Vielleicht ist der gebrochene Superlativ, der die Rockband Steppenwolf als „eine der legendärsten und zugleich rätselhaftesten Bands in der Geschichte der Rockmusik“ charakterisiert, etwas überkandidelt. Aber mehr als ein One-Hit-Wonder, dessen Hit „Born to be Wild“ geradezu ikonisch (und gerne auch mal ironisch) immer dann dudelt, wenn Motorräder (oder Vergleichbares) auf der Kinoleinwand erscheinen, ist die Band sicherlich. Zumindest, wenn man Beharrlichkeit und Zähigkeit als Qualitäten wertet, die durch Jahrzehnte tragen.
Begriffe, die Musikdokumentation von Oliver Schwehm zur ersten groben Einordnung der Band Steppenwolf anbietet, lauten: „Hard Rock“, „Arena Rock“, „Biker Band“, aber auch „Proto Punk“. Es bleibt dann Alice Cooper vorbehalten, grinsend beide Arme zur Chopper-Haltung zu heben, um darauf hinzuweisen, dass der größte Hit von Steppenwolf auf ewig davon zehrt, im Soundtrack von Dennis Hoppers New-Hollywood-Klassikers „Easy Rider“ einen prominenten Platz einzunehmen. Fast noch prominenter, nämlich in der famosen Eingangssequenz des Films, fungierte ein zweiter Song von Steppenwolf, fast schon ein Kommentar zur Handlung: „The Pusher“. Pro Drogenkonsum also, aber gegen Drogenhandel. Übrigens waren beide Hits Cover-Versionen.
John Kay & Nick St. Nicholas
Als Steppenwolf 1968 in Los Angeles auf der Bildfläche erschien, hatten einige der Musiker schon ein paar Jahre in verschiedenen Szenen Erfahrungen gesammelt. Regisseur Schwehm hat sich bei der Recherche auf zwei höchst unterschiedliche Protagonisten konzentriert: den Sänger John Kay, ehedem als Joachim-Fritz Krauledat im ostpreußischen Tilsit geboren, dessen Vater im Zweiten Weltkrieg an der Ostfront ums Leben kam, und den Bassisten Nick St. Nicholas, der als Karl Klaus Kassbaum in Plön als Sohn eines Marineoffiziers geboren wurde.
In den 1950er-Jahren wanderten die Familien Krauledat und Kassbaum nach Kanada aus, wo die beiden Musiker in der Folk-Boheme-Szene von Toronto bei „The Sparrows“ (später: „Sparrow“ aktiv waren. Dem Film gibt das die Gelegenheit, kurz darauf aufmerksam zu machen, dass zentrale Protagonisten der internationalen Folk-, Blues- und Rockszene wie Neil Young, Gordon Lightfoot, Joni Mitchell oder Ronnie Hawkins gleichfalls von Kanada aus die US-Szene „eroberten“.
Über New York geht die Recherche weiter an die Westküste nach Los Angeles, wo die Pop-Subkultur einen anderen Sound anschlug als im nördlicher gelegenen San Francisco. Aus „Sparrow“ wird auf Umwegen, aber ohne vorgängige Hermann Hesse-Lektüre, „Steppenwolf“, die sich ein dunkles, „dirty“ Image verpassen, das mehr an Sportwagen, Messern und Blondinen als an „Love & Peace“ interessiert schien.
Für Krauledat, der der Einfachheit halber längst John Kay gerufen wird und aufgrund einer angeborenen Sehschwäche eine dunkle Brille trägt, ist dieses Misstrauen gegenüber der Hippie-Ideologie Ausdruck seiner Erlebnisse in der Nachkriegszeit, was sich auch in seinen Texten spiegelt, die autobiografisch recht ungebrochen von traumatischen Erfahrungen handeln.
Dennis Edmonton alias Mars Bonfire
Schwehm hat sich aber nicht auf Interviews mit dem erstaunlich geerdeten Krauledat und dem eher flamboyanten Kassbaum beschränkt, sondern auch deren Umfeld, Familie, Freunde und noch lebende Mitglieder der Band, aber auch eine Reihe prominenter Fans wie Jello Biafra von „Dead Kennedys“, Taj Mahal, Klaus Meine („Scorpions“) oder Cameron Crowe befragt.
Als dritter Protagonist erhält der Komponist von „Born to be wild“, Dennis Edmonton, viel Raum, der sich unter dem reichlich LSD geschuldeten Namen Mars Bonfire als Solo-Songwriter versuchte. Die Tantiemen, die ihm „Born to be wild“ eintrug, garantierten ihm das Leben in Freiheit (und in freier Natur), das er mit dem Song, der ja nicht von Motorrädern, sondern von LSD handelt, beschworen hatte.
Zu diesen Gesprächen kommt noch reichlich Archivmaterial und eigenwillig aus dem Off kommentierte Privatfilme aus dem Hause Kassbaum.
Da Schwehm offenbar kein Material wegwerfen wollte, mäandert der Film mitunter orientierungslos zwischen Vergangenheit und Gegenwart und verläuft sich im Anekdotischen, wenn beispielsweise die Familie Kassbaum darüber sinniert, warum der Vater als Flottenkommandant der Kriegsmarine seinerzeit Hitler nicht einfach umgebracht habe, wo doch sogar ein gemeinsames Foto im Familienfundus existiert. Fürs Groteske zeichnet im Film ohnehin Kassbaum verantwortlich, der sich kurzhand in Nick St. Nicholas umbenannte, da er mit seinen Geburts-Initialen „KKK“ in den USA nur in bestimmten Milieus Anklang gefunden hätte.
Zur richtigen Zeit am richtigen Ort
Steppenwolf waren also mit ihrem „heavy“ Sound (Gitarre plus Orgel) und ihrem Image 1968 in Los Angeles zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Mit „Born to be wild“ lieferte die Band einer ganzen Generation den „Signature Sound“, verbunden mit und multipliziert durch den Einsatz im Film „Easy Rider“. Mit „Magic Carpet Ride“ folgte noch ein größerer und ein paar kleinere Hits. Die Bandmitglieder frönten ausgiebig einem psychedelischen Lifestyle und lieferten mit dem Album „Monster“ (1969) auch noch das politische Anti-Nixon-Anti-Establishment-Statement ab, das „Easy Rider“ gleichfalls vertreten hatte.
Zwischen 1968 und 1970 veröffentlichte die Band in wechselnden Besetzungen sieben Alben, bis sie sich 1972 erstmals auflöste. In Woodstock hätten sie auftreten sollen, wie Nick St. Nicholas klagt, aber John Kay hatte sich dagegen entschieden. Einmal wird dessen „deutsche Disziplin“ von Nick St. Nicholas nur halb ironisch beschworen. Nach 1972 kam es wiederholt zu teilweise konkurrierenden Reunions von Steppenwolf in immer wieder anderen Besetzungen, die beharrlich das Immergleiche exekutierten, weshalb die Liste ehemaliger Bandmitglieder erstaunlich lang ist. 2010 hat John Kay die Rechte an Steppenwolf verkauft; 2018 wurde ein allerletztes Konzert gespielt.
Am Brunnen vor dem Tore
Zum Finale des Films spielt Jon Kay ein Konzert in der Kirche von Arnstadt, wo er als Kind mit seiner Mutter auf der Flucht vor der Roten Armee schon einmal gelandet war. Mit einer Version von „Am Brunnen vor dem Tore“ schließt die ausufernde Recherche über die Geschichte von Steppenwolf, der mehr Konzentration auf das Wesentliche dienlich gewesen wäre. Wenn es denn im Zusammenhang mit „50 Jahre Steppenwolf“ etwas Wesentlicheres zu entdecken gäbe.