Der Selbstmord eines 14jährigen schreckt seine Mitschüler auf: Hatten die Eltern schuld, die Lehrer oder gar sie selbst? Der beste Freund des Toten versucht, dessen unglücklicher Liebe zu einem Mädchen auf den Grund zu gehen. Er erlebt am eigenen Leib Leidenschaft, Hoffnung und Enttäuschung. Eine blendend gespielte, sensible Studie der Gefühlswelt Heranwachsender, die sich grundsätzlichen Fragen von Leben und Tod, Liebe und Freundschaft stellt. Trotz mitunter stark stilisierter Dialoge jederzeit glaubwürdig und fesselnd. (Preis der OCIC Berlin 1993; Kinotipp der Katholischen Filmkritik; Fernsehtitel: "Der junge Werther")
- Sehenswert ab 16.
W. - Le jeune Werther
Jugendfilm | Frankreich 1992 | 94 Minuten
Regie: Jacques Doillon
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Filmdaten
- Originaltitel
- LE JEUNE WERTHER
- Produktionsland
- Frankreich
- Produktionsjahr
- 1992
- Produktionsfirma
- Les Films Alain Sarde
- Regie
- Jacques Doillon
- Buch
- Jacques Doillon
- Kamera
- Christophe Pollock
- Musik
- Philippe Sarde
- Schnitt
- Jacques Doillon
- Darsteller
- Ismaël Jolé-Ménébhi (Ismaël) · Mirabelle Rousseau (Mirabelle) · Thomas Brémond (Théo) · Miren Capello (Miren) · Faye Anastasia (Faye)
- Länge
- 94 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 12; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 16.
- Genre
- Jugendfilm | Drama
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Diskussion
Anfangs ist Ismaël mit seinen 14 Jahren noch ein Kind. Zwar sind Mädchen das wichtigste Gesprächsthema, doch mit seinem letzten Schwarm hat er Schluß gemacht, weil sie "nervte" und "immer nur ans Küssen" dachte. Dann wird Ismaël während des Unterrichts aus der Klasse gerufen und erfährt vom Direktor, daß sein bester Freund Guillaume sich umgebracht hat. Ismaël und seine Klassenkameraden sind schockiert. Zwar war der Kontakt zu Guillaume schwächer geworden, seit er das letzte Schuljahr nicht bestanden hatte, doch kam seine Tat völlig ohne Vorwarnung. Eine Erklärung scheint es nicht zu geben, und doch suchen die Jugendlichen nach den Verantwortlichen, Waren die Eltern "schuld" oder der unsensible Lehrer, der Guillaume grundlos für drei Tage vom Unterricht verbannte? Sind sie selbst verantwortlich, weil sie von den Problemen ihres Kumpels nichts bemerkt haben? Oder war der Tote - ein empfindsamer "Rebell" - zu "weich" und selbst nicht in der Lage, sich mitzuteilen? Was schließlich ist mit dem Mädchen, von dem er Ismaël gegenüber geschwärmt hatte? Der Tod ihres Mitschülers zwingt die Jugendlichen zur Bestimmung ihres eigenen Standortes. Und sie setzen ihre Hilflosigkeit in ein beinahe detektivisches Erforschen der verschiedenen Erklärungsversuche um. Als "schuldig" wird zunächst der Lehrer identifiziert und mit zwei nächtlichen Anschlägen "bestraft". Vor allem Ismaël aber ahnt, daß Guillaumes unerfüllte Liebe mit seinem Tod zu tun hat. Er beschließt, das Mädchen ausfindig zu machen, von der er nur weiß, daß es blond und wunderschön sein soll und sonntags zur Messe geht, wo der schüchterne Guillaume sie in aller Ruhe ansehen konnte. Tatsächlich finden die Freunde das Mädchen. An Guillaume allerdings kann es sich erst beim zweiten Gespräch erinnern; so scheu sei der Nachbarsjunge gewesen, daß es nicht einmal seinen Namen gewußt habe.Während also sämtliche Nachforschungen ins Leere zu laufen scheinen, hat sich Ismaël auf ganz andere Weise auf Guillaumes Spuren begeben. Auch er verliebt sich in die geheimnisvolle Miren, obwohl sie älter ist und von ihrem Freund in England erzählt. Während er Goethes "Die Leiden des jungen Werthers" liest, wächst seine Leidenschaft für die Unerreichbare, erscheinen ihm die Mädchen aus seiner Klasse plötzlich uninteressant. Höhepunkt der Turbulenzen ist eine Party, zu der Miren ihn zwar begleitet, wo sie sich dann aber ausgerechnet von Theo küssen läßt, einem großmäuligen "Weiberhelden". Ismaëls Demütigung erscheint grenzenlos. Er glaubt, Guillaumes Verlust am eigenen Leib gespürt zu haben. Die Frage nach dem "Warum" bleibt unbeantwortet; Ismaël wird weiterleben.Einmal mehr ist es die Gefühlswelt Heranwachsender, der sich Jacques Doillon widmet. Und mehr noch als zuletzt in "Der kleine Gangster" (fd 28 823) gelingt ihm eine überraschende Balance zwischen Künstlichkeit und Spontaneität. Seine jungen Protagonisten sprechen immer wieder Sätze, die sich nur ein Erwachsener ausgedacht haben kann. Trotzdem wirken sie vor der Kamera authentisch, "richtig". Radikal stilisiert Doillon auch die Bewegungen der Akteure, wobei Bewegung und Suche ohnehin das Antriebselement des Films darstellen. Zu zweit, zu dritt oder in kleinen Gruppen diskutierend - meist sind die Jugendlichen "unterwegs". Größere Gruppen teilen sich und kommen wieder zusammen, Paare wechseln schnell. Nur selten kehrt Ruhe ein, und wenn, dann als kurzes Innehalten vor neuer Aktion. Im Verlauf des Films beginnt Ismaël sich aus den Grüppchen zu lösen. Wenn er Miren auf der Straße verfolgt, liegt auch räumlich eine Distanz zwischen diesem Paar, von deren Überbrückung er nur kurz träumen darf. Das Erwachsenwerden - Doillon zeigt es plastisch - ist auch ein Prozeß der Vereinzelung, der Loslösung aus spielerisch-selbstverständlichen Konstellationen.Guillaume, die eigentliche "Hauptfigur" des Films, bekommt man nicht zu sehen. Und nur ein Erwachsener tritt in Aktion: Der Schuldirektor versucht Ismaël anzudeuten, daß Leidenschaft und Lebenshunger seines Freundes hinter dem Selbstmord stehen mögen. Doch scheint der Direktor eine fremde Sprache zu sprechen, die der Erwachsenen. Eine Sprache, die Ismaël fremder erscheint als die Goethes, fremder als die Verse Jim Morrisons auf der "Doors"-CD, die er als Andenken an den toten Freund behalten will."Le jeune Werther" vermittelt - dem traurigen Ausgangspunkt zum Trotz - viel Optimismus und Lebenslust. Doillons Figuren leisten "Trauerarbeit", indem sie sich den grundsätzlichen Themen von Leben und Tod, Liebe und Freundschaft stellen. Kinder sind sie, allen voran Ismaël, am Schluß des Films eben nicht mehr. Mit welcher Sensibilität Doillon diese Phase des Übergangs erfaßt, wie er seine jugendlichen Darsteller durch die Wechselbäder von Hoffnung und Schmerz zu führen versteht, sucht seinesgleichen. Und ist dabei ungeheuer spannend.
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