Eine Frage der Chemie
Drama | USA 2023 | 370 (acht Folgen) Minuten
Regie: Sarah Adina Smith
Filmdaten
- Originaltitel
- LESSONS IN CHEMISTRY
- Produktionsland
- USA
- Produktionsjahr
- 2023
- Produktionsfirma
- Aggregate Films/Apple Studios/Piece Of Work Ent.
- Regie
- Sarah Adina Smith
- Buch
- Lee Eisenberg · Elissa Karasik · Emily Fox · Susannah Grant
- Kamera
- Zack Galler · Jason Oldak
- Musik
- Carlos Rafael Rivera
- Schnitt
- Matthew Barbato · Geraud Brisson · Laura Zempel · Jack Cunningham · Daniel Martens
- Darsteller
- Brie Larson (Elizabeth Zott) · Lewis Pullman (Calvin Evans) · Aja Naomi King (Harriet Sloane) · Stephanie Koenig (Fran Frask) · Patrick Walker (Wakely)
- Länge
- 370 (acht Folgen) Minuten
- Kinostart
- -
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 16.
- Genre
- Drama | Literaturverfilmung | Serie
- Externe Links
- IMDb | JustWatch
Eine in den 1950er-Jahren spielende Serie über den Durchsetzungswillen einer jungen Wissenschaftlerin und die großen Fragen, die kleinste Moleküle aufwerfen.
Vor dem Fernsehstudio stehen aneinandergereiht die typischen langen Schlitten der 1950er-Jahre. Es herrscht reger Betrieb auf dem Parkplatz, kurz bevor drinnen die Aufzeichnung startet. Aus einer der pastellfarbenen Karossen steigt die nationale Berühmtheit der Nachmittagsunterhaltung schlechthin; ihr Name: Elizabeth Zott (Brie Larson). Die aparte Erscheinung vermittelt Episode für Episode ihrer Koch-Show „Supper at 6“, mit welchen Ingredienzien die perfekte Lasagne, das begnadetste Süppchen oder der formvollendete Apfelkuchen gelingt. Zott scheint vor den laufenden TV-Kameras gänzlich in ihrem Element, verzückt das Studiopublikum sowie die geneigten Zuschauer:innen vor den Bildschirmen der US-Haushalte.
Und doch war ihr Weg hinein in dieses Fernsehstudio der denkbar unwahrscheinlichste. Ein paar Jahre zuvor verdingte sich die junge Frau als Labortechnikerin in der Forschungseinrichtung einer Universität. Von den männlichen Laborkitteln wird sie schon mal „Sweetie“ oder „Young Lady“ genannt, dabei ist die smarte Elizabeth ihren Kollegen intellektuell haushoch überlegen. Wahrhaben will das von den Herrn Doktoren keiner. Ein onkelhaftes „Du bist nicht schlau genug“ hat Elizabeth mehr als einmal in ihrem Leben gehört.
Weiblicher Sonderling trifft auf sein männliches Gegenstück
Ihren Kolleginnen im Labor ist die Strebsame ein Rätsel. Sie fragen sich, warum Elizabeth nicht heiraten will und sich keine der hiesigen guten Partien schnappen mag. Eine der Sekretärinnen meldet Elizabeth zum Beauty-Contest an, die macht zunächst gute Miene zum erniedrigend sexistischen Spiel, rennt am Ende aber doch unter den pikierten Blicken ihrer Kolleginnen davon.
Außenseiterseelen mögen ein Leben in der Zurückgezogenheit dem alltäglichen Socialising vorziehen – begegnen sich aber zwei, schlägt das Aufeinandertreffen schnell Funken. So auch im Fall der Begegnung von Elizabeth Zott mit dem nicht minder brillanten Kopf Dr. Calvin Evans (Lewis Pullman). Evans gilt im Institut als ebenso genialer wie sonderbarer Fall. In Zeiten, in denen Joggen noch nicht als Volkssport anerkannt ist, peitscht sich der Ausnahmeforscher bis zur Erschöpfung durch die Vorortstraßen von Los Angeles, in seiner Garage steht außerdem ein Rudergerät, an dem er sich austobt, wenn unsortierte und wenig gute Gedanken seinen Geist heimsuchen. Der hagere Asket und Elizabeth Zott begegnen sich in der Cafeteria des Instituts und finden nach Anfangshürden einen tiefen Zugang zum komplexen Gemüt des jeweils anderen. Von Laborpartnern mit gemeinsamem Forschungsinteresse – den Nukleotiden, Grundbausteinen des Lebens – werden die beiden schnell zu Liebespartnern.
Die Paar-Geschichte weitet sich zum Gesellschaftspanorama
Das gemeinsame Leben bleibt dabei unkonventionell, den „perfekten Heiligabend“ verbringen Elizabeth und Calvin Seit an Seit am Labortisch. Ihr gemeinsames Projekt findet wenig Anklang bei der Institutsleitung. Der Sexismus in den 1950er-Jahren ist so ausgeprägt, dass ein Forschungsvorhaben schon dann als exzentrisch gilt, wenn nur eine Frau daran beteiligt ist.
Die Mid-Century-Epoche steckt auch in jeder Faser und Färbung des ausgeklügelten Produktionsdesigns der Serie des Showrunners Lee Eisenberg, der sich seine Sporen unter anderem im Writers’ Room der Bürofarce „The Office“ verdiente. Zuletzt war aus seiner Feder die gelungene Start-Up-Niedergangserzählung „WeCrashed“ bei Apple TV+ zu sehen. In „Eine Frage der Chemie“ ist Eisenberg ähnlich wie in der Romanvorlage daran gelegen, neben dem Fokus auf das geniale Forscherpaar ein amerikanisches Gesellschaftspanorama des boomenden Nachkriegsjahrzehnts ins Bild zu rücken.
Zu dem gehören auch die afroamerikanischen Nachbarn von Dr. Evans und Zott. Ein Schnellstraßenprojekt soll quer durch das überwiegend afroamerikanisch geprägte Viertel gezogen werden. Verhindern will dies unbedingt die in juristischer Hinsicht äußerst kundige Harriet Sloane (Aja Naomi King). Im Laufe der Erzählung werden sie und Elizabeth einander tief verbundene Komplizinnen. Der emanzipatorische Drive ihrer Freundin wirkt auf die Wissenschaftlerin ansteckend. Sie wird ihn an gänzlich unerwarteter Stelle öffentlichkeitswirksam zum Ausdruck bringen.
Nicht jede Geschichte, die zunächst vom großen Glück im Leben – dem einem Seelenpartner zu begegnen – erzählt, endet auch mit diesem. So auch „Eine Frage der Chemie“. Elizabeth Zott muss schnell lernen, zur Alleinunternehmerin in eigener Sache zu werden. Das Kind an ihrer Seite war nicht vorgesehen, doch welche Fügung im Leben ist das schon?
„Kochen ist Chemie, und Chemie ist Leben“
Zur Showikone steigt die Ambitionierte wider Willen auf. Zwar ist das Kochen, besser gesagt die Perfektion beim Kochen, das Steckenpferd der Forscherin, doch kann sie sich beim besten Willen nicht vorstellen, ihr Hobby zum Beruf zu machen. Ein einflussreicher TV-Produzent sieht das aber anders. „Supper at 6“ mit Elizabeth Zott in der alleinigen Hauptrolle als Vorköchin der Nation wird zu einer der erfolgreichsten Shows des Landes. Eine Frau in Hosen statt im kurzen Rock vor den TV-Kameras zu sehen, ist das stockkonservative Publikum noch nicht gewohnt. Neben Tipps zum perfekten Dinner schleust Elizabeth molekular-intellektuellen Sprengstoff unters Volk. Ihre weiblichen Zuschauer ermutigt Zott, es ihr gleichzutun und Karrieren in der höheren Bildung wie Forschung anzustreben.
Auch als Zuschauer ohne naturwissenschaftliche Ambitionen lernt man dabei so allerhand. Unter anderem auch, warum der PH-Wert von Hühnerhaut für den geglückten Konsum und Verdauungsvorgang von entscheidender Bedeutung ist. „Kochen ist Chemie, und Chemie ist Leben“, hört man Zott vor den Fernsehkameras sagen. Die Serie versteht es dabei auf ebenso geschickte Weise wie ihre Protagonistin, den Zuschauern ein intellektuell herausforderndes Programm, das von (Glaubens-)Fragen nach der Komplexität des Bewusstseins bis zur Biogenesis reicht, in unterhaltsam-eleganter Form unterzujubeln. Von den ersten Bruchstellen in der Gesellschaft, die wie schon in der Erfolgsserie „Mad Men“ von einem tiefgreifenden kommenden Wandel künden, erzählt Eisenbergs Show. Etwas ungelenk zeigt sich „Eine Frage der Chemie“ dabei nur an wenigen Stellen. Etwa dann, wenn die Story stellenweise aus der Perspektive eines Dr. Zott zugelaufenen Hundes erzählt wird. Lee Eisenberg versteht indes genug vom avancierten TV-Erzählen, um diese tierische Instanz aus der Romanvorlage schnell wieder fallenzulassen.
Zwei paradoxe Elementarteilchen
Die Prinzipien Chaos und Struktur fechten in den Bildern der achtteiligen Miniserie immer wieder einen Konflikt aus. Auch in den Klängen. Die beiden molekularbiologischen Asse Zott und Evans hören liebend gerne Jazz. Er frönt am liebsten den improvisierten Soundkaskaden des Free Jazz; sie bevorzugt Swing. Zwei paradoxen Elementarteilchen gleich, die sich einen Moment lang abstoßen, nur um sich im nächsten wieder anzuziehen, ein besonders wilder Tanz, ehe die Verbindung jäh und wahrscheinlich für immer abreißt. Einen klugen Ratschlag in Koch- wie Lebensfragen gibt Elizabeth Zott ihren Zuschauerinnen und Zuschauern noch mit auf den Weg: „Du kannst nicht jede Variable immerzu kontrollieren, manchmal verbrennt dir einfach die Lasagne im Ofen.“