Like A Complete Unknown
Biopic | USA 2024 | 142 Minuten
Regie: James Mangold
Filmdaten
- Originaltitel
- A COMPLETE UNKNOWN
- Produktionsland
- USA
- Produktionsjahr
- 2024
- Produktionsfirma
- Veritas Ent./Searchlight Pic./The Picture Company/Range Media Partners
- Regie
- James Mangold
- Buch
- James Mangold · Jay Cocks
- Kamera
- Phedon Papamichael
- Schnitt
- Andrew Buckland · Scott Morris
- Darsteller
- Timothée Chalamet (Bob Dylan) · Monica Barbaro (Joan Baez) · Edward Norton (Pete Seeger) · Elle Fanning (Sylvie Russo) · Boyd Holbrook (Johnny Cash)
- Länge
- 142 Minuten
- Kinostart
- 27.02.2025
- Fsk
- ab 6; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 14.
- Genre
- Biopic | Drama | Musikfilm
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Biografisches Drama über den jungen Bob Dylan, der Anfang der 1960er-Jahre in der New Yorker Folkszene Fuß fasst und zum Star aufsteigt, bis er mit den Erwartungen an ihn zu fremdeln beginnt.
Das Mysterium „Bob Dylan“ hat eigentlich seit längerem ausgedient. In einer bestimmten Altersklasse ist Dylan so ausgiebig, umfassend und materialreich gewürdigt worden, dass kaum noch Fragen offenbleiben. Während über Jüngere zumindest das Vorurteil besteht, dass sich dort ohnehin niemand mehr für Dylan begeistert oder tiefergehend interessiert. Doch Ausnahmen bestätigen die Regel. Mit dem Film „Like A Complete Unknown“ verhält es sich ein wenig wie mit Dylan-Konzerten. Die konnten zwar immer schon vordergründig enttäuschend sein, luden aber zu intensiver ausdauernder Nachbetrachtung ein, wenn man sie als Teil des Gesamtkunstwerks der bockigen Beharrlichkeit des Künstlers erkannte und sie dadurch schon wieder denkwürdig gerieten.
Man kann durchaus darüber lächeln, dass „A Complete Unknown“ hierzulande als „Like A Complete Unknown“ in die Kinos kommt, weil irgendjemand offenbar davon ausgeht, dass potentiell Interessierte im Alltag textsicher „Like A Rolling Stone“ vor sich hin summen und dann davon neugierig geworden ins Kino gelockt werden. Beleuchtet der Originaltitel nicht eher das abstrakte Konzept von James Mangolds Biopic über die frühen Jahre des späteren Literatur-Nobelpreisträgers Bob Dylan? Dieser kommt als Bob Dylan, „a complete unknown“, am 24. Januar 1961 im New Yorker Greenwich Village an, im Zentrum der sehr lebendigen Folkszene. Lockenkopf mit Mütze, abgewetzte Klamotten, die Gitarre – ein Hobo, wie er (nur) im Buche steht.
Der enigmatische Eigenbrötler
Schon am Tag nach seiner Ankunft besucht er sein Idol, den todkranken Sänger Woody Guthrie, in einem Krankenhaus in New Jersey, um ihm dessen Songs und einen eigenen, Guthrie gewidmeten Song vorzustellen. Guthrie ist zwar verstummt, aber beeindruckt. Wichtiger noch: Am Krankenbett sitzt die Szenegröße Pete Seeger, der zu Dylans Mentor werden wird. Auf Seegers Kontakte ist Verlass: Der talentierte Dylan wird herumgereicht und schnell zum „Rising Star“ einer Szene, die eigentlich keine Stars kennt, sondern nur Weltanschauungen. Dylan, der mit mehreren Legenden im Gepäck und hunderten Songs im Kopf in New York ankam, wusste zu gefallen und hatte ein Image anzubieten, wo doch Authentizität angesagt war. Als enigmatischer Eigenbrötler, der im Woody-Guthrie-Jargon vor sich hin mümmelte, fand er rasch Bewunderer, die auch seine Egozentrik in Kauf zu nehmen bereit waren: die intellektuelle Aktivistin Suze Rotolo (auf dem Cover des zweiten Albums zu sehen, im Film vertreten durch die fiktionale, von Elle Fanning gespielte Figur Sylvie Russo), die seinerzeit viel berühmtere Sängerin Joan Baez und nicht zuletzt Albert Grossman, der zu Dylans Manager wurde.
„Like A Complete Unknown“ schnurrt gut geölt von Station zu Station, ist eine bis ins kleinste Detail perfekte Ausstattungsorgie, die hyperrealistisch ein Coffee-Table-Book über das Greenwich Village mit seinen Clubs und Cafés in bewegte Bilder zu übersetzen versteht. Dazu dann als Hintergrundrauschen: die Folkszene, der Kalte Krieg, Kennedy, die Kuba-Krise, die Bürgerrechtsbewegung – und nicht zuletzt der rebellische Gestus des Rock’n’Rolls.
James Mangold hat sich bei seinem Dylan-Biopic dafür entschieden, ganz nah an seinem Protagonisten dranzubleiben, weshalb die einzelnen Stationen auch eher kleinteilig ausfallen: die Begegnungen mit Guthrie und Seeger, die ersten Club-Auftritte, die erste Begegnung mit Joan Baez, die erste Album-Produktion, der erste Hit „Blowin’ in the Wind“, der erste Auftritt beim Newport-Festival, die ersten Zeilen, die taugen, Dylan zur „Stimme einer Generation“ zu erklären, die ersten Verunsicherungen und Absetzbewegungen. Dylan will nicht länger den Erwartungen entsprechen. Singt in einer großartigen Szene „It ain’t me, Babe!“ im Duett mit Joan Baez. Eine Szene, die in Erinnerung bleibt, weil sie zwei Liebesgeschichten gleichzeitig beendet.
Eine avancierte Form von Karaoke
Zum Hype um „Like A Complete Unknown“ gehört, dass Timothée Chalamet unglaublich viel Zeit damit zugebracht hat, sich die Bob-Dylan-Persona anzueignen. Das ist tatsächlich beeindruckend, aber letztlich doch nur eine avancierte Form von Karaoke. Durch Training wird reproduziert, was einst die Aura des Originals ausmachte. So wie schon „Back to Black“ Amy Winehouse „kopiert“ hat oder beispielsweise der Musiker Maurice Summen von „Die Türen“ die Bühnenposen Mick Jaggers zitiert und persifliert. Nur im Falle von Summen eben ironisch. Ironie sucht man in „Like A Complete Unknown“ allerdings vergebens, sieht man von den spießigen Reinheitsgeboten der Folkszene ab. Einmal sitzt Dylan mit Seeger im Auto, als aus dem Radio Rock’n’Roll von Little Richard dröhnt. Seeger reagiert körperlich, allergisch. Kurz darauf bittet Dylan seinen Manager Albert Grossman, sich doch mal um die Musiker aus Chicago zu bemühen, die in der „Butterfield Blues Band“ gerade mit elektrisch verstärktem Bluesrock reüssieren.
Bedenkt man, dass es sich bei „Like A Complete Unknown“ um eine Künstlerbiografie handelt, dann interessiert sich der Film erstaunlich wenig für künstlerische Arbeit. Dylan sitzt halbnackt auf dem Bett herum und spielt Gitarre und plötzlich ist „Blowin’ in the Wind“ aus ihm rausgepurzelt. Auch die Freundschaft zu Seeger, die Begegnung mit seinem Road Manager Bob Neuwirth, die Arbeit im Studio, die Auftritte in Clubs – alles geht ohne Arbeit und Reflexion oder gar Versagen und Verwerfen von der Hand. Überhaupt: Wie stand es eigentlich um die aktuelle Popmusik in den USA, als sich Robert Allen Zimmerman entschlossen hat, ausgerechnet die Folkszene zu nutzen, um ein Pop-Star zu werden? Hat er wirklich einmal gesagt: „Ich spielte die Folksongs wie Rock’n’Roll, um aufzufallen“?
Dylan braust davon
Am Schluss, nach dem denkwürdigen Kurzauftritt mit E-Gitarre und Band in Newport, braust Dylan auf seinem Motorrad davon – und man ist dankbar, dass der Film sich hier Unfallgeräusche auf dem Off spart. Wäre „Like A Complete Unknown“ der Auftakt einer mehrteiligen Serie, so wäre das Projekt vielversprechender, weil noch reichlich Platz für Querverweise und Tiefenbohrungen bliebe. So aber gilt: Im direkten Vergleich mit Todd Haynes’ ästhetisch ambitioniertem „I’m Not There“ und dem fiktionalisierten, boshaft-sarkastischen, gleichwohl unerhört witzigen „Inside Llewyn Davis“ über die Greenwich-Village-Szene hat James Mangold einen Mainstream-Film ohne größeren Ehrgeiz gedreht. Beste, unkontroverse Unterhaltung mit einem glänzend aufgelegten Ensemble und durchaus gelungenen Konzert-Szenen, aber ohne hohen Mehrwert oder gar Überraschungen.