Komödie | USA 2024 | 98 Minuten

Regie: Marielle Heller

Eine Frau, die mit ihrem Leben als Mutter eines Kleinkindes unzufrieden ist, dies aber lange weder ihrem meist wegen Dienstreisen abwesenden Mann noch jemand anderem offenbart, verwandelt sich sukzessive immer mehr in eine Hündin. Auf diese Weise kann sie ihre Aggressionen ausleben und die Fassade einer braven Hausfrau ablegen, was ihr irritierte Reaktionen, aber auch Sympathie beschert. Die Komödie fußt auf einer feministischen Romanvorlage und nutzt Versatzstücke des Body-Horror-Genres, um gängige Rollenvorstellungen aufzubrechen. Die fantastischen Anleihen der Hundwerdung dienen dabei als eine Art temporärer Exorzismus, um die Verhältnisse so zurechtzurücken, dass ein Aufbäumen künftig überflüssig scheint. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
NIGHTBITCH
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2024
Produktionsfirma
Annapurna Pic./Archer Gray/Defiant by Nature/Bond Group Ent.
Regie
Marielle Heller
Buch
Marielle Heller
Kamera
Brandon Trost
Musik
Nate Heller
Schnitt
Anne McCabe
Darsteller
Amy Adams (Mutter) · Scoot McNairy (Ehemann) · Arleigh Snowden (Sohn) · Emmett Snowden (Sohn) · Zoë Chao (Jen)
Länge
98 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Komödie | Literaturverfilmung
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IMDb | TMDB

Eine Künstlerin, die ihrem Kind zuliebe ihre Arbeit aufgegeben hat, hinterfragt ihre Rolle als Mutter, zumal sie immer stärkere physische Veränderungen an sich bemerkt.

Diskussion

Und täglich grüßt das Murmeltier: So oder ähnlich fühlt sich die rothaarige Frau, wenn sie Tag für Tag und Woche für Woche dieselben Zutaten in die Pfanne klatscht. Fischstäbchen, Nudeln mit Sauce oder Bratlinge bereitet sie lieblos und mechanisch zu. Die Gerichte sind für ihr Kleinkind, mit dem sie die meiste Zeit allein zu Hause verbringt.

Man hört die inneren Gedanken mit

Wenn die Frau (Amy Adams) kocht, sitzt der Junior oft auf dem Küchenboden und schaut neugierig zu ihr hoch. Danach essen sie gemeinsam am Tisch. So geht das jeden Tag. Zwischendurch machen sie Ausflüge in den Supermarkt oder in die Bibliothek, wo eine Gruppe Kleinkinder von einem Barden bespaßt wird. Die Frau, die eigentlich Künstlerin und Kuratorin ist, fühlt sich gelangweilt und ausgelaugt. Vor der Konversation mit anderen Müttern drückt sie sich, doch sie hält die Fassade des Anstands aufrecht – noch.

Ihr Mann (Scoot McNairy) ist unter der Woche für seine Arbeit unterwegs. Im Haushalt ist er nutzlos. Doch statt ihm oder auch anderen ihren Frust zu beichten, wiegelt sie ab. Einer der Tricks von „Nightbitch“ besteht darin, dass man die wahren Gedanken der Mutter mitbekommt. Ihre ehrlichen, inoffiziellen Antworten schildert der Film stets vor ihren offiziellen Beschwichtigungen. Dann flucht sie auf sich und das Kind und knallt ihrem Mann auch schon mal eine, wenn der behauptet, wie liebend gern er mit dem Kind zu Hause bleiben würde, statt zu arbeiten. Der kinderlosen Frau, die sie im Supermarkt trifft, sagt sie sogar, dass es nicht toll ist, die ganze Zeit zu Hause zu hocken. Sie frage sich, ob sie je wieder glücklich und dünn sein werde! In der nächsten Einstellung macht der Film jedoch klar, dass dies nur ihre Wunschprojektion ist; stattdessen behauptet sie brav, dass es daheim toll sei.

Doch dann geschehen seltsame Dinge. Sie entdeckt vermehrten Haarwuchs an ihrem Körper. Auch ihre Zähne sind plötzlich superscharf, genau wie ihr Geruchssinn. Sie tötet Hasen, läuft auf allen vieren, isst mit den Fingern und knurrt dazu. Ist sie dabei, sich in einen Hund zu verwandeln?

Die Ausbruchsfantasien einer Frau

Der Film von Marielle Heller schildert zunächst den eintönigen Alltag einer Hausfrau wider Willen und verwandelt sich anschließend in einen Body-Horror-Film. Die Momente der Transformation in einen pelzigen Vierbeiner erinnern an Fantasyfilme wie „American Werewolf“ oder „Wolf – Das Tier im Manne“. „Nightbitch“ verhandelt diese (scheinbaren) Transformationen aber ironischer und mit mehr komödiantischen Elementen. Hier kippt der Body-Horror nicht ins Tragische oder wirklich Grauenhafte, wie zuweilen bei David Cronenberg.

Zwar wälzt die Mutter Bücher in der Bibliothek, um das seltsame Phänomen zu ergründen. Doch es geht vor allem um die Ausbruchsfantasien einer Frau, die in traditionellen Rollenmustern gefangen ist. Vor ihrem Dasein als Hausfrau und Mutter war sie berufstätig und unabhängig. Nun sind die Eheleute in stereotype Rollen geschliddert, ohne dies gewollt zu haben. Der Film spiegelt damit eine Situation wider, die Millionen Mütter in westlichen Ländern durchleben. Eigentlich begreifen sich Paare als aufgeklärt und fortschrittlich, doch die Erwartungen der Gesellschaft sind andere. Mütter haben ihre Mutterschaft anzunehmen. Sie sollen sich nicht beschweren oder mit anderen Müttern eine eingeschworene Gemeinschaft bilden.

In „Nightbitch“ bricht die Protagonistin allmählich aus diesem Klischee aus. Sie wagt die Grenzüberschreitung, rastet aus, wird nachts zum Tier. Auch tagsüber benimmt sie sich als Frau in Gesellschaft immer mehr daneben. Das gipfelt in Momenten, für die sich die Mitmenschen im Film genauso fremdschämen wie das Publikum. Amy Adams transportiert ihre Animalisierung lustvoll, rollt die Augen, stößt tierische Laute aus und übertreibt maßlos – wie ein Kind, das sich in einem Spiel verliert. Das kontrastiert vor allem mit dem vernünftigen Auftreten ihres nichts ahnenden Ehemanns. Die Übergänge von der zivilisierten Hausfrau zu der auf der Straße hetzenden und hechelnden Hündin sind fließend; häufig fühlt man sich fast in einen Fantasy-Film hineinversetzt.

Eine Art Exorzismus

Die Tierwerdung befreit die Frau, bricht ihre Isolation auf und macht sie kommunikativer. Auch die Mitglieder der Muttergruppe in der Bibliothek reagieren positiver auf die Frau. Die anderen Mütter finden die immer hemmungsloseren, aber ehrlichen Äußerungen der Protagonistin oft erfrischend, signalisieren Zustimmung und offenbaren zunehmend auch ihre eigenen Gefühle. Dass die Frau keinen Namen hat, ist kein Zufall, steht sie doch stellvertretend für viele andere Mütter, die sich in ihrem 24-Stunden-Care-Job überfordert und unverstanden fühlen.

„Nightbitch“ basiert auf dem gleichnamigen Roman von Rachel Yoder, der als Meilenstein eines neuen literarischen Feminismus gefeiert wurde. Regisseurin Marielle Heller schöpft die visuellen Mittel des filmischen Mediums in der Charakterisierung der Protagonistin voll aus und beschert einige höchst unterhaltsame Momente. Narrativ gerät der Film im letzten Drittel allerdings zunehmend vernünftiger und zahm. Aus der entfesselten Kreatur auf vier Beinen wird eine konventionellere, aufrecht gehende Frau. Fast so, als wäre die Hundwerdung nur ein Exorzismus gewesen, ein temporäres Mittel zum Zweck, das die Verhältnisse wieder so zurechtrückt, dass ein Aufbäumen überflüssig geworden ist.

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