Misty - The Erroll Garner Story

Dokumentarfilm | Schweiz/Frankreich/Deutschland 2024 | 104 Minuten

Regie: Georges Gachot

Der US-amerikanische Pianist Erroll Garner (1921-1977) war ein Jazzmusiker, der mit seiner Virtuosität am Klavier für Staunen und Bewunderung auf Konzertbühnen und bei Fernsehauftritten sorgte. Der Dokumentarfilm schöpft aus dem reichen Archivmaterial der Auftritte und macht es sich zur Aufgabe, den Musiker, der keine Noten lesen konnte und auf der Bühne am liebsten improvisierte, der Vergessenheit zu entreißen. Dazu fährt der Film zahlreiche Lobeshymnen von damals bis heute auf, gerät darüber aber einseitig und wenig dramatisch, zudem widmet er sich zu ausführlich der wenig bekannten, aber auch nicht sehr ergiebigen privaten Seite des Künstlers. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
MISTY - THE ERROLL GARNER STORY
Produktionsland
Schweiz/Frankreich/Deutschland
Produktionsjahr
2024
Produktionsfirma
2 Pilots Filmprod./Achtung Panda!/Gachot Films
Regie
Georges Gachot
Buch
Georges Gachot · Paolo Poloni
Kamera
Filip Zumbrunn
Musik
Ernest McCarty · Nils Petter Molvaer
Schnitt
Hansjörg Weissbrich · Olaf Voigtländer · Stefan Krumbiegel · Vincent Pluss
Länge
104 Minuten
Kinostart
23.01.2025
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
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Doku über den Jazz-Musiker Erroll Garner (1921-1977), der in den 1950er-Jahren zu den bestbezahltesten Interpreten zählte.

Veröffentlicht am
10.07.2025 - 15:02:13
Diskussion

Folgt man den aktuellen Versionen der Jazz-Geschichtsschreibung, dann fungiert der virtuose Pianist und Improvisator Erroll Garner (1921-1977) darin nur noch als etwas umfangreichere Fußnote. So kann man etwa bei Ted Gioia lesen, dass Garners große Popularität beim Mainstream-Publikum ähnlich wie die von Oscar Peterson, Nat King Cole, George Shearing, Ahmad Jamal oder Dave Brubeck darauf beruhte, dass sie eine „freundliche“ Alternative zu den modernistisch-vertrackteren Spielweisen eines Thelonious Monk, Lennie Tristano oder Bud Powell im Angebot hatten.

Der Mann mit 40 Fingern

Dass Erroll Garner nach seinem frühen Tod in Vergessenheit geriet, ist als Euphemismus umso erstaunlicher, wenn man das umfängliche zeitgenössische Archivmaterial mustert, auf das der Schweizer Regisseur Georges Gachot für seine Dokumentation „Misty – The Erroll Garner Story“ zurückgreifen konnte. Hier ist nämlich alles superlativ! Garner, dessen Talent bereits im Kindesalter bemerkt wurde, gilt Zeitgenossen als Naturgenie, als einer, für den das Klavier überhaupt erfunden wurde. Ein „Mann mit den 40 Fingern“, der virtuos mit beiden Händen völlig unabhängig und technisch mehr als brillant zu swingen wusste.

Geradezu aufdringlich bedient sich Gachot in den Archiven, um immer neues Material aus zahlreichen US-Fernsehshows zu präsentieren, die zumeist staunend und bestens gelaunt ein Genie vorstellten. Schwärmerische Exposition reiht sich an Exposition – und das Genie macht gute Miene dazu. Nur die Kunst, die Garner mitgebracht hat, wird eher rasch ad acta gelegt, um dann an anderer Stelle lieber darüber zu sprechen. Auch hier ist nur Gutes zu hören, und auch das Staunen darüber, wenn Außenstehende fragen: „Who is Erroll Garner?“

Geprobt wurden während des Konzerts

Im präsentierten Archivmaterial macht Garner zuverlässig einen professionell-freundlichen Eindruck. Ihm scheint es darum zu gehen, das Publikum gut zu unterhalten. Dass er keine Noten lesen konnte oder wollte, macht sein Spiel noch spektakulärer. Er erzählt davon, dass er bereits als Kind nach Gehör spielte und dass seine Technik als fehlerhaft eingeschätzt wurde, was seine unorthodoxe Spielweise plausibilisiert. Garner übernahm in seinen mitunter um einen Perkussionisten erweiterten Trios sämtliche Soli, kommunizierte weder Titel noch Tonarten, was von den anderen Musikern allergrößte Aufmerksamkeit erforderte. Was das genau bedeutet, kann man im Film miterleben, wenn zwei seiner früheren Mitspieler versuchen, auf einen Mitschnitt Garners einzusteigen. Geprobt, so wird erzählt, wurde auf der Bühne, beim Konzert.

Es gilt, hübsch nostalgisch: Jazz ist „Performer’s Art“, nicht etwa „Composer’s Art“. Und: Ein Jazz-Konzert muss keine Universitätsvorlesung sein, sondern darf durchaus Spaß machen. Und wenn es Spaß macht, darf man das auch zeigen. Gibt Garner, der seine Platten gerne „in one take“ einspielte und keine zwei gleichen Versionen von „Misty“ spielen konnte oder wollte, lächelnd zu Protokoll.

Im Film heißt es dazu einmal, dass sein Auftreten „auf witzige Weise mysteriös“ gewesen sei, womit wohl auch impliziert ist, dass sich Garner im öffentlichen Umgang auf professionelle Weise unverbindlich gegeben hat. Die für die Dokumentation befragten Ex-Kollegen bestätigen dagegen, dass Garner privat sehr umgänglich und empathisch gewesen sei.

Ein halbes Erdnussbutter-Sandwich

Immerhin gilt: Garners Karriere ist, so betrachtet, eine, zumal für die Zeit (fast), erstaunlich ungetrübte Erfolgsgeschichte. Nach ersten Erfolgen in Nachtclubs etablierte sich der Pianist, unterstützt von seiner Managerin Martha Glaser, in den 1950er-Jahren als am besten bezahlten Jazz-Attraktion, dessen Alben wie „Concert by the Sea“ sich millionenfach verkauften. Glaser war es auch, die es durchsetzte, dass Garners Konzerte ohne „Rassentrennung“ stattfinden konnten. Darauf angesprochen, ob es ihm Nachteile eintragen habe, „being brown“ geboren zu sein, verneint Garner stets. Trotzdem musste er in einer TV-Show spontan darauf reagieren, dass ihm vom Moderator etwas unmotiviert ein halbes Erdnussbutter-Sandwich angeboten wurde.

Es mag sein, dass George Gachot die Ergebnisse seiner Rekonstruktion einer „vergessenen“ Musikerkarriere etwas zu undramatisch erschienen ist. Wahrscheinlich wäre das etwas anders ausgefallen, wenn er mittels weiterer Zeitzeugen und Pianisten-Kollegen die eigentümliche Position Garner in der Jazz-Geschichte schärfer profiliert hätte. Gachot aber hat sich für die wenig bekannte private Seite Garners entschieden, was letztlich zu ausführlichen, aber wenig aussagekräftigen Auftritten seiner letzten Partnerin und der nie anerkannten Tochter führt, die sich hier vor laufender Kamera erstmals begegnen. In Garners Testament wurde beide offenbar nicht bedacht, was zu einer etwas langatmigen Hausbesichtigung aus der Ferne führt.

Virtuosität und Spielwitz

Fast so mysteriös ist die Entscheidung des Filmemachers, sich für den erweiterten Soundtrack von „Misty – The Erroll Garner Story“ ausgerechnet der Mitwirkung des Trompeters Nils Petter Molvaer zu versichern, der hier mehrfach etwas unmotiviert Melancholie einspeist. Hier wäre die Entscheidung, die Virtuosität und den Spielwitz Garners zu veranschaulichen, vielleicht sogar im Kontrast zu Bud Powell oder auch im Vergleich zu Art Tatum wirklich ein Plus gewesen.

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