Dokumentarfilm | Italien/Lettland 2020 | 90 Minuten

Regie: Alessandro Rossellini

Der Enkel des italienischen Regisseurs Roberto Rossellini besucht seine über die halbe Welt verstreuten Verwandten, um mit ihnen über den Druck zu sprechen, dem man als Nachkomme im Schatten des berühmten Patriarchen ausgesetzt war. Die unterschiedlichen Biografien schneidet der Dokumentarfilm dabei nur an. Er konzentriert sich mehr auf die gemeinsame, nicht immer spannungsfreie Vergangenheitsbewältigung. Das fällt mitunter etwas sprunghaft und strukturlos aus, besticht aber durch einen persönlichen Ansatz und dem milden, jedoch nicht gefühlsduseligen Blick auf die Verwandtschaft. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
THE ROSSELLINIS
Produktionsland
Italien/Lettland
Produktionsjahr
2020
Produktionsfirma
B&B Film/Rai Cinema/Istituto Luce Cinecittà/VFS Films
Regie
Alessandro Rossellini
Buch
Andrea Paolo Massara · Alessandro Rossellini · David Simanis Jr.
Kamera
Valdis Celmins
Schnitt
Ilaria De Laurentiis
Länge
90 Minuten
Kinostart
30.01.2025
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
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Doku über den weitverzweigten Clan des italienischen Regisseurs Roberto Rossellini und die Last, Nachkommen eines so berühmten Kulturschaffenden zu sein.

Diskussion

Die Beerdigung von Roberto Rossellini im Jahr 1977 war ein öffentliches Spektakel. Alessandro, der Enkel des italienischen Regisseurs, kommentiert in „Die Rossellinis“ die alten Aufnahmen der Prozession aus dem Off. Während sich die Kamera durch die Menschenmasse arbeitet, stellt er die verschiedenen Familienmitglieder vor. Mit drei Frauen, darunter auch die Hollywood-Schauspielerin Ingrid Bergman, hatte Roberto Rossellini fünf leibliche und zwei adoptierte Kinder. Den familiären Zusammenhalt, der während der Trauerfeier demonstriert wird, gab es in Wahrheit aber nicht. Über die Jahre verteilten sich die Verwandten über die halbe Welt und hatten oft nur wenig miteinander zu tun. Deshalb endet der Dokumentarfilm von Alessandro Rossellini mit einem überfälligen Familientreffen, doch zunächst muss die Vergangenheit bewältigt werden.

Eine Krankheit namens „Rossellinitis“

Wenn es um die Qualitäten von Alessandros Großvater als Regisseur neorealistischer Meilensteine wie „Paisà“ oder „Rom, offene Stadt“ geht, greift der Enkel zu distanzierenden Formulierungen wie „Man sagt, er sei ein revolutionärer Filmemacher“ gewesen. Der Sohn des Filmproduzenten Renzo Rossellini und der afroamerikanischen Tänzerin Katherine Cohen hat zwar eine gewisse Ehrfurcht vor dem prominenten Patriarchen, sieht in ihm aber auch den Ursprung eines Familienfluchs. „Rossellinitis“ nennt der Dokumentarist den ungeheuren Druck, der auf den Nachkommen lastet, die so außergewöhnlich und genial sein müssen wie ihr Großvater.

Der Film dreht sich um eine Reise. In Schweden, Katar und den USA besucht Alessandro die verstreuten Familienmitglieder, um über die Vergangenheit zu sprechen. Erst fährt er zu Bergmans und Rossellinis Sohn Robertino, der auf einer einsamen Insel lebt und immer wegen seines guten Aussehens unterschätzt wurde; später schaut er bei dessen Schwester Ingrid vorbei, die, anders als ihre berühmte Zwillingsschwester Isabella Rossellini, das Rampenlicht immer hasste und von Zweifeln zerfressen war. Die Unterhaltungen wirken manchmal etwas sprunghaft und als Außenstehender fühlt man sich nicht immer „abgeholt“, aber es offenbart sich in ihnen doch die heilende Kraft eines offenen Gesprächs.

Aufgelockert werden die Interviews durch Archivmaterial und verbunden mit etwas trivialisierenden melancholischen Pop-Songs, deren Liedzeilen das Geschehen kommentieren. Im Laufe des Films zeichnet sich ab, dass Alessandro durchaus eine Agenda hat. Seine Drogenabhängigkeit hat ihn gezeichnet, ein Minderwertigkeitskomplex und das Gefühl, ungerecht behandelt worden zu sein, treiben ihn bei seinem Projekt an. Das spannendste Wiedersehen ist deshalb das mit seiner Tante Isabella, die Alessandros Analyse der Familienverhältnisse keineswegs teilt. Wenn er der Schauspielerin aus Filmen wie „Blue Velvet“ und „Fearless“ vorwirft, dass ihre Familie so schön und erfolgreich sei, fühlt sie sich sichtlich provoziert, ist jedoch zu charismatisch und professionell, um sich zu einem Streit hinreißen zu lassen. Erhellend ist diese Szene auch deshalb, weil sie neue Seiten über Alessandro enthüllt, der zwar gerne über sich spricht, dabei aber selten ins Detail geht. So kommt etwa heraus, dass er seine Tante regelmäßig unter Vortäuschung falscher Tatsachen um große Mengen an Geld erleichterte.

Ein milder Blick auf die Verwandtschaft

„The Rossellinis“ blickt milde auf seine Protagonisten, ohne zu gefühlsduselig zu werden. Wenn Alessandro Isabella wieder verlässt, bleiben einige Konflikte spürbar ungelöst. Auch wenn er seine Mutter, die er nie wirklich kennengelernt hat, in einem Altersheim in New York besucht, wird daraus zwar eine berührende Annäherung, bei der die Wunden der Vergangenheit aber nicht geheilt werden müssen.

Schon wegen des großen Ensembles gelingt es dem Film oft nur, Biografien anzuschneiden, von denen man gerne mehr gehört hätte. Etwa warum Renzos Regiekarriere so schnell beendet war oder wie es dazu kam, dass Tochter Nur ihren Namen änderte und zum Islam konvertierte. An interessanten Geschichten mangelt es trotzdem nicht. So handelt eine außergewöhnliche Erzählung von Robertos indischem Adoptivsohn Gil, der als Filmproduzent arbeitete und eine Infektion bekam, die ihn an den Rollstuhl fesselte. Auch er griff als Verarbeitungsstrategie zur Kamera und dokumentierte sein Leben von nun an mit einer No-Budget-Filmreihe namens „Kill Gil“.

Durch die Vielzahl seiner Protagonisten und Geschichten ist „The Rossellinis“ manchmal etwas zerfahren; zugleich zeichnet es den Film aber aus, dass er die vielen Individuen nicht auf die „Rossellinitis“-Formel herunterbricht, sondern ihre unterschiedlichen Charaktere und Wahrnehmungen betont.

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