Am 5. Mai 1949 wird der amerikanische Ex-Diplomat und Leiter eines Flüchtlingshilfswerks Noel Field vom russischen Geheimdienst verschleppt und in ein Budapester Gefängnis gebracht, wo er fünf Jahre lang Isolationshaft und Folter ausgesetzt ist. Sein Name ist eng verbunden mit den stalinistischen Schauprozessen Anfang der 50er Jahre, denen durch Verrat und Denunziation viele Weggefährten Fields zum Opfer fielen. Ein erschütternder und emotionalisierender Dokumentarfilm, der das Schicksal des einzelnen in den Vordergrund stellt und verdeutlicht, wie schnell ein Mensch zum Spielball der "großen" Politik werden kann. Zugleich das Porträt einer schillernden Persönlichkeit, die auf ihrer verzweifelten Suche nach Heimat ihr Ziel auch wider besseres Wissen anstrebt. (Teils O.m.d.U.)
- Sehenswert ab 14.
Noel Field - Der erfundene Spion
- | Schweiz/Deutschland 1996 | 104 Minuten
Regie: Werner Schweizer
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Filmdaten
- Originaltitel
- NOEL FIELD - DER ERFUNDENE SPION
- Produktionsland
- Schweiz/Deutschland
- Produktionsjahr
- 1996
- Produktionsfirma
- Dschoint Ventschr/Zeitzeugen TV/Schweizer Fernsehen DRS/Swiss-effects
- Regie
- Werner Schweizer
- Buch
- Werner Schweizer · René A. Zumbühl · Thomas Grimm
- Kamera
- Helena Vagnières · Thomas Hartmann
- Schnitt
- Kathrin Plüss · Ian Mathys
Diskussion
Am 5. Mai 1949 verliert sich die Spur des in Europa aufgewachsenen amerikanischen Staatsbürgers und ehemaligen Mitarbeiters des Außenministeriums Noel Field. Er wird aus Prag vom russischen Geheimdienst verschleppt, in ein Versteck nach Budapest gebracht, und pausenlosen Verhören unterzogen - fünf Jahre lang. Seine Frau erleidet ein ähnliches Schicksal, die Pflegetochter wird nach Ost-Berlin gelockt, verhaftet und nach Sibirien verfrachtet, auch der Bruder Hermann verschwindet in Geheimdienstverliesen.Eine ganze Familie wird isoliert voneinander in Sippenhaft gehalten, doch abgesehen hat man es in erster Linie auf Noel, dem Spionage für Amerika vorgeworfen wird, den man rasch in den Ruf eines Superspions bringt. Namen will man von dem erklärten Pazifisten hören, der seit den 30er Jahren mit der kommunistischen Partei sympathisiert und sich selbst als physischen Feigling bezeichnet. Und Namen kennt Field, viele. Schließlich ist er seit den 30er Jahren im diplomatischen Dienst tätig, war als Delegierter des Völkerbundes in Spanien während des Bürgerkrieges, leitete während des Zweiten Weltkriegs die Flüchtlingshilfe der unitarischen Kirche in Marseille (USC) und war nach dem Krieg in ähnlicher Funktion in Genf tätig; humanitäre Hilfe, die Field nicht nur mit dem amerikanischen Geheimdienst in Beziehung bringt, sondern mit vielen Emigranten, meist Kommunisten, die nach dem Krieg in ihre osteuropäischen Länder zurückkehren und oft exponierte Stellungen innerhalb der Partei einnehmen. Hochkarätige Namen, die nach Fields Verhaftung an oberster Stelle auf den Listen der "Säuberungs"-Kommissare standen, Arthur London etwa, der stellvertretende Außenminister der Tschechoslowakei (verhaftet 1951), Lászlo Rajk (ungarischer Innen-, später Außenminister) und Rudolf Slánsky (Generalsekretär der tschechischen KP), beide wurden als "Titoisten" angeklagt und auf Grund von unter Folter erzwungenen Geständnissen hingerichtet. Die Bekanntschaft mit Field sollte sich in diesen Jahren für viele Genossen als Fluch erweisen.Doch nicht nur im Ostblock fraß die Revolution ihre Kinder und witterten Karrieristen ihre Chance, im Fahrwasser des Kalten Krieges mit unliebsamen Zeitgenossen abrechnen zu können. Zur Zeit von Fields Verhaftung scharte in den USA Senator McCarthy sein Kommitee gegen unamerikanische Untriebe um sich, auch ein gewisser Nixon war mit von der Partie und machte Jagd auf vermeintliche Kommunisten, Linke und Liberale. Alger Hiss, der Präsident der Carnegie-Stiftung für internationalen Frieden, ein Freund von Noel Field, wurde als erster verhaftet, mit ihm wurde die Hexenjagd eingeleitet, der auch das Ehepaar Rosenberg, dessen angeblicher Landesverrat nie bewiesen wurde, zum Opfer fiel.Ungeheuer detail- und kenntnisreich ordnet Werner Schweizer diese Vielzahl von Fakten an, läßt Zeugen, Betroffene, Opfer zu Wort kommen, zeigt die zwei Seiten ein und derselben Medaille, ohne eine vorschnelle Analyse anzustreben, packt Information auf Information, um zumindest den faktischen Ablauf lückenlos darlegen zu können. Dazu dienen auch eingesprochene Tagebuchaufzeichnungen von Noel Field, aus denen hervorgeht, daß Field auch in Folterhaft noch an die gerechte kommunistische Sache glaubt, wie sehr er sich verbiegt, um wenigstens für sich selbst, in seinem Kopf, in seiner Zelle, ein Gefühl der Aufrichtigkeit bewahren zu können. Hat der Film den Zuschauer erst einmal an diesen ungeheuer packenden Punkt herangeführt, dann geht er weit über eine spannende Lektion über ein kaum beleuchtetes historisches Kapitel hinaus. Dann steht pöltzlich das Private im Mittelpunkt aller Geschichte, das Leid, die Hilflosigkeit, das krampfhafte Bemühen, sich selbst noch in die Augen sehen zu können. Diesem Zweck, den verzweifelnden Menschen darzustellen, dienen auch die kurzen Spielfilmausschnitte aus Costa-Gavras "Das Geständnis", ein Film über Arthur London, der sich seit 1951 in einer ähnlichen Lage wie Field befand und sich auch ähnlich verhielt. Auch die Gesprächspartner, meist Weggefährten und Leidensgenossen, bemühen sich, den Menschen Field sichtbar werden zu lassen und fördern eine schillernde Person zutage, deren verschiedene Charakterfacetten sich in kein zusammenhängendes Persönlichkeitsbild einfügen wollen. So berichtet eine Mitarbeiterin, daß Fields erste Worte, als er nach fünf Jahren seine im gleichen Zellenblock inhaftierte über alles geliebte Frau wiedersah, die Frage war: "Bist du treu geblieben?" Wobei Field allerdings nicht die eheliche Treue meinte, sondern die Treue zur Partei. Auch die Pflegetochter Erica Wallach, die Field nie mehr sah, äußerst sich ähnlich, nachdem sie 1993 Briefe von ihm gelesen hat. Sie ist entsetzt, weil kein Wort über das Leid verloren wird und alles Menschliche weggefallen scheint, er sei ein "Parteimensch, kein Mensch" mehr. Bruder Hermann dagegen ist versöhnlicher, hat sich die Erinnerung an Noel so bewahrt, wie er einmal war, voller Idealismus und Glaube, trotz allem, sagt Hermann, war er "ein sehr schöner Mensch".Am 17.11.1954 wird Noel Field aus der Geheimhaft in Budapest entlassen, und am selben Tag kommt tausende von Kilometern entfernt, in Amerika, der Freund Alger Hiss frei. Ein Zufall? Doch wer glaubt, die Geschichte hätte damit ein Ende, der irrt; sie steuert ihrem ungeheuerlichen Höhepunkt zu. Field bleibt mit seiner Frau in Ungarn und betreibt mit allen Mitteln die Aufnahme in die Partei, etwas, das man den unsicheren Grenzgänger immer verwehrt hatte. Er betrachtet die fünf Jahre Haft als Parteiarbeit, verdammt den Ungarnaufstand als Konterrevolution und kann 1957 endlich das begehrte Parteibuch entgegennehmen. Erst 1968, als die Panzer des Warschauer Pakts den "Prager Frühling" niederwalzen, zieht Field so etwas wie eine Konsequenz; er zahlt keine Parteibeiträge mehr. 1970 stirbt er in Budapest.Ein spannender, lehrreicher, aber nie belehrender Dokumentarfilm, über einen Menschen, der nie seine (politische) Heimat gefunden hat, obwohl er sich so sehr um sie bemühte. Geschichte wird hier nicht als abstrakte Fakten erfahrbar, die sich wohlgeordnet in einen kontinuierlichen Ablauf einreihen lassen, sondern als Schicksal und erlebtes Leid. Ein Film, der sich Zeit läßt und sehr kontemplativ aufgebaut ist, um seinen Ereignissen und den betroffenen Personen gerecht werden zu können, der nicht klärt, wer Noel Field war, sondern der einen Menschen zeigt, der auch die Wahrheit beugt, um endlich nach Hause zu kommen - dorthin, wo ihn niemand haben will. Auch das ein tragischer Aspekt im Leben des "erfundenen Spions", wobei kaum auseinanderzuhalten ist, worin die eigentliche Tragödie dieses Lebens besteht, in der Darstellung des himmelschreienden Unrechts im Zuge der politischen Großwetterlage oder im verbissenen Festhalten an Idealen, die sich - zumindest für Noel Field - am 5. Mai 1949 als höchst trügerische Wertvorstellungen herausgestellt haben.
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