Amen: Ein Gespräch mit dem Papst
Dokumentarfilm | Spanien 2023 | 82 Minuten
Regie: Jordi Évole
Filmdaten
- Originaltitel
- AMÉN: FRANCISCO RESPONDE
- Produktionsland
- Spanien
- Produktionsjahr
- 2023
- Regie
- Jordi Évole · Marius Sánchez
- Schnitt
- Judith Francisco · Òscar Hernando · Mònica Jové
- Länge
- 82 Minuten
- Kinostart
- -
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 14.
- Genre
- Dokumentarfilm
- Externe Links
- IMDb | TMDB | JustWatch
Dokumentarfilm über eine Gesprächsrunde zwischen Papst Franziskus mit spanischsprachigen Jugendlichen und jungen Erwachsenen über aktuelle Themen wie Missbrauch, sexuelle Identität und Migration.
„Wäre ich denn eine bessere Christin, wenn ich keine Feministin wäre?“ – „Gibt es in der Kirche Raum für Transsexuelle, nicht-binäre Personen und LGBT?“ – „Was verdienen Sie eigentlich?“ – „Haben Sie mit einem Missbrauchstäter gesprochen?“ – „Haben Sie sich schon einmal einsam gefühlt?“ – „Haben Sie ein Handy?“ – „Wissen Sie, was Tinder ist?“
Das alles sind Fragen, die zehn junge Erwachsene aus der ganzen Welt an Papst Franziskus richten. Sie sind für dieses Treffen nach Rom gekommen, um aus ganz unterschiedlichen Lebenszusammenhängen und Erfahrungen mit dem Kirchenoberhaupt zu sprechen. Mit dabei ist ein junger Spanier, der auf einer Schule des Opus Dei sexuell missbraucht wurde und danach erleben musste, wie sein Peiniger weitgehend straflos blieb. Ein Muslim aus dem Senegal, dessen Bruder auf einem Flüchtlingsboot nach Spanien fast ertrunken wäre. Eine strenggläubige Katholikin, die sich in Spanien vor Abtreibungskliniken stellt, um Frauen von ihrer Entscheidung abzubringen. Eine andere steht hingegen Frauen zur Seite, die eine Abtreibung hinter sich haben. Unter ihnen sind aber auch eine junge Mutter aus Kolumbien, die pornografische Inhalte fürs Internet entwickelt, eine Frau mit indischen Wurzeln, die unter dem Rassismus in den USA leidet, und eine Kolumbianerin, die nach massivem Mobbing in Spanien seelisch krank wurde.
In den Außenbezirken von Rom
Bei dem Treffen handelt es sich nicht um eine Privataudienz im Vatikan. Die Jugendlichen treffen das Oberhaupt der katholischen Kirche nicht in einem der repräsentativen Säle, die die Jahrhunderte dauernde Macht des Kirchenstaates ausstrahlen. Vielmehr verlässt Franziskus den Vatikan und begegnet seinen jungen Gesprächspartner:innen in einem Co-Working-Space in den Außenbezirken von Rom.
Als die spanischen Regisseure Jordi Évole und Márius Sánchez vor zwei Jahren Papst Franziskus fragten, ob er bei einem solchen Projekt mitmachen würde, war er schnell dazu bereit. Das Gespräch mit jungen Menschen, die nicht katholisch oder christlich seien, gehöre durchaus zu seinen seelsorgerischen Aufgaben, so der Papst. Er bat nur darum, dass alle Spanisch sprechen und dass zumindest ein Teilnehmer der katholischen Kirche angehören solle.
Auf die Wahl der zehn Männer und Frauen, die aus rund 200 Interessierten ausgesucht wurden, hatte der Papst keinen Einfluss. Von Anfang an war auch klar, dass die kritischen Themen, die die katholische Kirche derzeit umtreiben und die Gläubigen spalten, wie Immigration, Abtreibung, weibliche Priesterschaft, Homophobie und sexueller Missbrauch, zur Sprache kommen würden. Themen, die oft auch emotional an Grenzen führen. So kann der auf der Opus-Dei-Schule missbrauchte Juan seine Tränen kaum zurückhalten und findet nur schwer Worte.
Franziskus erweist sich dabei als empathischer, zurückhaltender Gesprächspartner, der aber auch klare Positionen bezieht: Für ihn könne es beim sexuellen Missbrauch in der Kirche nur eine Null-Toleranz-Politik geben. Familiärer Missbrauch würde in der Regel vertuscht, und diese interne Vertuschung sei auch die größte Versuchung innerhalb der Kirche. Für Franziskus ist dies Teil einer generellen „Kultur des Missbrauchs“, innerhalb derer die Verbrechen der Kirchenvertreter besonders heuchlerisch und widerwärtig seien.
Spuren des Kolonialismus
In den gegenwärtigen Diskussionen um Immigration und Rassismus und auch in den persönlichen Erfahrungen seiner Gesprächspartner werde, so der Papst, das „Gespenst der Sklaverei“ sichtbar. Hinter der skandalösen Migrationspolitik vieler Länder stecke der alte Kolonialismus. Bei der Immigration werde mit zweierlei Maß gemessen. „Ja, bei allem Respekt, es gibt Immigranten erster und zweiter Klasse. Wenn sie aus der Ukraine und diesem schrecklichen Krieg kommen, sind sie willkommen, und das ist auch gut so. Aber diejenigen, die aus Afrika kommen, sollen so schnell wie möglich wieder abgeschoben und zurückgeschickt werden“, klagt Papst Franziskus.
Auch beim Thema sexuelle Identität wird er deutlich: Die Kirche habe kein Recht, Menschen auszuschließen. Viele Hassprediger gegen Homosexualität würden die Kirche als Plattform nutzen, um eigene Probleme zu bewältigen. Auch Frauen, die abgetrieben hätten, dürfe die Kirche nicht ausschließen. Dennoch sei ein Embryo schon nach wenigen Wochen ein vollständiges menschliches Wesen; es ist ein grundlegendes ethisches Gebot, dass man seine Probleme nicht durch das Töten anderer Menschen lösen dürfe.
Auch bei der Frage weiblicher Priesterschaft weicht der Papst nicht von der offiziellen Doktrin ab: Die Priesterschaft sei männlich, die viel wichtigere Mutterschaft weiblich, die Kirche bestehe aus beiden Komponenten.
Sprechen und Zuhören
Schon zu Beginn des Films, wenn der Papst noch in seinem vollgestopften Arbeitszimmer zu sehen ist oder in der kargen Cafeteria frühstückt, ist eine andere, bescheidenere Kirche zu spüren, jenseits der prachtvollen Machtentfaltung des Vatikans. Es geht um einen Papst, der an der Kommunikation und am Austausch interessiert ist, und um einen Dialog, in dem er sich bescheiden, mitfühlend, aber auch entschlossen gibt. „Franziskus antwortet“, wie der Film im Original heißt, könnte auch „Franziskus hört zu“ heißen. Es ist Franziskus wichtig, aus ganz unterschiedlichen Positionen heraus miteinander zu sprechen und nicht dadurch einen Konsens zu schaffen, indem Konflikte einfach verschwiegen werden. Der Film vermittelt die ganz konkrete Utopie einer konstruktiven Streitkultur. Dabei bleibt es nicht nur beim Dialog zwischen Franziskus und den jungen Leuten. Als es um Abtreibung geht, diskutieren die Frauen plötzlich auch untereinander, und der Papst wird zum Publikum. „Danke, ich habe viel von euch gelernt“, sagt Franziskus zum Abschied. Dass der Film auch den Zuschauer überrascht und auf einen Lernpfad führt und dabei zugleich höchst unterhaltsam bleibt, ist sicherlich seine größte Leistung.