Zero Patience

Musikfilm | Kanada 1993 | 100 Minuten

Regie: John Greyson

Ein durch einen Jungbrunnen zu ewigem Leben gelangter Forscher des 19. Jahrhunderts trifft den Geist des vermeintlich an der Ausbreitung von AIDS in Nordamerika verantwortlichen "Patienten Zero". Dieser und weitere Betroffene zeigen ihm die wahren Schuldigen: ignorante Forscher, Politiker und Geschäftemacher. Eine ebenso humorvolle wie bittere und polemische Auseinandersetzung mit der AIDS-Problematik, überspitzt mittels grotesker Bildeinfälle und kraftvoller Rockmusik.
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Filmdaten

Originaltitel
ZERO PATIENCE
Produktionsland
Kanada
Produktionsjahr
1993
Produktionsfirma
Zero Patience Prod.
Regie
John Greyson
Buch
John Greyson
Kamera
Miroslaw Baszak
Musik
Glenn Schellenberg
Schnitt
Miume Jan
Darsteller
John Robinson (Sir Burton) · Normand Fauteux (Zero) · Dianne Heatherington (Mary) · Richardo Keens-Douglas (George) · Bernard Behrens (Dr. Placebo)
Länge
100 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12 (Video OmdU)
Genre
Musikfilm | Tragikomödie
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Diskussion
Kaum eine Kunstform verschließt sich heute noch dem Thema Aids. Das geht von bildender Kunst über Musik bis zu Bühnenstücken, die sich dann, insbesondere am und um den Broadway, dem Thema mit großem Ernst und gerne in Form eines Melodrams annehmen. Ein Musical über Aids zu schreiben und dies gleich für einen Film zu konzipieren, bereichert diese Palette, auch wenn es zunächst gewagt erscheinen mag. Für den jungen kanadischen Regisseur John Greyson stellt dieses Genre im Gegenteil eine "Sicherheitszone für experimentelle Freiheit" dar, die das gängige narrative Kino nicht biete. Tatsächlich zeugt "Zero Patience" von reicher visueller Phantasie und bietet Kurioses, Groteskes und Surreales auf, das allerdings bei näherem Hinsehen der Wirklichkeit ziemlich nahe kommt; gerade die schrillen Gesangsnummern gehen in ihrer treffenden Satire und Polemik am weitesten.

Es geht um den sogenannten "Patient Zero", einen frankokanadischen Flugbegleiter, der aus heutiger Sicht der Forschung den Aids-Virus nach Nordamerika gebracht haben soll. Ein viktorianischer Sexforscher namens Richard Francis Burton, der dank einem Jungbrunnen unsterblich geworden ist, stößt eines Tages auf diesen Fall und sieht in ihm eine wertvolle Bereicherung der makabren Seuchenschau, die er in seinem Museum installiert hat. Mit einer Videokamera bewaffnet, sucht er alle möglichen Kontaktpersonen jenes Patienten auf, über den sie dann ein Statement abgeben sollen. Für Burton ist der Fall klar: Patient Zero hat die Ansteckung und mithin den Tod seiner zahlreichen Sex-Partner bewußt in Kauf genommen, ja gewollt. Da tritt einer auf die Szene, der es besser wissen muß: Patient Zero selbst, der sich schlicht Zero nennt. Nur Burton kann ihn sehen, denn Zero ist vor Jahren gestorben; und dieser Zero relativiert nicht nur alle für sicher gehaltenen Theorien, er wird auch Burtons Liebhaber.

"Eine Kultur der Gewißheit wird alle Zweifel beseitigen", heißt es zu Anfang in einem Song: Burton steht für die Empiriker, die Zahlensammler und gleichzeitig für die Naivität und Ignoranz, mit der Forschung und Öffentlichkeit dem Aids-Problem oft gegenüberstanden und -stehen. So gesehen ist "Zero Patience" die Antwort auf den Film "Und das Leben geht weiter", in dem jüngst die Anfänge der Aids-Forschung als Detektivgeschichte inszeniert worden sind, der dabei ungleich mehr Umsicht zeigte als das Melodram "Philadelphia", aber letztlich den Patienten Zero als Wurzel des Übels (in Amerika) festschrieb. "Zero Patience" entlastet ihn zum Teil als einen der ersten, die sich der Forschung zur Verfügung stellten und die sexuelle Übertragung von Aids aufdecken halfen; vor allem aber wird der Sinn des Gelehrtenstreits in Frage gestellt, ob nun er an allem Schuld hat oder die Grüne Meerkatze, die den Virus in Afrika erstmals auf den Menschen übertragen haben soll (auch hier darf sich die Betroffene selbst, verwandelt in einen Sänger, rechtfertigen und die Sündenbock-Rolle von sich weisen). Den Aids-Aktivisten der Act-up-Bewegung, die ebenfalls zu Wort kommen, geht es um "Kontrolle" über Pflege, Ärzte, Forschung und um Absenkung der Preise für Aids-Medikamente, an denen die Industrie maßlos verdiene. Gerade solchen sehr konkreten Forderungen verleiht ein in eingängige, kraftvolle Rockmusik umgesetztes Klagelied eine außerordentliche Wirkung.

Null Geduld, so der Sinn des Titels, haben die Betroffenen mit der Haarspalterei der Forscher, den Vorurteilen der Öffentlichkeit, den Geschäftsinteressen der Pharmaindustrie. John Greyson, der mit "Zero Patience" seinen zweiten langen Film gedreht hat, hält den aus seiner Sicht wahren Schuldigen am Ausmaß der Seuche den Spiegel vor, humorvoll, manchmal nicht ohne Bitterkeit und stets mit großer Lust an Überspitzung und Provokation: so kommen hier auch zwei männliche Hinterteile zu Wort bzw. Gesang, ebenso wie Miss HIV persönlich.
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