Tage wie Nächte
Biopic | Uruguay/Spanien/Argentinien/Frankreich/Deutschland 2018 | 112 Minuten
Regie: Álvaro Brechner
Filmdaten
- Originaltitel
- LA NOCHE DE 12 AÑOS
- Produktionsland
- Uruguay/Spanien/Argentinien/Frankreich/Deutschland
- Produktionsjahr
- 2018
- Produktionsfirma
- Alcaravan/Haddock Films/Hernández y Fernández Prod./Manny Films/Mondex&cie/Movistar+/Salado Media/Tornasol Films
- Regie
- Álvaro Brechner
- Buch
- Álvaro Brechner
- Kamera
- Carlos Catalan
- Musik
- Federico Jusid
- Schnitt
- Irene Blecua · Nacho Ruiz Capillas
- Darsteller
- Antonio de la Torre (José Mujica) · Chino Darín (Mauricio Rosencof) · Alfonso Tort (Eleuterio Fernández Huidobro) · César Troncoso (Soldat) · Soledad Villamil (Psychiaterin)
- Länge
- 112 Minuten
- Kinostart
- -
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 16.
- Genre
- Biopic | Drama
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Drama über drei Mitglieder der sozialistischen Guerillabewegung Tumparos, die während der Militärdiktatur in Uruguay (1973-1985) unter menschenunwürdigen Bedingungen eingesperrt werden und zu überleben versuchen.
Mit verbundenen Augen werden die überlebenden Mitglieder der sozialistischen Guerillabewegung Tumparos in ihre winzigen Einzelzellen geworfen. Sie dürfen dort nicht sprechen, haben kein Klo und bekommen kaum etwas zu essen. Eine Hinrichtung der Aufständischen ist der Militärregierung zu milde. Sie sollen lieber vor sich hin siechen und ihre Würde verlieren. Die Kamera taumelt mit ihnen durch die Dunkelheit und raubt dabei auch uns Zuschauern die Orientierung.
„Tage wie Nächte“ erzählt die wahre Geschichte von drei Männern, die sich während der Militärdiktatur Uruguays (1973-1985) unter unmenschlichen Bedingungen in Gefangenschaft befanden. Um sie endgültig der Willkür ihrer Peiniger auszusetzen, bezeichnete man sie als Geiseln der Regierung. Nicht nur wegen dieser Erfahrungen sind die Inhaftierten heute bekannt. Eleuterio Fernández Huidobro (Alfonso Tort) wurde später Journalist und Politiker, Mauricio Rosencof (Chino Darin) Dichter und José Mujica (Antonio de la Torre) sogar von 2010 bis 2015 Präsident des Landes. Das Drehbuch schrieb Regisseur Álvaro Brechner basierend auf Huidobros und Rosencofs Erlebnisbericht „Kerkerjahre“. Es dreht sich vor allem um die Frage, was jemandem, dem alles genommen wurde, noch bleibt.
Zwölf Jahre zwischen Zellen und Verliesen
Über den Zeitraum von zwölf Jahren werden die Männer zwischen Gefängniszellen und finsteren Verliesen herumgereicht. Was ihnen dabei am offensichtlichsten fehlt, sind die Eindrücke der Außenwelt. Je weniger sie haben, desto erfindungsreicher werden sie auch. Mit einem komplexen Alphabet an Klopfzeichen tauschen sich die Gefangenen durch die dicken Wände über Nachrichten aus, die sie auf einem kleinen Zeitungsfetzen gelesen haben oder spielen auf einem imaginären Brett Schach. Intensität entsteht vor allem durch solche kleinen, aber bedeutungsvollen Gesten und den sparsamen Einsatz von Dialogen. Die manchmal etwas arg dramatische Streichermusik hätte es da gar nicht gebraucht.
Häufig sind es banale Details, die für die ausgemergelten Männer eine ungewohnte Schönheit entwickeln. Ein Feuerwerk etwa, das sie durch ein Loch in der Decke beobachten oder eine Ameise, die über die von Wunden und Schmutz verkrustete Haut läuft. Bei einem seltenen Besuch an der frischen Luft löst sich die Anspannung im warmen Sonnenlicht. Zu einer krächzenden Coverversion von Simon & Garfunkels „Sound of Silence“ erleben die Erschöpften hier einen flüchtigen Glücksmoment.
Wie unüberwindbar die Grenze zwischen Kerker und Freiheit ist, offenbart sich, als Mauricio Besuch von seiner Familie bekommt. Im Schnelldurchgang wird der völlig verwahrloste Mann gewaschen und übertrieben ordentlich angezogen. So wie der Blick auf die Wahrheit mit solchen Aktionen für die Öffentlichkeit verstellt wird, entfremden sich die Männer auch immer mehr von der äußeren Wirklichkeit. Zwar trennt Mauricio und seine kleine Tochter nur ein Gitter, aber sie könnten sich in diesem Augenblick ferner kaum sein.
Eintauchen in die Innenperspektive
Je stärker sich „Tage wie Nächte“ auf die Innenperspektive seiner Protagonisten konzentriert, desto dichter wird er auch. José leidet etwa zunehmend an einer Psychose. Die Kamera dreht sich dann wie manisch im Kreis, während Stimmengewirr und elektronische Störgeräusche anschwellen. Auch sonst taucht Brechner immer wieder in die Psyche seiner Figuren ein. Kerkeralltag, Erinnerungen an die Verhaftung und Träume von sanften Berührungen mit der Geliebten werden zu einem mal beklemmenden, dann wieder tröstlichen Bewusstseinsstrom.
Die Kontakte mit den Wärtern verstärken das Gefühl der Isolation noch. Mauricio beginnt irgendwann in ihrem Auftrag blumige Liebesbriefe für ihre Angebeteten zu schreiben. Es ist ein Deal mit dem Unterdrücker, der ihm aber auch die seltene Möglichkeit bietet, zumindest indirekt am Leben teilzunehmen. Schwächer fallen jene Szenen aus, die auf formelhafte melodramatische Momente ausgerichtet sind. Josés Gespräche mit seiner Mutter und seiner Psychologin beispielsweise, die ihn zum inneren Widerstand anspornen und dabei ein Flackern in den Augen haben, als wüssten sie bereits um den weiteren Verlauf der Geschichte. Deutlich effektiver als solche klassischen Dialogszenen sind jene Passagen, die den Zustand des Ausgeliefertseins vermitteln wollen. Das Gefühl für Raum und Zeit löst sich dabei auf und alles wird, wie es im spanischen Originaltitel heißt, zu einer einzigen „zwölf Jahre langen Nacht“.