Adam lebt mit seiner Familie in einem kleinen Ort an der Küste von Ägypten. Er hat zwei jüngere Brüder. Die Mutter ist bei der Geburt des Jüngsten gestorben. Mit seinem Vater rudert Adam jeden Morgen aufs Meer hinaus, um Fische zu fangen. Sein sehnlicher Wunsch aber ist es zu studieren. Der Imam des Dorfes unterstützt ihn dabei. Adam hat Glück: Er erhält ein staatliches Stipendium und wird an die al-Azhar-Universität von Kairo aufgenommen.
Die im 9. Jahrhundert gegründete Hochschule ist eine der ältesten Universitäten und gilt als Zentrum des Islams; ihr Oberhaupt ist die höchste Autorität des sunnitischen Islams. Seine Position ist mit der des Papsts in der katholischen Kirche vergleichbar; „Fatwas“ (Empfehlungen) des Großimams sind begehrt und nicht nur in Gesetzesfragen von großer Bedeutung. Doch Adam zögert, seinem Vater von seinem Glück zu erzählen. Sein jüngerer Bruder übernimmt dies; und der Vater akzeptiert unter der Prämisse, sich Gottes Entscheidung nicht entgegenstellen zu wollen.
Machtgerangel nach dem Tod des Großimams
Adam, der sein Dorf bisher noch nie verlassen hat, aber den Koran in- und auswendig kennt, findet sich nach einer längeren Busfahrt inmitten einer Heerschar weiße Kaftane und rot-weiße Azhari-Feze tragender Studenten wieder. Er staunt ob der immensen Größe des inmitten in der Stadt von der Außenwelt weitgehend abgeschotteten Gebäudekomplexes. Im Schlafsaal wird ihm eine Pritsche zugewiesen, wo er sich ein bescheidenes Lager einrichtet.
Ein Student namens Zizo nimmt sich seiner an. Er erklärt Adam, wie es an der al-Azhar-Uni läuft und zeigt ihm auch den Weg in die Stadt. Doch dann bricht der Großimam während einer Ansprache zum Semesterbeginn zusammen und stirbt. Der oberste Rat, ein Gremium von 27 Imamen, wird einberufen, das in geheimer Abstimmung den Nachfolger bestimmen soll. Damit bricht aber auch ein heftiges Machtgerangel aus, denn der Inhaber der höchsten religiösen Macht beeinflusst in Ägypten auch maßgeblich die Politik und das staatliche Geschehen.
Drei Kandidaten stehen zur Wahl. Der fundamentalistische Scheich Al Durani wird von den Muslimbrüdern unterstützt; den blinden Scheich Negm bewundert das Volk, und die Studenten verehren ihn wegen seiner Weisheit und Aufrichtigkeit. Der ägyptische Präsident favorisiert hingegen den regierungstreuen Scheich Omar Beblawi.
Mit der Benennung der Kandidaten setzt die eigentliche Handlung von „Die Kairo Verschwörung“ ein. Sie ist für ein mit den religiösen und staatlichen Machtverhältnissen und den verschiedenen politischen Strömungen unvertrautes Publikum nicht einfach zu verfolgen, aber spannend. Eine wichtige Rolle spielt dabei der Geheimdienst, vertreten durch den etwas wuschelig wirkenden, aber mit allen Wassern gewaschenen Offizier Ibrahim. Eine andere zentrale Rolle gehört Adam, auf dessen Person der Originaltitel „Boy from Heaven“ verweist.
Im Visier der Staatssicherheit
Adam beobachtet, wie Zizo ruchlos ermordet wird. Kurz darauf wird er von Ibrahim als „Engel“ rekrutiert; er soll dem Geheimdienst als Spion Informationen über das Geschehen im Inneren der Uni zutragen. Dies ist kein ehrenvolles Amt, sondern eine Aufgabe, der man sich aus Furcht vor der Staatssicherheit lieber nicht widersetzt.
Mit der Geheimpolizei hat Regisseur Tarik Saleh selbst Erfahrungen gemacht. 2015 wurde er kurz vor Drehbeginn seines Krimis „Die Nile Hilton Affäre“ aufgefordert, Ägypten zu verlassen. Seither gilt er in Ägypten als unerwünschte Person und kann das Land nicht mehr betreten, ohne eine Verhaftung befürchten zu müssen. „Die Kairo Verschwörung“ wurde deshalb nicht vor Ort, sondern größtenteils in der Türkei gedreht. Die in der al-Azhar-Universität spielenden Szenen sind in der Süleymaniye-Moschee in Istanbul entstanden.
Der Film lebt von einer atemberaubenden Bildlichkeit und führt ins Innere einer Männergesellschaft, die Außenstehende kaum je zu sehen bekommen. Kameramann Pierre Aïm besitzt ein gutes Auge für die Majestät der Architektur. Er weiß um die beeindruckende Kraft von Massenszenen und die Magie des Zusammenspiels von Farben; insbesondere die Szenen, in den die uniform gekleideten Studenten sich im Hof der al-Azhar-Uni für eine Kundgebung versammeln oder sich eine kleine Gruppe in einer riesigen Halle zum Gebet treffen, sind schlicht phänomenal.
Spionage in einer geschlossenen Organisation
Damit erinnert der Film unvermittelt an die Umberto-Eco-Verfilmung von „Der Name der Rose“. Gleichzeitig spielt „Die Kairo Verschwörung“ mit den Versatzstücken eines klassischen Spionage-Szenarios. Der Regisseur nennt Ecos Roman durchaus als eine Quelle der Inspiration; die Handlung und Figuren der Geschichte aber hat Tarik Saleh, von dem auch das Drehbuch stammt, weitgehend frei erfunden. Der Film steckt voller Verweise auf die gegenwärtige politische Situation in Ägypten. Die Auseinandersetzung mit dem islamischen Glauben und die Auslegung des Korans sind keine generelle Kritik an der Religion, sondern dienen dazu, die Handlung voranzutreiben.
Im Kern beschreibt „Die Kairo Verschwörung“ das Funktionieren von Macht und Autorität innerhalb einer von starken Hierarchien geprägten geschlossenen Organisation. Mehr oder weniger nebenbei geht es auch um einen unbescholtenen jungen Mann, der wegen seiner Herkunft aus einfachen Verhältnissen von allen unterschätzt wird, dies jedoch zu analysieren versteht und clever unterläuft.
Tawfeek Barhom spielt den seine Umgebung mit klugen religionsphilosophischen Auslegungen immer wieder verblüffenden Adam überzeugend zurückhaltend. Die Rolle Ibrahims hat der Regisseur Fares Fares anvertraut. Er spielt den Offizier, der im Laufe seines Lebens verschiedensten Herren diente und in der Vergangenheit Verwerfliches tat, um seine Karriere wie seine Haut zu retten, mit von großer Lebenserfahrung zeugender Gelassenheit und einer unerwartet aufflammenden Güte.
Ibrahim ist die spannendste, aber auch schillerndste Figur in einem Film, in dem jeder unter dem Deckmantel der ihm zugesprochenen weltlichen oder religiösen Funktionen seine Position zu wahren oder zu optimieren versucht. „Die Kairo Verschwörung“ fasziniert insbesondere dort, wo die Weltzugewandtheit und das mondäne Verhalten der al-Azhar-Angehörenden im krassen Gegensatz zu der von der Universität verkörperten Erhabenheit stehen: wenn Studierende sich für einen Kurzausflug in die Stadt aus einem Seitentor stehlen, in verborgenen Winkeln eine Zigarette rauchen oder unverhofft ein Handy zücken.
In diesen Momenten verströmt der Film, der zunächst so überwältigend wirkt, etwas von einem kleinen Internatsdrama. Die groß aufbereitete Geschichte, die tief in die fauligen Sümpfe undurchsichtiger Intrigen und verzwickter Machtspiele eintaucht und dabei vor der Darstellung ruchloser Gewalt und vor Unrecht nicht zurückschreckt, erhält dadurch etwas zutiefst Menschliches.