe. Rosalba aber möchte die stille Vertrautheit mit ihrem Gastgeber bald nicht mehr missen, obwohl sich dieser höflich-distanziert zurückhält.Soldinis Inszenierungsstil ist deutlich von seinen dokumentarischen Arbeiten wie dem preisgekrönten Psychiatrie-Porträt „Vici Celate“ (1986) geprägt, was sich besonders an seiner präzisen Beobachtungsgabe festmachen lässt. Fast beiläufig erzählte Details sagen mehr über den Seelenzustand seiner Protagonisten als alle Worte. Allerdings haben auch diese bei Soldini eine besondere Bedeutung, vor allem, wenn sie, wie von Fernando, zu einer literarischen, versförmigen Sprache geformt werden, die im ersten Augenblick befremdlich erscheint, letztlich aber von einer „altmodischen“ Welt kündet , die im krassen Gegensatz zu der aus dem Fernseher permanent tönenden „Sprachlosigkeit“ in Rosalbas Familie steht. Es ist die „Wahrhaftigkeit“ der Figuren, die im Gegensatz zum gängigen „Hochglanz-Kino“ mit normalen Menschen bekannt macht und ein Höchstmaß an Identifikation bietet. So berührt Fernandos Melancholie, die Bruno Ganz so wunderbar in Gesten und Sprache verinnerlicht hat, genauso, wie der „Ausbruch“ Rosalbas Mut macht, eigenen Träumen zu folgen. Dabei erkämpft sich Rosalba ihr Glück nicht mit feministischer Attitüde, sondern mit der Neugier einer wieder erblühenden Frau. Licia Magliettas ausdrucksstarkes Gesicht spiegelt dabei Lebenserfahrung und Schönheit zugleich wieder. Auch die Nebenrollen wurden von Buch und Regie liebevoll entwickelt. Wenn der alte Blumenhändler, bei dem Rosalba Arbeit findet, partout keine Iris zu einem Hochzeitstag verkaufen will oder die Geliebte ihres Mannes sich strikt weigert, dessen Hemden zu bügeln, dann sind mit gekonnten Federstrichen Charaktere umrissen und Klischees auf die Schippe genommen. Kameramann Luca Bigazzi, Soldinis treuester Weggefährte seit seinen ersten Kurzfilm-Versuchen, gibt der Szenerie mit seinen klaren, unaufdringlichen Bildern genau jene beschwingte Stimmung, der man sich gerne hingibt.