Tarpaulins
Filmessay | Österreich/USA 2017 | 78 Minuten
Regie: Lisa Truttmann
Filmdaten
- Originaltitel
- TARPAULINS
- Produktionsland
- Österreich/USA
- Produktionsjahr
- 2017
- Produktionsfirma
- Lisa Truttmann
- Regie
- Lisa Truttmann
- Buch
- Lisa Truttmann
- Kamera
- Lisa Truttmann
- Schnitt
- Lisa Truttmann
- Länge
- 78 Minuten
- Kinostart
- -
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 14.
- Genre
- Filmessay
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Betörender Essayfilm über Termiten und bunte Häuserhüllen, Migration und subversive Kunst an der US-Westküste.
„Termitenhafte Kunst: Körperhaftes Einwühlen in einen Bereich, ohne bestimmte Zielsetzung“, heißt es in dem viel zitiertem Essay „White Elephant Art vs. Termite Art“ von Manny Farber. Mit den sich gierig durchs Holz fressenden Insekten hatte der Maler und Filmkritiker 1962 ein anschauliches Bild für eine Form der nicht-repräsentativen, möglicherweise auch subversiven Kunstproduktion gefunden. Bevor „Tarpaulins“ bei Farber ankommt, ist auch der filmische Essay – ganz im Sinne seines Mentors – damit beschäftigt, ständig seine eigenen Begrenzungen „aufzufressen“.
So beginnt die Künstlerin und Filmemacherin Lisa Truttmann ihre mäandernde Betrachtung zunächst als ein Spiel mit dem Vokabular der Minimal Art oder auch Hard-Edge-Malerei. Kunststoffplanen in unterschiedlichen Farben werden bildfüllend in den Blick genommen. Dabei denkt eine Off-Stimme über Sinn und Zweck dieser Abdeckungen nach – und legt erst einmal eine falsche Fährte (ein Zirkuszelt), bevor sie zum eigentlichen Thema vorstößt.
Der Kampf gegen die „stillen Zerstörer“
„Ist wohl typisch Los Angeles“, denkt sich die Filmemacherin, als sie die allgegenwärtigen bunten, meist gestreiften Abdeckungen auf Häusern und Gebäuden entdeckt, die das Stadtbild mit ihrer irritierenden Präsenz stören – wie eine „ständige Berieselung, wie Schleichwerbung“. Nachforschungen führen ins Feld der Schädlingsbekämpfung.
Die titelgebenden Tarpaulins oder auch einfach nur „Tarps“ genannt, sind Zelte, in die ganze Einfamilienhäuser, Restaurants oder auch Yogastudios eingehüllt werden, um ihre winzigen Mitbewohner mit Giftgas unschädlich zu machen. Für Termitenkolonien ist die Westküste ein ausgesprochen nahrungsreiches Gebiet. Durch die geografische Lage in einem Erdbebengebiet wird vorwiegend mit Holz gebaut. Dabei machen die „stillen Zerstörer“ nur ihre Arbeit, wie ein Professor für Entomologie versichert: „Sie wissen es nicht besser.“ Den Termiten ist es nämlich herzlich egal, ob sie einen toten Baum oder einen gerade errichteten Dachbalken vor sich haben. Ihre Reviere, die der Film irgendwann von innen erkundet, gleichen nach einem Angriff dramatisch erodierten Landschaften.
Viele Stimmen, Töne und Geräusche
Truttmann lässt sich von den „Tarps“ regelrecht anfixen. Für die erst neu in die Stadt gekommene Filmemacherin entwickelt sich das Aufspüren der Zelte zu einem Projekt der Ortserkundung, einem Parcours: Lincoln Heights, Val Verde, Valley Village, Culver City, Mar Vista. Ihre Streifzüge durch Los Angeles finden in den Wegen der Termiten ein Echo – und in den Migrationsbewegungen derjenigen, die die Zelte auf- und abbauen. Die meisten Arbeiter sind Hispanics. Alejo kommt aus Sinaloa in Mexiko, 19 Fahrstunden von der mexikanischen Grenze entfernt, seine Erzählung ist aus dem Off zu hören.
„Tarpaulins“ kommt ganz ohne Talking Heads aus, die verschiedenen Stimmen setzen sich zu einer vielstimmigen Erzählung zusammen. Neben einem Schädlingsbekämpfer, einem Insektologen und einem Atmosphärenchemiker kommen unter anderem auch die Filmemacherin und ihr Alter Ego zu Wort. Aber auch die Termiten, mit denen der Film ein nahezu empathisches Verhältnis unterhält, haben eine Stimme. Mit ihrem Knistern sind sie auf der Tonspur präsent.
„Tarpaulins“ spinnt ein assoziationsreiches Geflecht, zu dem auch Sackgassen wie ein kurzer Exkurs zu den nur scheinbar artenverwandten Hüpfburgen gehören. Nicht zuletzt sind die Zelte für Truttmann als temporäre Skulpturen interessant. Mit viel Sinn für Formen und Texturen rückt die Filmemacherin die Materialität der Objekte in den Blick, ihre Symmetrien und Asymmetrien, ihre Beulen und Ausbuchtungen, die bei Wind entstehen, die Farben und Farbkombinationen und deren eventuell zeichenhaften Bedeutungen. Beständig wechselt der Film seine Perspektiven und Ebenen: von außen nach innen, von der Mikro- in die Makroebene, von der sachlichen Betrachtung zum subjektiven Erleben. Dieses Vorgehen könnte kaum besser beschrieben werden denn mit Manny Farbers Formulierung eines „körperhaften Einwühlens“.