Biopic | Belgien 1992 | 138 Minuten

Regie: Stijn Coninx

Die wahre Geschichte des belgischen "Arbeiter-Priesters" Adolf Daens, der sich am Ende des vorigen Jahrhunderts gegen den Widerstand der Bourgeoisie ins Parlament wählen läßt, um die Not in den Fabriken zu lindern. Als der Papst ihm schließlich politische Zurückhaltung auferlegt, zieht er die Soutane aus. Handwerklich perfekt und anrührend inszeniertes Sozialdrama, das trotz seines eindeutigen Engagements für die Ausgebeuteten und Unterdrückten versucht, alle Charaktere differenziert zu zeichnen. Vor allem in der Hauptrolle überzeugend interpretiert und von hohem Unterhaltungswert. (Kinotipp der katholischen Filmkritik) - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
DAENS
Produktionsland
Belgien
Produktionsjahr
1992
Produktionsfirma
Favourite/Dérive/Titane/Shooting Star
Regie
Stijn Coninx
Buch
François Chevalier · Stijn Coninx
Kamera
Walther van den Ende
Musik
Dirk Brossé
Schnitt
Ludo Troch
Darsteller
Jan Decleir (Adolf Daens) · Gérard Desarthe (Charles Woeste) · Antje De Boeck (Nette Scholliers) · Johan Leysen (Schmitt) · Wim Meuwissen (Pieter Daens)
Länge
138 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Biopic | Literaturverfilmung
Externe Links
IMDb | TMDB

Diskussion
Belgische Produktionen haben hierzulande kaum eine Chance. Jaco Van Dormaels "Toto, der Held" (fd 29 209) war 1992 der letzte bescheidene Erfolg vergönnt; Marion Hänsels "Verschwörung der Kinder" (fd 30 077) verschwand sehr schnell aus den (Programm-) Kinos. "Daens" hat die Aufführung wohl nur seiner "Oscar"-Nominierung für den besten nicht-englischsprachigen Film zu verdanken. Dabei hat er neben seinem inhaltlichen Engagement alle Qualitäten eines großen Unterhaltungsfilms. Er erzählt die (wahre) Geschichte des 1830 in Aalst geborenen Adolf Daens, der nach Theologiestudium und Priesterweihe neun Jahre lang Priesteramtskandidaten ausbildet, ehe er 1888 in seine Heimatstadt zurückkehrt und sich zusammen mit seinem Bruder, einem engagierten Zeitungsverleger, den sozialen Problemen der Region widmet. Ermutigt fühlt er sich dabei von der Enzyklika "Rerum Novarum" von Papst Leo XIII. Aber Daens hat die Rechnung ohne den erzreaktionären Vorsitzenden der katholischen Partei, Charles Woeste, gemacht, für den Gott lediglich der "Erfüllungsgehilfe" der reichen Belgier ist, und der sich skrupellos auf die Seite der Aalster Bourgeoisie stellt, als diese, um ihre Rendite zu sichern, "englische Verhältnisse" in ihren Fabriken einführt: Um nur den halben Lohn zahlen zu müssen, werden lediglich Frauen und Kinder beschäftigt, und drei Frauen müssen künftig vier Spinnmaschinen bedienen. Das läßt die Unfallrate und soziale Not in den meist kinderreichen Arbeiterfamilien in die Höhe schnellen. Daens kritische Artikel rufen die Öffentlichkeit auf den Plan. Eine Untersuchungskommission wird eingesetzt, doch erst der tödliche Arbeitsunfall eines Jungen bringt das Faß zum Überlaufen. Die Arbeiter treten, angeführt von einer mutigen Frau, spontan in den Streik, werden aber von der Polizei niedergemetzelt. Die Unruhe im Lande beeinflußt jedoch im Parlament positiv die Abstimmung zur Einführung des allgemeinen Wahlrechts. Daens wird ins Parlament gewählt. Woeste versucht nun mit Unterstützung von König Leopold II., Druck auf ihn auszuüben. Schließlich befiehlt der Papst Daens, sich ganz seinen priesterlichen Aufgaben zu widmen. Daens aber entschließt sich für den Kampf an der Seite der Arbeiter.

Die während des Titelvorspanns langsam von Schwarz-Weiß ins Farbige übergehenden Bilder vom Fabrikalltag signalisieren einerseits den "dokumentarischen" Charakter des Films, betonen aber durch die in langsamen Kamerafahrten eindrucksvoll eingefangenen Tableaus, unterlegt von einer stimmungsvollen Musik, auch seinen Unterhaltungswert. Stijn Coninx Verdienst besteht vor allem darin, daß er die Inhalte des Films nicht an seine "Schauwerte" verrät. Vielleicht wählte er auch deshalb einen auf den ersten Blick altmodischen, ganz auf handwerkliche Perfektion achtenden Inszenierungsstil, der die Historiengemälde der 50er Jahre wiederzubeleben scheint. Auf den zweiten Blick läßt diese äußerliche Ruhe dafür um so deutlicher die innere Zerrissenheit der Personen zum Tragen kommen. Coninx und sein Co-Autor stürzen sich dabei nicht nur auf ihre Identifikationsfigur Daens, sondern erwecken auch die Nebenfiguren zum Leben, ohne sie in ein zu enges Konzept zu pressen. Selbst Woeste ist nicht nur das personifizierte "Böse", er ist Gefangener eines politischen Systems, das trotz seines demokratischen (und religiösen) Anspruchs nur die eigene Machterhaltung im Auge hat. Der willfährige Vorarbeiter Schmitt, der seine Arbeiterinnen sexuell mißbraucht und die Kinder mißhandelt, trägt ebenso zur Erhaltung dieses Systems bei wie der unterwürfige junge Priesterkollege Daens', dessen Unterwürfigkeit selbst dem Bischof zu viel wird. Die Vorgesetzten von Daens haben eigentlich die Zeichen der Zeit und ihren eigentlichen seelsorglichen Auftrag erkannt, versuchen, "diplomatisch" das Schiff zwischen allen Klippen durchzusteuern, verfallen aber letztlich, gegen ihre Überzeugung, auch dem Kalkül der Macht. Coninx hat all diese Figuren mit Leben erfüllt, führt seine Schauspieler mit schlafwandlerischer Sicherheit durch die Szenen. Da wirkt keine Einstellung überflüssig, nie reizt er Situationen, seien es nun humorvolle, spannende oder melodramatische, aus. Er überläßt auch dem Zuschauer seinen Teil des Nachdenkens, präsentiert nicht nur fertige Charaktere und scheinbar eindeutige Vorkommnisse. Und doch hat der Film bei aller Distanz immer auch einen revolutionären Atem, der Anteilnahme am Geschehen wachhält und die deutlich erkennbaren Bezüge zu unserer Gegenwart immer wieder zwischen den Bildern und Dialogen aufblitzen laßt. "Daens" ist ein Film, der mehr erzählt als eine historische Geschichte. Und es ist ein Film, der an Herz und Verstand gleichzeitig rührt. Ein wunderbar altmodisches Stück Kino, wie man es heute leider selten auf der Leinwand sieht.
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