Der Junge und die Wildgänse

Abenteuer | Frankreich/Norwegen 2019 | 113 Minuten

Regie: Nicolas Vanier

Ein 14-Jähriger ist wenig begeistert, als er die Sommerferien bei seinem Vater, einem Vogelkundler, verbringen soll. Bald aber lässt er sich anstecken von dessen Leidenschaft für bedrohte Wildgänse und startet schließlich sogar allein mit einem Ultraleichtflugzeug, um den Vögeln eine ungefährliche Route in ihr Winterquartier zu zeigen. Dramaturgisch wenig überraschende, aber handwerklich makellose Mischung aus Familiendrama, Coming-of-Age-Geschichte und Abenteuerfilm. Dank dem emotional packenden Drehbuch, liebevoll gezeichneten Figuren und prächtigen Naturaufnahmen kluge, sympathische und spannende Unterhaltung. - Ab 10.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
DONNE-MOI DES AILES
Produktionsland
Frankreich/Norwegen
Produktionsjahr
2019
Produktionsfirma
Radar Films/SND Groupe M6/France 2 Cinéma
Regie
Nicolas Vanier
Buch
Christian Moullec · Matthieu Petit · Lilou Fogli · Nicolas Vanier
Kamera
Éric Guichard
Musik
Armand Amar
Schnitt
Raphaele Urtin
Darsteller
Louis Vazquez (Thomas) · Jean-Paul Rouve (Christian) · Mélanie Doutey (Paola) · Fred Saurel (Bjorn) · Lilou Fogli (Diane)
Länge
113 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 10.
Genre
Abenteuer | Coming-of-Age-Film | Tierfilm
Externe Links
IMDb | TMDB | JustWatch

Heimkino

Verleih DVD
Capelight (16:9, 2.35:1, DD5.1 frz./dt.)
Verleih Blu-ray
Capelight (16:9, 2.35:1, dts-HDMA frz./dt.)
DVD kaufen

Ein Coming-of-Age-Film um einen 14-Jährigen, der vom Computerspieljunkie zum Vogel-Liebhaber wird und mutig ums Wohl der Tiere kämpft.

Diskussion

Die Freundschaft eines 7-Jährigen mit einem Hund im Frankreich der 1940er-Jahre. Ein 16-jähriger Rentierzüchter in Sibirien, der sich zwei Wölfen annähert. Ein Pariser Waisenjunge, der aufblüht, als er bei Verwandten auf dem Land die lokale Tier- und Pflanzenwelt kennenlernt. Soweit die groben Inhalte der letzten drei Filme von Nicolas Vanier: Kinder, Tiere, Natur – die Interessensgebiete des französischen Regisseurs liegen klar zutage. Auch seine dramaturgischen Konzepte scheinen sich zu gleichen: Stets geht es darum, mithilfe einer jungen männlichen Hauptfigur die unberührte Natur kennenzulernen, die Schönheit von Flora und Fauna und deren wohltuende Wirkung auf den Menschen zu feiern. Das wirkt zunächst ein wenig einseitig, muss aber kein Nachteil sein.

Vaniers aktueller Film bildet da keine Ausnahme: In „Der Junge und die Wildgänse“ wandelt sich der 14-jährige Thomas vom Computerspieljunkie zum begeisterten Hobby-Ornithologen. Als ihn seine Mutter für die Sommerferien zum getrennt lebenden Vater verfrachtet, der als Vogelkundler inmitten der französischen Camargue-Sümpfe lebt, ist der Teenager ziemlich entnervt. Doch als er Zeuge davon wird, wie aus den Gänse-Eiern, die der Vater von einer Wärmelampe „bebrüten“ lässt, Küken schlüpfen, weckt das sein Interesse. Und ganz um Thomas geschehen ist es, als er die kleine Nonnengans entdeckt, die aus Versehen in dem Zwerggans-Gelege landete: „Akka“ tauft er sein neues Lieblingstier.

Ein Junge schlüpft für die Vögel in die Eltern-Rolle

Mit Leidenschaft stürzt sich der Junge in die neue Aufgabe, „Mutter“ beziehungsweise „Vater“ für die Jungvögel zu spielen. Denn Thomas’ Vater Christian prägt diese nach dem Vorbild des österreichischen Zoologen Konrad Lorenz: Mit braunen Umhängen und weißen Käppis angetan, geben Vater und Sohn fortan die Erziehungsberechtigten der Tiere. Zusätzlich werden die Gänse an Motoren- und Hupgeräusche gewöhnt. Schließlich will Christian den Vögeln mit seinem Ultraleichtflugzeug eine ungefährliche Flugroute beibringen. Auf der sollen sie unbeschadet von Flughäfen, großen Städten und Jägern von ihrem zukünftigen Lebensort, der Arktis, im Winter in den warmen Süden kommen. So will der Wissenschaftler der stark minimierten Gattung der Zwerggans beim Überleben helfen.

Erweitert um den kauzigen Vogelschützer Bjorn machen sich Vater, Sohn und Gänse also mit dem Auto auf den Weg nach Norwegen. Dort legt ihnen allerdings die Bürokratie Steine in den Weg. Als die Polizei die Gänse konfiszieren will, startet Thomas mit dem Mut der Verzweiflung das Flugzeug, die Vögel hinterdrein. Christian und Bjorn sind entsetzt, ebenso wie Thomas’ Mutter Paola, die sofort nach Norwegen reist. Doch ist es gar nicht so leicht, die Fährte des fliegenden Jungen und seiner Wildgänse aufzunehmen. Thomas indes ist fest entschlossen, den Tieren die geplante Route zu zeigen, sie von Norwegen bis Frankreich zu leiten.

Handwerklich top umgesetztes Kinderkino mit starkem Abenteuer-Anteil

Zu einem veritablen Abenteuerfilm wird das subtil entwickelte, unterhaltsame Familiendrama hier: Der 14-Jährige muss nicht nur sein wackeliges Fluggerät auf Kurs halten, sondern zudem diversen Gefahren wie einem Gewitter über dem offenen Meer und natürlich den eigenen Ängsten trotzen.

Die Geschichte, die sich am Leben des echten Tierschutzaktivisten Christian Moullec und seiner Frau Paola orientiert, mag dramaturgisch und in ihrer Botschaft wenig überraschend sein. Handwerklich ist sie top umgesetzt. Das gilt für Schauspiel, Figurenzeichnung und Dialoge ebenso wie für Kamera oder Montage. Das Drehbuch, das auf einem Sachbuch von Christian Moullec basiert, um das herum eine komplexe fiktive Geschichte mit zahlreichen frei erfundenen Figuren gestrickt wurde, ist überraschend stimmig und rund. Wie aus einem Guss und emotional so packend ist die Story, dass es fast wirkt, als läge ihr ein (Jugend-)Roman zugrunde – was nicht der Fall ist. Aber natürlich nimmt die Geschichte an mehreren Stellen Bezug auf Selma Lagerlöfs weltberühmtes Werk „Die wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgänsen“.

Rau-herzliche Figuren und kluge Bezüge zu Klimawandel und Artensterben

„Der Junge und die Wildgänse“ überzeugt vor allem mit ihren liebevoll entworfenen, durchaus kantigen Protagonisten, die von Jean-Paul Rouve als Christian, Louis Vazquez als Thomas, Mélanie Doutey als Paola und Frédéric Saurel als Bjorn nicht minder liebevoll verkörpert werden. Der Umgangston zwischen den Figuren ist von der herzlich rauen Sorte, was dem zumindest leicht kitschverdächtigen Sujet sehr guttut. Ohnehin bemühen sich Buch und Regie, das Geschehen nicht allzu Hollywood-glatt aufzufächern, immer mal wieder kleine Widerhaken einzubauen. Für die prächtigen Naturaufnahmen von Éric Guichard gilt das weniger; sie stehen vor allem im Dienst einer eher konventionellen, wenngleich gekonnten Ästhetik und Spannung der emotionalen Überwältigung. Darüber hinaus erzählt „Der Junge und die Wildgänse“ natürlich auch eine Coming-of-Age-Story, die herzerwärmende Geschichte eines Erwachsenwerdens: „Donne-moi des ailes“, also: „Gib mir Flügel“, ist der Film im Original weitaus passender betitelt. Auch werden aktuelle Gesellschaftsfragen wie Migration, Artenschwund und Klimawandel dezent, aber deutlich in die Dialoge eingeflochten. Was in der Summe einen klugen, sympathischen und wirklich spannenden Film für die ganze Familie ergibt.

Kommentar verfassen

Kommentieren