Ivana die Schreckliche
Drama | Serbien/Rumänien 2019 | 86 Minuten
Regie: Ivana Mladenovic
Filmdaten
- Originaltitel
- IVANA THE TERRIBLE | IVANA CEA GRAOZNICĂ
- Produktionsland
- Serbien/Rumänien
- Produktionsjahr
- 2019
- Produktionsfirma
- Televiziunea Romana (TVR1)
- Regie
- Ivana Mladenovic
- Buch
- Ivana Mladenovic · Adrian Schiop
- Kamera
- Carmen Tofeni
- Schnitt
- Patricia Chelaru · Catalin Cristutiu
- Darsteller
- Amdrej Dinescu · Ivana Mladenovic · Zivka Sorejevic
- Länge
- 86 Minuten
- Kinostart
- -
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 16.
- Genre
- Drama
Semi-autobiografischer und semi-fiktionaler Film über die Heimkehr einer Schauspielerin in ihr serbisches Grenzstädtchen, bei dem mit improvisierten Szenen die erstickenden gesellschaftlichen Traditionen zum Vorschein gebracht werden.
In einem gut gefüllten Zugwagon auf dem Weg zur serbischen Grenze führen die Reisenden Gespräche, die zunächst beiläufig wirken. Eine Mutter erzählt von der gemeinsamen Yogapraxis mit ihrer Tochter. Die ihr gegenübersitzende Hauptfigur Ivana hört eine Weile höflich zu, bis sie immer öfter zum Luft schnappen auf den Gang flüchtet. Ein junger Mann mischt sich mit wertenden Kommentaren ein. Ivana wird von ihren Sitznachbarinnen forciert, ein Nagetier auf den Arm zu nehmen, das aus seinem Käfig gelassen wurde, was einige ältere Damen im Nachbarabteil dazu anstachelt, lautstark auf die junge Frau zu schimpfen.
Diese Szene, die nach der Vorlage einer albernen Komödie klingt, bleibt in „Ivana the Terrible“ irritierend sozialrealistisch. Das Verhalten der Mitreisenden wirkt befremdlich, doch auch nach längerer Beobachtung wird keine künstliche Dramatisierung erkennbar. Als Ivana am Bahnhof von ihren Eltern abgeholt wird, steigert sich ihre Luftnot zu einer handfesten Panikattacke. Die Eltern ignorieren ihre lautstarken Forderungen, ins Krankenhaus gebracht zu werden, und zerren ihre Tochter ins Auto. Zunächst geht es nach Hause, in die serbische Kleinstadt Kladovo.
Ungewöhnliche Form der Selbstinszenierung
Die Regisseurin Ivana Mladenovic übernimmt in ihrem Debütfilm gleich mehrere Rollen. Sie ist Mitautorin und Protagonistin eines autobiografisch geprägten Impro-Films, für den sie ihre eigenen Familienangehörigen und Bekannten in semi-fiktionalen Szenen orchestriert. Diese ungewöhnliche Form der Selbstinszenierung entwickelt sich zu einem ethnographischen Experiment, das die Probleme und Eigenheiten der serbischen Gesellschaft aufzeigen, aber auch ihr Verhältnis zum Nachbarland Rumänien auszuloten will.
Eine klar erkennbare dramatische Handlung gibt es damit nicht. Stattdessen entwickelt Mladenovic längere Szenen, die sie nur lose miteinander verschränkt. Ausgangspunkt ist dabei stets die Frustration der Protagonistin, welche sich als dauerhafte Hypochondrie entpuppt und sich zu einem roten Faden des Films entwickelt. Ivana fühlt sich erstickt von ihrer Umwelt, das lässt sich unschwer erkennen. Denn wie schon im Zugabteil wird sie ständig von anderen ungefragt angegangen. Ihre Großmutter hat nicht nur ihr Zimmer okkupiert, sondern auch die Schränke besetzt und ihre Tagebücher weggeworfen. Die Mutter setzt Ivana ungebeten Essen vor, das immer wieder hin und her wandert; ihr Liebesleben und ihre Berufswahl erfahren durch Bruder und Vater unerwünschte Kommentare.
Privatheit scheint nicht zu existieren
Da es Ivana im Nachbarland Rumänien als Schauspielerin zu mäßiger Berühmtheit gebracht hat, wird sie von einem Komitee als Ehrenbürgerin Kladovos vorgeschlagen, ein etwas zweifelhaftes Privileg, das ihr im Rahmen eines Musikfestivals verliehen werden soll. Als Patin dieser Veranstaltung schlägt sie den Aufritt eines progressiven Musikers vor, der allerdings auch ihr Ex-Freund ist, den sie seit Jahren nicht vergessen kann. Gleichzeitig ringt sie damit, ihr erotisches Verhältnis zu einem gerade erst volljährigen Jungen aus der Nachbarschaft vor der neugierigen Umgebung geheimzuhalten. Ein ziemlich unmögliches Unterfangen, da in Ivanas Welt Privatheit nicht zu existieren scheint.
Mladenovic fängt die schwer fassbare Mentalität an der serbisch-rumänischen Grenze durch die Variation des Ausgangsszenarios sehr gut ein. Immer wieder wird sie von Mitmenschen auf übergriffige Weise in Gespräche und Handlungen involviert, egal ob sie sich im privaten oder öffentlichen Raum befindet. Die traditionellen Familienstrukturen, in denen drei Generationen oft ein Leben lang in einem Haushalt zusammenbleiben, kennen keine exklusive Intimsphäre. Ivanas Versuche, sich durch ihre Hypochondrie dem Zugriff der anderen zu entziehen, scheitern, weil niemand ihre Symptome erst nehmen will.
Die Macht der Improvisation
Während der chaotischen Vorbereitungen des Musikfestivals taucht auch die nahe Vergangenheit Serbiens und Rumänien wieder auf. Die Feierlichkeiten finden vor einer Brücke statt, auf der die beiden Diktatoren Tito und Ceausescu einander vor Jahrzehnten die Hand reichten. Implizit bleibt die Nachkriegsgeschichte auch darüber spürbar, dass es kaum Situationen gibt, in denen zwei Menschen wirklich miteinander sprechen, anstatt nur unverbundene Wortsalven an ihr Gegenüber zu richten. Es ist anstrengend, diesen sehr unzusammenhängenden Dialogen zu folgen, und oft auch frustrierend.
Vor dem Hintergrund dessen, was Mladenovic mit „Ivanka the terrible“ als Ganzes vermitteln will, ist das filmische Verfahren aber durchaus gelungen. Unabhängig von der Vertiefung einzelner Figuren entsteht das Porträt einer gesellschaftlichen Mentalität, in dem durch die Improvisationen unerwartete und unbewusste Momente freigesetzt werden.