Literaturverfilmung | USA 2022 | 127 Minuten

Regie: Sean Anders

Nach seinem Tod ist der bekehrte Geizhals Ebenezer Scrooge im Jenseits zum „Geist der gegenwärtigen Weihnacht“ geworden und hat zahlreiche Menschenfeinde geläutert. Doch als er an einen als unbekehrbar geltenden Mann gerät, beginnen Selbstzweifel an ihm zu nagen. Das Spiel mit dem Weihnachtsklassiker von Charles Dickens besticht durch abenteuerliche dramaturgische Volten, mit denen der Stoff zur modernen Komödie über moralische Unsicherheiten und zu einem handfesten Musical ausgebaut wird. Zwar gelingt es erst in der zweiten Hälfte, die Songs flüssig in die Handlung zu integrieren, doch dann rundet sich der Film zu einem ausgelassen-tiefsinnigen Weihnachtsfilm. - Ab 10.
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Filmdaten

Originaltitel
SPIRITED
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2022
Produktionsfirma
Gloria Sanchez Prod./Maximum Effort/Mosaic
Regie
Sean Anders · John Morris
Buch
Sean Anders · John Morris
Kamera
Kramer Morgenthau
Musik
Dominic Lewis · Benj Pasek · Justin Paul
Schnitt
Brad Wilhite
Darsteller
Ryan Reynolds (Clint Briggs) · Will Ferrell (Geist der Gegenwart) · Octavia Spencer (Kimberly) · Patrick Page (Marley) · Sunita Mani (Geist der Vergangenheit)
Länge
127 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 10.
Genre
Literaturverfilmung | Musical | Tragikomödie | Weihnachtsfilm
Externe Links
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Eine gewitzte Fortschreibung von Charles Dickens’ Weihnachtserzählung: Nach seinem Tod hat der geläuterte Ebenezer Scrooge den Job als „Geist der gegenwärtigen Weihnacht“ übernommen und zahlreiche Menschenfeinde bekehrt. Dann bekommt er es mit einem echten Härtefall zu tun!

Diskussion

Kann sich ein Mensch ändern? Vom Grunde seines Herzens auf? Oder ist alles nur Berechnung, vorgeschobene taktische Täuschung? Bis sich ein böser Mensch zur guten Seite hin wendet, ist eine enorme Anstrengung vonnöten. Dazu bedarf es nicht nur eines äußeren Anstoßes, sondern vor allem einer inneren Bereitschaft. Charles Dickens hat darüber 1843 eine Erzählung geschrieben. In „A Christmas Carol“ und ihren unzähligen Theater-, Film- und Fernsehadaptionen konnte man nachvollziehen, wie schwer der Weg zur inneren Erkenntnis ist und wie viel Angstschweiß und sanfte Gewalt es braucht, damit das Fünkchen Menschlichkeit im geizigen Misanthropen Ebenezer Scrooge zu einem erleuchteten Weihnachtsbaum der Güte heranwächst.

So läuft es im Bekehrungsgeschäft

Dass es hinter den Kulissen eines immensen logistischen Aufwands bedarf, damit der „Geist der vergangenen Weihnacht“, der „Geist der diesjährigen Weihnachtsnacht“ und der „Geist der zukünftigen Weihnacht“ ihre Überzeugungsarbeit leisten und die „Christmas Carols“ wahr werden lassen können, davon nun erzählt „Spirited“.

„Wir sind im Bekehrungsgeschäft: Wir finden jemanden und wir ändern ihn“. So simpel ist das, und so lautet stets die Botschaft in den gut 200 Jahren, in denen der längst verstorbene Ebenezer Scrooge (Will Ferrell) im Jenseits die Geschäfte vom „Geist der diesjährigen Weihnachtsnacht“ übernommen hat. Seitdem hat er eine wunderbare Arbeit geleistet und so manchen Ignoranten, Geizkragen und Menschenfeind zur Stütze der Gesellschaft umgeformt. Ob es nun langsam an der Zeit wäre, an die Rente zu denken? Ja, aber auch nein, denn insgeheim glaubt Ebenezer immer noch nicht, dass das, was ihm mit anderen gelungen ist, auch für ihn selbst Gültigkeit besitzt, nämlich zu immerwährender Güte und Gutmütigkeit zu finden. Was würde mit ihm passieren, wenn er als Lohn für seine Leistungen im Himmel wieder zurück auf die Erde dürfte, um seinen Lebensabend erneut als Mensch aus Fleisch und Blut zu begehen? Würde er wieder zum alten, grimmigen Scrooge mutieren?

Ein abgrundtief böser Mensch

Nein, das will er auf gar keinen Fall! Dann übernimmt er doch lieber einen schier unlösbaren Fall, den sein Kompagnon aus Menschenfeind-Zeiten, Jacob Marley (Patrick Page), im himmlischen Organisationsbüro an ihn herangetragen hat. Marley hat inzwischen Leiter des Himmelsimperiums und hat als Obergeist die Verantwortung der Menschenbekehrung inne. Sein schwerster Fall ist seit Generationen Clint Briggs (Ryan Reynolds), der als Kind die Gefühlskälte seiner Mutter studierte und diese Eigenschaft als Grundtugend für sein Geschäft auserkoren hat. Als er die junge Tochter seiner früh verstorbenen Schwester Carrie (Andrea Anders) zur Schulsprecherin machen soll, setzt er seine beste Mitarbeiterin Kimberly (Octavia Spencer) auf Carries jungen Widersacher an, um dessen Karriere und Leben zu vernichten. Briggs ist ein schlechter Mensch. Und das ist es gerne!

Doch obwohl Briggs als unbekehrbar gilt, will der „Geist der diesjährigen Weihnachtsnacht“ alias Ebenezer Scrooge es dennoch versuchen, ihn auf einen anderen Pfad zu locken. Deshalb fährt er seinerseits sein ganzes Team um den „Geist der vergangenen Weihnacht“ alias Past (Sunita Mani) und den „Geist der zukünftigen Weihnacht“ alias Yet-To-Come (Loren Woods) samt des kompletten himmlischen Handwerker- und IT-Teams auf, um Briggs sein miserables Dasein vor Augen zu führen.

„…und dann singen wir drüber!“

„Wir finden jemanden und wir ändern ihn…“, sagte Scrooge, als der Prolog zu „Spirited“ noch nicht einmal richtig begonnen hat. „… und dann singen wir drüber!“, gehört auch noch zu seinem Versprechen. Aber warum singen sie? Weil „Spirited“ ein Musical ist! Damit verlängern sich Vorspann und Prolog um fünf Minuten wegen des ausgelassenen Openers „That Christmas Morning Feelin‘“, bei dem ganz galant in die Location im Himmel eingeführt wird. Und so erhält die Dickens-Geschichte – neben dem unglaublich originellen Plot-Twist – auch noch eine Singspiel-Note.

Bis gut zur Hälfte der von Sean Anders inszenierten Adaption ist diese allerdings eher unerheblich, mitunter sogar etwas störend. Viel spannender ist es, Will Ferrell und Ryan Reynolds dabei zuzuschauen und zuzuhören, wie sie sich gegenseitig davon zu überzeugen versuchen, der überlegenere Part zu sein. Begleitet von originellen Einfällen der Set- und Special-Effect-Designer, wird ein Feuerwerk an Gags abgebrannt, das mal gehässig, mal tiefsinnig die Relativität von Gut und Böse vor Augen führt. Was – wie so häufig – eine Frage des Standpunktes ist.

Maßgeblichen Anteil am Gelingen des Ringens um die Frage, wer von beiden der Bessere ist und wer eher zum Bekehren des jeweils anderen beiträgt, haben auch die Nebenrollen. Allen voran Octavia Spencer als Kimberly, die sich Schritt für Schritt vom herzlosen Gebaren ihres Chefs Briggs abwendet und daher plötzlich (und ungewollt) in dessen Traumwelt einbricht und (zunächst unwissentlich) Teil von Scrooges Bekehrungsplan wird. Dass sich dieser als (Noch-)Geist auch noch in die ebenso irdische wie patente Frau verliebt, gehört zu den vielen weiteren originellen Drehbuch-Einfällen.

Ist die Musik also eine Fehlentscheidung? Zu Beginn wirkt es fast so, da Melodie und Gesang ein wenig so klingen, als hätten Benj Pasek und Justin Paul ihre Kompositionen aus „La La Land“, „Greatest Showman“ und „Dear Evan Hansen“ in den Computer gefüttert und den Algorithmen ihren Job machen lassen. Musikalisch, textlich und dramaturgisch wirken einige ihrer Nummern arg redundant. Doch das Blatt wendet sich, wenn Will Ferrell und Octavia Spencer zu ihrem Liebesduett „The View From Here (Riverwalk)“ ansetzen. Hier begleitet die Musik erstmals nicht den Dialog, sondern das Gefühl der Protagonisten. Es ist der Wendepunkt, ab dem die „Sophisticated Comedy“ mit dem Musical harmonisch zusammenfindet und zu mehr wird als der Summe der Einzelteile: „Spirited“ wächst so zur gelungenen Musical-Comedy zusammen. Und wenn dann alle im Finale als Reprise nochmals die Anfangsnummer singen, nimmt man ihnen ab, dass sie es ernst meinen mit dem „We are full of that Christmas Morning feeling!“. „Spirited“ ist darüber zum schönen Weihnachtsfilm geworden, der die vielen Variationen von Dickens‘ Erzählung originell bereichert.

 

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