Hinter den Abkürzungen GBL und GHB verbirgt sich eine chemische Verbindung, die als Lösungsmittel in der Industrie ebenso genutzt wird wie als Partydroge. Für Letzteres – auch bekannt als Liquid Ecstasy – reicht schon eine äußerst geringe Menge, um eine euphorisierende und sexuell stimulierende Wirkung hervorzurufen. Nimmt man jedoch ein paar Tropfen zu viel oder mischt die Substanz mit Alkohol, kann das zu einem komatösen Zustand führen oder sogar zum Atemstillstand. In „Darkroom – Tödliche Tropfen“ spielt diese Droge nicht nur eine entscheidende Rolle, auch ihr breites Wirkungsspektrum passt gut zu einem Film, der sich konsequent dem Eindeutigen verweigert.
Die Handlung dreht sich um den ehemaligen Krankenpfleger und Grundschul-Referendar Lars (Bozidar Kocevski), der beim Cruisen im Berliner Tiergarten zufällig auf die Droge aufmerksam wird. Allerdings interessiert ihn dabei weniger der eigene Rausch als die gefährliche Nebenwirkung.
Angelehnt ist der Protagonist an den sogenannten Darkroom-Mörder Dirk P., der mehrere Männer mit einer gezielten Überdosierung tötete. Zwar orientiert sich Regisseur Rosa von Praunheim in seinem auf verschiedenen Zeitebenen erzählten Film an den Gerichtsprotokollen und der Biografie des wahren Täters, zeigt sich aber wenig an einem klassischen Realismus oder einem umfassenden Psychogramm des Mörders interessiert.
Morbide Seifenoper
Meist sind die Szenen aus Lars’ Leben in minimalistischen, bühnenhaften Settings angesiedelt, in denen die Schauspieler ihren Text mit wenig Ausdruck sprechen. Ein bisschen fühlt man sich dabei an eine morbide Seifenoper erinnert. Die Gerichtsverhandlung und die gestellten Interviewszenen wirken dagegen wie aus einer Reality-TV-Sendung. Und dann kommt es auch immer wieder zu musicalartigen Ukulele-Einlagen, in denen Lars’ Freund Roland (Heiner Bomhard) mit seiner Band die Handlung kommentiert wie der Chor in der griechischen Tragödie. Das wirkt manchmal ein wenig steif oder trashig, entwickelt aber unmittelbar einen faszinierenden Sog. Gerade weil sich „Darkroom“ nur auf einzelne Splitter der Biografie konzentriert, die am Ende kein befriedigendes Ganzes ergeben und die Bilder immer ein wenig künstlich und falsch wirken, zeigt der Film auch die Unmöglichkeit, etwas derart Unbeschreibliches angemessen erklären zu können.
Bis zum Schluss bleibt auch Lars eine rätselhafte Figur. Er ist ein aufrichtig liebender, hilfsbereiter und höflich lächelnder Mensch, dessen manchmal irrer Blick aber schon darauf hinweist, dass er etwas Zerstörerisches in sich trägt. Während ihm die psychologische Gutachterin als narzisstischen und kaltblütigen Menschen darstellt, besteht der Angeklagte darauf, das alles nicht gewollt zu haben. „Darkroom“ legt nahe, dass beides stimmt. Ohne seine Hauptfigur zu sehr zu analysieren oder in ein Schema zu pressen, akzeptiert von Praunheim Lars als unlösbaren Widerspruch.
Der Zuschauerblick wirkt wie eine Interpretation
Es gibt auch durchaus Szenen, die so etwas wie ein Motiv zeigen: Etwa weil Lars bei seiner erzkonservativen Großmutter aufwächst und auch als Erwachsener noch Probleme mit der eigenen Homosexualität hat. Oder weil er als noch jüngerer Kellner in einer Saarbrücker Szenebar von anderen Schwulen gemobbt wird. „Darkroom“ legt nahe, dass solche Umstände zwar eine Rolle spielen, aber noch keinen Mörder machen. Aber schon der Blick des Zuschauers auf die Hauptfigur wirkt unweigerlich wie eine Interpretation. Wenn Lars bei seinem Job im Hospiz eine sterbende Frau beobachtet, möchte man Empathie erkennen, aber seine im Todeskampf keuchenden Opfer sieht er später genauso an.
Die Spannung, die den Film trägt, ist die einer unberechenbaren Welt, in der die Stimmung jederzeit kippen kann. Für ein Sex-Date soll Lars sich einmal als maskierter Einbrecher verkleiden und den Anderen überwältigen. Als er versucht, auch ihm ein paar Tropfen GBL zu verabreichen, verwandelt sich das einvernehmlich verabredete Rollenspiel unmerklich in eine lebensgefährliche Situation.
Das Motiv der Angst vor der Endlichkeit
Obwohl die Erzählung in „Darkroom“ zerstückelt ist, kreist sie immer wieder um dieselben Motive: Zwischenmenschliche Abhängigkeit, Kontrollwahn, Ausgrenzung, die Faszination für athletische Körper, aber auch ihr Zerfall durch Krankheit und Tod. Dabei scheint Lars bei seinen Taten selbst der Angst vor der Endlichkeit zu verfallen. Nachdem die Krebserkrankung eines Freundes ihn wie einen Schock trifft, will er bei seinen Morden die absolute Macht genießen. Die Saat des Bösen gedeiht dabei besonders gut auf dem Boden vermeintlicher Normalität. Lars’ heimliche Streifzüge, bei denen nur er weiß, wie sie enden, wirken wie ein Ventil für eine bürgerliche und unerfüllte Sehnsucht nach einer monogamen Beziehung. Aber vielleicht ist das auch schon wieder zu viel Interpretation.