Zu Zeiten des wirtschaftlichen Aufbruchs in der Neuen Welt barg der (amerikanische) Traum von der "Vom Tellerwäscher zum Millionär"-Karriere noch einen gewissen Realitätssinn. In den heutigen Vereinigten Staaten, wo die Schere zwischen Arm und Reich immer mehr auseinanderklafft, kann man mit dieser Ideologie keinen mehr locken. Also müssen neue Träume gesponnen werden. Warum nicht der vom reinen Toren, der zu Glück und Reichtum kommt, wenn er geradlinig, ohne allzu viel nachzudenken, seinen Weg geht und immer auf die guten Ratschläge von Mama oder anderen "Vorgesetzten" hört. So gesehen ist der finanzielle Erfolg von "Forrest Gump" an den amerikanischen Kinokassen durchaus verständlich.Forrest Gump ist gleich mehrmals vom Schicksal benachteiligt: da sein Rückgrat so verbogen ist "wie die Moral eines Politikers", wie seine ihn alleinerziehende Mutter immer zu sagen pflegt, muß er als Kind seine Beine in ein Schienenkorsett zwängen. Und da sein IQ sich gerademal bei dem Wert von 75 eingependelt hat, ist eine Sonderschul-"Karriere" vorprogrammiert. Aber Mama Gump besticht den zuständigen Beamten mit ihrem Körper, so daß Forrest doch noch zu seiner "normalen" Schulausbildung kommt. Im Schulbus lernt er dann das Leben kennen: keiner will neben dem Krüppel sitzen - bis Jenny ihm einen Platz anbietet. Dieser Moment ist der Beginn einer großen Freundschaft, die Forrest durch sein ganzes Leben begleiten wird. Denn Jenny beschützt ihn auch auf der High-school, wo sie ihm den Rat gibt, davonzulaufen, wenn seine Mitschüler ihn wieder einmal drangsalieren. So verliert Forrest nicht nur seine Beinschienen, sondern entdeckt auch seine außergewöhnliche Schnelligkeit. Die wiederum bringt ihm ein Sport-Stipendium am College ein und die Berufung ins "All-American"-Team. Eines Tages darf er sogar Präsident Kennedy die Hand drücken und wird landesweit bekannt, als er sich (unbeabsichtigt) für die Gleichberechtigung der Schwarzen einsetzt. Jenny träumt mittlerweile von einer Karriere als Folk-Sängerin. landet aber in einer Striptease-Bar, wo Forrest sie kurz vor seiner Einberufung nach Vietnam noch einmal trifft. Beim Militär wird der Schwarze Bubba sein bester Freund, der auch von einer Karriere träumt: er möchte als Krabbenfischer zu Geld kommen. Bei einem Angriff des Vietcong rettet Forrests Talent, schnell (weg)laufen zu können, ihm und seinen Kameraden das Leben. Bubba aber überlebt das Gefecht nicht, und Forrests Vorgesetzter, Lieutenant Dan Taylor, verliert beide Beine. Verlegt in ein amerikanisches Lazarett Staaten, vertreibt sich Forrest die Zeit mit Tischtennis und perfektioniert seine Fähigkeiten soweit, daß er schließlich als erster Amerikaner die Volksrepublik China bereisen und den chinesischen Tischtennis-Stars Paroli bieten darf. In Washington wird er von Präsident Johnson ausgezeichnet, deckt den Watergate-Skandal auf und trifft nach einem Auftritt mit John Lennon in der Dick-Cavett-Show Dan Taylor wieder, der körperlich wie seelisch völlig heruntergekommenen ist. Ihm erzählt er, daß er Bubbas Traum vom Krabbenfischer-Betrieb verwirklichen will. Er kauft sich vom Geld seines Tischtennis-Sponsors einen Kutter, doch das Unternehmen geht schief, und erst als Dan ins Geschäft einsteigt, haben sie, wenn auch vom Zufall begünstigt, Erfolg. Sie investieren den Gewinn in andere Branchen und werden steinreich. Forrest zieht in das Haus seiner mittlerweile verstorbenen Mutter und trifft die völlig desillusionierte Jenny wieder. Nach ihrer ersten Liebesnacht verläßt sie ihn jedoch und Forrest beginnt in seiner Einsamkeit und Verzweiflung erneut wegzulaufen: Zweieinhalb Jahre "joggt" er durch die Staaten, immer umsehen von einer Schaar "Jünger". Abermals wird er zu einer nationalen Berühmtheit. Eines Tages bricht er unvermittelt seinen Lauf ab und kehrt nach Hause zurück. Hier begegnet er Jenny wieder - und seinem mit ihr gezeugten Sohn, von dessen Existenz er bisher nichts wußte. Jenny, von einer unheilbaren, rätselhaften Krankheit gezeichnet, bleibt nun bis zu ihrem Tod bei dem treuesten Freund (und Mann), den sie je hatte.Die in großartig komponierten Scope-Bildern mit eleganten Kamerabewegungen und Kranfahrten eingefangene Titel-Sequenz, in der die Kamera einer Feder folgt, die schließlich vor Forrests Füßen landet, der auf einer Parkbank in einem Südstaaten-Nest sitzt und jedem der es hören (oder auch nicht hören) will, seine Lebensgeschichte erzählt, signalisiert schon die Absichten der Produktion: großes Unterhaltungskino für alle von 8 bis 80 mit einem spätestens seit "Schlaflos in Seattle"
(fd 30 395) zum Super-Star aufgestiegenen Hauptdarsteller. Nach "Philadelphia"
(fd 30 662) darf sich Tom Hanks nun in einem anderen Rollenfach profilieren: als (leicht geistig) Behinderter. Und er darf dazu noch sein Talent als Komödiant ausspielen, das allerdings von Regie und Buch nicht allzu oft gefordert wird. Denn Robert Zemeckis ist eher ein Regisseur für aufwendige, technisch perfekte Unterhaltung als ein Meister leiser Zwischentöne. Die versucht er hier zwar gelegentlich anzuschlagen, und in einigen Szenen zwischen Jenny und Forrest kommt auch so etwas wie Poesie und Zärtlichkeit auf, aber so richtig anrührend wird die Geschichte nie, weil die Charaktere allzu sehr an der Oberfläche bleiben und nur für sich wiederholende Gags herhalten müssen. Das naive Drehbuch jagt seinen nie weisen Tor zwar durch drei Jahrzehnte amerikanischer Gegenwartsgeschichte, vergißt aber jegliche Reflexion oder gar ironische Brechung. Ansätze wie in der Verulkung des Matriarchats oder der Verhohnepipelung des amerikanischen College-Systems, das selbst tumben Sportlern einen Abschluß ermöglicht, werden nie zu Ende gedacht. Zemeckis orientiert sich an Komödien von Frank Tashlin und Jerry Lewis, aber deren auf den Punkt gebrachter Inszenierungsstil geht ihm genauso ab wie Tom Hanks das differenzierte Minen - und Körperspiel des großen Clowns Lewis. So stürzt sich Zemeckis ganz auf die technischen Kabinettstückchen, indem er Dokumentaraufnahmen mit nachgestellten Szenen mixt, in denen sich Forrest mit Größen der Zeitgeschichte trifft. Bei Woody Allens genialem "Zelig"
(fd 24 217) diente diese Methode noch dem Eindringen in eine Persönlichkeitsstruktur, während hier diese Technik immer mehr zum Selbstzweck verkommt.Zemeckis erklärt durch seinen amerikanischen Simplizissimus nicht - wie es George Roy Hill mit "Garp und wie er die Welt sah"
(fd 26 316) gelang - sarkastisch oder liebevoll-ironisch die Welt, er bebildert nur mit mehr oder weniger gelungenen Gags die Odyssee eines unfreiwilligen Schwejks durch die Staaten und ihre Geschichte. Dabei macht er auch vor Denunziationen nicht halt, gibt die Hippie- und Black-Panther-Bewegung der Lächerlichkeit preis und drückt sich vor jeder deutlichen politischen Stellungnahme. Alles, was in einer restriktiven Gesellschaft Anstoß erregen könnte, wird ausgeklammert. So ist der Sex wie immer züchtig und genau auf eine Zweierbeziehung hin orientiert, weshalb die "untreue" Jenny denn auch an einer unheilbaren Krankheit namens AIDS sterben muß, die natürlich nicht benannt wird. Umso deutlicher wird der Film dafür in seiner musikalischen und tontechnischen Bearbeitung: Alan Silvestris aufgedonnerter Soundtrack kitzelt mit Geigen und Klavier die Tränen heraus, haut mit Pauken und Trompeten aufs National-Gefühl. Und die Vietnam-Kriegsszenen wirken so, als habe man sie nur inszeniert, um den Dolby-Stereo-Ton-Technikern die Gelegenheit zu geben, mal so richtig loszulegen. Leider kennt der Film auch in der Länge kein Maß und ist mindestens eine halbe Stunde zu lang, um dramaturgisch überzeugen zu können, wobei das Tempo der Inszenierung nur oberflächlich diese Schwäche verschleiert. Schade - "Forrest Gump" hätte eine wunderbare amerikanische Gesellschaftssatire werden können, wenn die Filmemacher ihrem Publikum nicht irgendwie doch einreden wollten, daß selbst die an den Rand der Gesellschaft Gedrängten ihre Chance haben, wenn sie "nur nicht ihren Mund aufmachen".