Eine einfache Geschichte, die mit einem Zufall beginnt und atemberaubend geduldig entwickelt wird. Ein junger Mann namens Xueming wird von einer Kuh, die die Straße versperrt, zum Abbiegen gezwungen, überfährt in der Dunkelheit einen Mann und begeht anschließend Fahrerflucht. Eine Frau, Mrs. Liang, sucht nach ihrem verschwundenen Mann. Der Unfallfahrer, von Schuldgefühlen umgetrieben, begegnet der Frau, sucht ihre Nähe und beginnt sie zu stalken.
Die Trauer der Frau, die längst weiß, dass sie Witwe ist, hält sich allerdings in Grenzen. Das erscheint auch plausibel, wenn man sie über ihren verstorbenen Ehemann sprechen hört. Die Polizei beginnt mit den Ermittlungen, da mittlerweile die Leiche gefunden wurde. In den Verhören finden sich reichlich Anhaltspunkte und Motive.
Viele Teile, kein Puzzle
Doch dann verkompliziert sich die Handlung, weil Mr. Liang wohlmöglich gar kein Unfallopfer gewesen ist, sondern bereits vor dem Unfall von mehreren Schüssen getroffen wurde. Die Geschehnisse werden noch undurchsichtiger, als die „Geschäftspartner“ des Toten nun auch dessen Witwe bedrängen, was wiederum ihren „Schutzengel“ Xueming auf den Plan ruft, der sich plötzlich in kriminelle Händel verwickelt sieht.
Was genau passierte an jenen Abend im Jahre 1997 wirklich? Ein blinder Sänger, der mit viel Selbstvertrauen „Are you lonesome tonight?“ zum Besten gibt, könnte als Zeuge taugen.
Die vielen Informationen dieses Puzzles wollen sich jedoch nicht so recht zu einem stimmigen Bild fügen, was auch damit zu tun hat, dass das Spielfilmdebüt von Shipei Wen zu unterschiedlichen Zeiten spielt und auch noch betont a-chronologisch und multiperspektivisch erzählt wird. Der sich an die Ereignisse jener Tage und Nächte im Jahre 1997 erinnernde und (vielleicht) reflektierende Xueming sitzt überdies im Gefängnis und wartet auf seine Entlassung.
Die Ordnung wieder hergestellt
„Style over substance“ lautet das Konzept von „Are you lonesome tonight?“, womit der Film wie eine Flaschenpost aus den 1990er-Jahren wirkt, als Filme wie „Days of Being Wild“ oder „Chungking Express“ international für Furore sorgten. Trotz der vielen Erzählfäden bleibt in „Are you lonesome tonight?“ vieles nicht nur geradezu betont im Ungefähren, sondern wird schließlich sogar mit viel Understatement qua Insert „abgerundet“, damit die Ordnung wenigstens pro forma wiederhergestellt ist.
Demnach war die Ehe von Mr. und Mrs. Liang nicht zuletzt deshalb unglücklich, weil der gemeinsame Sohn starb und Mr. Liang zu betrunken war, um Hilfe zu leisten. Es gibt aber auch die dubiosen Geschäfte von Mr. Liang mit (vielleicht) Waffenhändlern, die nicht nur zu seinem Ableben, sondern auch zu einer Tasche voller Geld führen, um die dann gerungen wird. Außerdem existiert ein Killer, der sehr kompetent seiner Arbeit nachgeht. Das alles ist nicht ohne Belang, aber doch eher ein auf Bewegung zielender „MacGuffin“. Ungleich interessanter ist das atmosphärisch gezeichnete Ambiente der Stadt Guangzhou, die nächtlichen Lichterspiele und die erstaunlichen Wetterumschwünge, das merkwürdig Ländlich-Urbane, aber auch die seltsamen Einschübe von Slapstick beim Waffenhandel, die aus einem ganz anderen Film zu stammen scheinen, und nicht zuletzt die aberwitzige Choreografie einer nächtlichen Verfolgungsjagd zwischen Xueming, dem Killer und der Polizei. Nicht zu vergessen: die grandiose Filmmusik von Hank Lee.
Eine Bewegung ins Helle
„Are you lonesome tonight?“ hat das Potential zu einer Vielzahl von Filmen unterschiedlicher Tiefe und Dichte. Am Schluss dieses stoisch ertragenen Albtraums bleibt eine Bewegung ins Helle – und ein herausragendes Debüt. Auf die weiteren Filme von Shipei Wen darf man gespannt sein.