Das letzte Geschenk

Tragikomödie | Argentinien/Spanien 2017 | 91 Minuten

Regie: Pablo Solarz

Ein jüdischer Holocaust-Überlebender reist von Argentinien ins Land seiner Kindheit nach Polen. Er möchte ein Versprechen einlösen, das er am Ende des Zweiten Weltkrieges seinem Freund und Lebensretter gegeben hat. Auf seinem Trip durch Europa trifft der kauzige Alte auf hilfsbereite Menschen und macht überraschende Erfahrungen, muss sich aber auch mit den verdrängten Traumata der Nazi-Zeit auseinandersetzen. Der Film oszilliert geschickt zwischen Schrecken und Heiterkeit, Melancholie und Lebenslust und trifft auch dank exzellenter Darsteller (fast) immer den richtigen Ton. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
El ÚLTIMO TRAJE
Produktionsland
Argentinien/Spanien
Produktionsjahr
2017
Produktionsfirma
Tomasol Films/Zampa Audiovisual/Haddock Films/Patagonik Film
Regie
Pablo Solarz
Buch
Pablo Solarz
Kamera
Juan Carlos Gómez
Musik
Federico Jusid
Schnitt
Antonio Frutos
Darsteller
Miguel Angel Sola (Abraham Bursztein) · Angela Molina (Maria) · Martín Piroyansky (Leo) · Natalia Verbeke (Claudia) · Julia Beerhold (Ingrid)
Länge
91 Minuten
Kinostart
05.03.2020
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Tragikomödie
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Drama um einen fast 90-jährigen Holocaust-Überlebenden, der erstmals in seine polnische Heimat zurückreist, um ein Versprechen einzulösen.

Diskussion

Nie wieder Deutschland! Das hat sich Abraham geschworen. Doch wie soll er von Paris aus nach Lodz in Polen kommen, wenn das Geld fürs Fliegen fehlt? Zähneknirschend steigt der Alte schließlich doch in den Zug Richtung Osten. Seinen Fuß wird er aber nicht auf deutschen Boden setzen, da bleibt er eisern. Als er in Berlin umsteigen muss, lässt er seine Zugbekanntschaft Ingrid einen „Pfad“ aus Kleidern auf den Bahnsteig legen, um den verhassten Grund ja nicht berühren zu müssen.

So absurd sich dies ausnimmt, so stimmig ist dieses Bild. Der Jude Abraham hat allen Grund für sein sonderliches Benehmen; seine ganze Familie wurde von den Nationalsozialisten ausgelöscht, er selbst in Arbeitslagern fürs Leben gezeichnet. Welche Verwüstungen das Tun der Deutschen während des Zweiten Weltkriegs bei einem Überlebenden hinterlassen hat und was diese auch mehr als 70 Jahre später noch anrichten, vermittelt „Das letzte Geschenk“ sehr eindringlich.

Ein blauer Anzug und seine Geschichte

Der Film des argentinischen Regisseurs Pablo Solarz erzählt von dem gebürtigen Polen Abraham, der nach seiner Flucht als Halbwüchsiger nach Argentinien nie mehr zurückblickte. Erst als seine Töchter sein Haus verkaufen, ihn mit knapp 90 Jahren ins Altenheim verfrachten wollen und sogar die Amputation seines kaputten Beines diskutieren, als also Abrahams Leben komplett umgekrempelt wird, fliegt er in einer Nacht-und-Nebel-Aktion kurzerhand nach Madrid. Und zwar One-Way. Von dort aus soll es dann mit dem Zug nach Lodz weitergehen.

Abraham möchte zu seinem alten Freund Piotrek, der ihm einst das Leben rettete. Beide verband auch die Schneiderkunst; Piotrek hatte das Handwerk bei Abrahams Vater gelernt. Nun hat Abraham für seinen alten Freund einen Anzug geschneidert und dafür den von Piotrek genähten Anzug als Vorlage genommen, mit dem er einst in sein neues Leben aufgebrochen ist. „El ultimo traje“, also: „Der letzte Anzug“, heißt der Film im Original präziser als im deutschen Verleihtitel „Das letzte Geschenk“.

Natürlich ist der Weg hier das Ziel, dem mutmaßlich dramatischen Wiedersehen am Ende dieser Reise zum Trotz. Denn ob er Piotrek wirklich wiederfinde, so die Krankenschwester Gosia, die Abraham ein Stück seiner Reise begleitet, sei gar nicht so wichtig. Denn bis dahin hat Abraham schon ganz viel (wieder-)gefunden. Vor allem seine Erinnerungen, die er jahrzehntelang gemieden hat – schreckliche, aber auch schöne. Es gibt aber auch ein halbwegs versöhnliches Wiedersehen mit seiner entfremdeten Tochter Claudia. Und viele Begegnungen mit Zufallsbekanntschaften: von der zunächst barschen, aber warmherzigen Madrider Hotelbesitzerin Maria (Angela Molina) über den verarmten Musiker Leo oder die idealistische Ingrid bis zur freundlichen Gosia, die Abraham schließlich zu seinem alten Elternhaus begleitet.

Je näher, desto erinnerungsreicher

Die Hilfsbereitschaft und die spontanen Freundschaftsbeweise der Personen, die er auf der Reise trifft, versöhnen Abraham ein Stück weit mit der Menschheit – und mit seiner Vergangenheit. In die taucht er (vermittelt durch Rückblenden) immer weiter ein, je näher er dem Ort seiner Kindheit kommt. Das Wohlwollen und die Freundlichkeit, auf die der ruppige Alte fast überall trifft, sind dabei etwas märchenhaft-konstruiert. Doch auch bei der aus Deutschland stammenden Ingrid ist ein Bedürfnis zu erkennen, am Beispiel des Holocaust-Überlebenden Abraham etwas „wiedergutzumachen“; sie wird als idealistische, mitunter etwas penetrante Linksliberale gezeichnet, die Julia Beerhold sehr facettenreich verkörpert.

„Das letzte Geschenk“ ist ein Film, der die Schauspieler in den Mittelpunkt stellt; Miguel Angel Sola glänzt als widerborstig-zäher, zunächst nicht unbedingt sympathischer Abraham Bursztein; die Zuneigung des Publikums erspielt er sich erst nach und nach. Dazu gesellen sich die weiblichen Darstellerinnen Angela Molina, Natalia Verbeke, Olga Boladz und Julia Beerhold. Mit ihnen schafft Pablo Solarz, von dem auch das Drehbuch stammt, einen Film zwischen tiefem Trauma und Heiterkeit, Melancholie und Lebenslust. „Das letzte Geschenk“ ist erstaunlich frei von Rührseligkeiten, Pathos und äußerem Dekor; selbst in den Rückblenden wirken die Gefühle echt, roh und unverfälscht; der Film trifft fast immer den richtigen Ton.

Auf diese Weise wird der Film, mit seiner ganz undidaktischen Mahnung, diesen menschengemachten Schrecken niemals zu vergessen, selbst zu einer Art Geschenk an die nachfolgenden Generationen.

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