Poison - Eine Liebesgeschichte
Drama | Luxemburg/Niederlande/Deutschland 2024 | 89 Minuten
Regie: Désirée Nosbusch
Filmdaten
- Originaltitel
- POISON
- Produktionsland
- Luxemburg/Niederlande/Deutschland
- Produktionsjahr
- 2024
- Produktionsfirma
- Deal Productions Phanta Film/Studio Hamburg UK/Letterbox Filmproduktion/arte
- Regie
- Désirée Nosbusch
- Buch
- Lot Vekemans
- Kamera
- Judith Kaufmann
- Musik
- Fons Merkies · Laurens Goedhart
- Schnitt
- Michiel Reichwein
- Darsteller
- Tim Roth (Lucas) · Trine Dyrholm (Edith)
- Länge
- 89 Minuten
- Kinostart
- 30.01.2025
- Fsk
- ab 6; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 14.
- Genre
- Drama | Literaturverfilmung
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Ein Mann und eine Frau, die früher einmal verheiratet waren und sich lange nicht mehr gesehen haben, geraten auf dem Friedhof in neuerliche Auseinandersetzungen über den damaligen Tod ihres Kindes.
Keiner von beiden will an diesem Ort sein. Der forsche Schwung, mit dem der Mann (Tim Roth) am Morgen noch bei Dunkelheit sein Haus verlassen hat und ins Auto gestiegen ist, hat sich in kurzer Zeit verflüchtigt. Pausen auf der Fahrt zögern die Ankunft hinaus. Die letzte macht er noch an dem Stausee unmittelbar vor seinem Ziel, der luxemburgischen Kleinstadt Vianden. Ist es für ihn ein Weg von mehreren Stunden, bis er angekommen ist, muss seine frühere Frau (Trine Dyrholm) nur einmal mit dem Fahrrad durch eine enge Gasse der mittelalterlichen Stadt den Berg hinunterfahren, bis sie den Friedhof erreicht hat. Nahe beim Fluss Our gelegen, hat der Ort etwas Friedliches und zugleich Fragiles; schon ein kleines Hochwasser könnte die Gräber überfluten.
Jetzt führt kein Weg mehr daran vorbei
Aktuell scheint noch eine andere Gefahr zu drohen. Als industrielle Altlast soll Gift im Boden sein. Die Stadt sieht wohl keine andere Möglichkeit, als einige Gräber zu verlegen. Auf diese Nachricht seiner Exfrau Edith hin hat sich Lucas durchgerungen, in den Ort zurückzukehren, den er vor zehn Jahren verlassen und seitdem gemieden hat. Auch mit Edith hat er in dieser ganzen Zeit nicht gesprochen. Doch nun führt kein Weg daran vorbei, denn von der Umbettung ist auch das Grab ihres tödlich verunglückten Sohns betroffen. In der Aussegnungshalle warten beide auf einen Vertreter der Verwaltung, um die Angelegenheit zu besprechen.
Die luxemburgische Schauspielerin Désirée Nosbusch beginnt ihr Regiedebüt „Poison - Eine Liebesgeschichte“ mit rund zehn Minuten weitgehender Stille. Es ist die Ruhe vor dem (Dialog-)Sturm in der Adaption des Theaterstücks „Gift“ der Niederländerin Lot Vekemans, das innerhalb weniger Stunden an dem eng definierten Schauplatz des Friedhofs spielt und das frühere Ehepaar mit den unverheilten Wunden seines Lebens konfrontiert.
Was vor einem Jahrzehnt einen Graben zwischen Edith und Lucas gerissen hat, enthüllt sich in den ersten Dialogsequenzen. Ihr junger Sohn Jacob ist von einem Auto überfahren worden. Lucas hat Edith bald darauf verlassen. Die Umstände beim Tod des Kindes (Wer hat nicht aufgepasst?) und bei Lucas’ einseitigem Bruch des Zusammenlebens (Warum ist er einfach gegangen?) sind in all der Zeit nicht geklärt worden, während beide Elternteile allein mit ihrer Trauer umgehen mussten.
Nur nicht an einem Fleck bleiben
Der Gesprächsbedarf ist also groß, die Bereitschaft dazu aber weniger, denn die beiden geraten schnell und immer wieder an einen Punkt, an dem sie den Dialog am liebsten abbrechen möchten. Nosbusch und die Kamerafrau Judith Kaufmann nutzen dies zur filmischen Emanzipation von den räumlichen Grenzen der Bühnenvorlage. Die Figuren scheinen sich geradezu zu wehren, an einem Fleck zu bleiben. So verlagert sich die Aussprache von der Halle nach draußen zwischen die Gräber, in die Friedhofskirche und auf die Straße, während die räumliche Distanz zwischen den beiden Figuren an jedem Ort variiert, mal geringer und mal wieder größer wird.
Das funktioniert als inszenatorisch naheliegender, gleichwohl effektiver Spiegel des Verhältnisses zwischen Edith und Lucas, die sich lange gekannt haben und jetzt nicht nur die gemeinsame Vergangenheit aufrühren, sondern sich auch gegenseitig berichten, was sich seit der Trennung bei ihnen ereignet hat.
Das wird auch bald ihr größter Streitpunkt, weil es auf grundlegend unterschiedliche Formen des Umgangs mit dem Tod hindeutet: Edith hat die Trauer nie losgelassen und ist im Gedenken an Jacob allein geblieben, Lucas dagegen erweckt zumindest den Anschein, mit seinem früheren Leben Frieden geschlossen zu haben. Beigetragen dazu hat seine neue Frau, die obendrein schwanger ist, sowie ein Buchprojekt über Jacob. Bei diesen Enthüllungen wird Edith zornig und sogar handgreiflich: „Seine Trauer so zur Schau zu stellen, ist erbärmlich!“ Doch Lucas teilt verbal nicht weniger drastisch aus und wirft seiner Exfrau vor, sich in Selbstmitleid zu suhlen.
Das Gift ist nicht nur im Boden
Die klaren Dialoge von Lot Vekemans, die ihr Stück als Drehbuch selbst adaptiert hat, spitzen sich vielfach auf Eskalationen zu, aus denen der Film ein packendes Kammerspiel macht. Die grundlegende Konstellation mit dem Unfalltod eines kleinen Kindes und dem Streit um Schuld und Trauer erinnert zwar stark an das US-Bühnenstück „Rabbit Hole“ von David Lindsey-Abaire und dessen Verfilmung. Doch wo dort Nebenfiguren und ein längerer Zeitraum für Abwechslung sorgen, ist „Poison“ ganz auf das emotionsträchtige Wiedersehen seiner beiden Figuren ausgerichtet. Und das umso mehr, als der Film auf Rückblenden verzichtet. Es versteht sich, dass das titelgebende „Gift“ nicht allein auf die Toxine im Erdboden anspielt, sondern auch auf den Umgang des ehemaligen Paares miteinander und die Frage, ab welchem Zeitpunkt das Zusammenleben unerträglich wurde.
Mit der Gefühlsverweigerung des Mannes und der Emotionalität der Frau wirken die Verhaltenszuschreibungen zu den Geschlechtern etwas klischeehaft. Nosbusch konterkariert diese kleineren Drehbuchschwächen aber durch eine kluge Besetzung und ihre Darstellerführung. Der britische Schauspieler Tim Roth ist fiebrig und alles andere als ein gefühlskalter Klotz, zumal er Lucas aus einer geduckten Haltung heraus spielt, die stete Verunsicherung ausstrahlt. Die Dänin Trine Dyrholm wirkt daneben größer als ihr Partner und nach außen hin robuster, spricht gefasster und mit tieferer Stimme als er; so erscheint Edith mehr im Reinen mit sich als Lucas, obwohl der Dialog das Gegenteil signalisiert. Eine Gegenläufigkeit, die „Poison“ zugutekommt, um das Rededrama um Verlust, Abhängigkeit, Wut, die Sehnsucht nach Erlösung und Hoffnung vieltönig zu halten. Am Ende haben Edith und Lucas beide recht. Es ist nicht möglich, alles hinter sich zu lassen. Aber es geht weiter.