„Wie nennt man einen traurigen Kaffee?“, fragt die schüchterne Fran (Daisy Ridley) ihren neuen Bürokollegen Robert (Dave Merheje), der „Keine Ahnung“ antwortet. Frans Antwort auf ihre eigene Frage: „Depresso.“ Für ihre Verhältnisse ist dieser Witz schon eine kommunikative Eruption, denn Fran verhält sich am Arbeitsplatz sehr zurückhaltend und distanziert. Man könnte fast sagen: menschenscheu. Denn auch zu Hause, in der stets aufgeräumten Wohnung in einer Kleinstadt in Oregon, wartet niemand auf die Singlefrau um die 30, nicht einmal ein Hund.
Fran kann gut Tabellen erstellen und ist stolz darauf; sie liebt ihren Job. Ansonsten führt sie ein eintöniges Leben, das von vielen Routinen geprägt ist. Für Abwechslung sorgt nur ihre Fantasie, denn Fran gibt sich immer wieder morbiden Tagträumen hin, in denen sie sich ihren Tod an unterschiedlichen Orten vorstellt. Unterlegt mit dem eigenwilligen, manchmal auch schwelgerischen Soundtrack von Dabney Morris sieht man in „Daydreams“, wie Fran an einem Holzhaufen am grauen Sandstrand liegt, wie sie mit ihrem Auto verunglückt oder wie sie auf einem grünen Moosbett im Wald ruht, während Insekten auf ihren bleichen Gliedmaßen herumlaufen.
Aus ihrem Schneckenhaus heraus
Doch dann verabschiedet sich die ältere Kollegin Carol (Marcia DeBonis) in den Ruhestand, und ihren Schreibtisch übernimmt der neue Kollege Robert, der aus Seattle übergesiedelt ist. Dieser kahlköpfige Robert ist warmherzig, redselig und kontaktfreudig. Er verwickelt Fran im Firmenchat in ein lockeres Online-Gespräch und lädt sie ins Kino ein. Der Film gefällt ihr zwar nicht, aber Robert lässt sich nicht so schnell vergraulen und lockt die junge Frau abermals aus ihrem Schneckenhaus. Allerdings will sie partout nichts Persönliches von sich preisgeben.
Der Independent-Film der US-Regisseurin Rachel Lambert heißt im Original „Sometimes I Think About Dying“ und beruht auf dem gleichnamigen, rund zwölfminütigen Kurzfilm der Regisseurin Stefanie Abel Horowitz, dessen Geschichte wiederum auf dem Theaterstück „Killers“ von Kevin Armento aus dem Jahr 2014 beruht. Horowitz hatte mit Katy Wright-Mead und Armento nicht nur das Drehbuch zu dem kurzen Romantikdrama geschrieben; das Trio verfasste auch das geradezu minimalistisch anmutende Skript zur abendfüllenden Variante. Im Kurzfilm spielt Wright-Mead nicht nur die verhuschte Fran, sondern fungiert auch als Erzählerin. Durch ihre Voice Overs wirkt der Kurzfilm erheblich plotgetriebener und dynamischer; dafür entfaltet der Langfilm nun deutlich mehr Poesie und Atmosphäre und wartet mit faszinierenden Bildfindungen zu Frans Todesfantasien auf.
Die visionären Sequenzen schüren zu Beginn die Erwartung, dass sich Lamberts dritter Film nach „In the Radiant City“ (2016) und „I Can Feel You Walking“ (2021) vor allem mit Sterben und Tod befasst. Die Regie macht jedoch schnell klar, dass im Zentrum des bedächtigen Filmdramas keine Suizidneigung, sondern Einsamkeit und Selbstisolation stehen. Im Grund schaut die scheue Protagonistin, die im Film erst nach rund 20 Minuten spricht, tatenlos zu, wie das Leben an ihr vorbeifliegt. Die Außenseiterposition, in die sich Fran am Arbeitsplatz manövriert hat, fällt umso mehr auf, als ihre Kolleginnen und Kollegen, die fast alle derselben Altersklasse angehören, gerne ein Schwätzchen halten und sich teilweise auch privat zur fröhlichen Party treffen.
Die Figur bleibt unzugänglich
Das zentrale Problem der minimalistischen Inszenierung ist, dass so gut wie nichts über die Vorgeschichte der introvertierten Außenseiterin verraten wird, die in ihrer eigenen Welt gefangen zu sein scheint. So wie Fran gegenüber Robert fast nichts über sich erzählt und damit die Barrieren für eine weitere Annäherung sehr hochlegt, bleibt sie auch für das Publikum unzugänglich und fremd.
Regie und Drehbuch gestehen der Figur lange Zeit kaum eine innere Entwicklung oder seelische Reifeprozesse zu. Erst kurz vor Schluss macht die leidgeprüfte Fran einen sprunghaften Fortschritt. Das führt auch zu mancheni Längen im Erzählfluss, der ohnehin träge und ohne größere Überraschungsmomente dahinplätschert. Und wenn sich die Autorinnen doch mal eine überraschende Sequenz wie ein Finde-den-Mörder-Spiel bei einer Party ausgedacht haben, dann wird diese unnötig ausgewalzt und wirkt durch das exaltierte Getue der exzentrischen Figuren wie eine überflüssige Kopfgeburt.
Dass man als Zuschauer angesichts dieser Schwächen dennoch dabeibleibt, liegt vor allem an der eindringlichen darstellerischen Leistung der Hauptdarstellerin Daisy Ridley. Ihr gelingt es mühelos auch ohne viele Worte, die Gemütszustände dieser idealtypischen Verkörperung einer „grauen Maus“ zu vermitteln. Vor allem aber vermag Ridley in Mimik und Gestik die feinen Erschütterungen zum Ausdruck zu bringen, die ihr schließlich den Weg aus der Vereinsamung eröffnen. Der kanadische Stand-up-Comedian Dave Merheje hat als redseliger, zuweilen auch etwas tollpatschiger Neuling weniger Gelegenheit zur schauspielerischen Entfaltung, bildet mit Ridley aber ein bezwingendes Team.