Vater spricht, Tochter schweigt. Man spürt eine bestimmte unausgesprochene Spannung zwischen den beiden. Sie ist am Handy, er sagt: „Pack’ das doch mal weg, das nervt dich doch selber.“ Er weiß, was gut für sie ist, sie sieht das anders. Sie hat Probleme mit ihrem Freund, sie heult. Er holt die Kamera, er macht alle möglichen Dinge „für die Tochter“, die sie gar nicht gemacht haben will, und es ist deutlich, dass er sie eigentlich für sich macht. Wir lernen den Vater sogleich als übergriffigen Menschen kennen, als jemanden, der in die Wohnung seines Bruders einbricht, weil der scheinbar nicht aufmacht – tatsächlich ist er nicht da. Wir erkennen, dass die Tochter mit irgendetwas hadert. Menschen am Rande des Nervenzusammenbruchs.
Eine gewisse Hektik, ja latente Hysterie durchzieht diesen Anfang. Diese ist einerseits der Situation geschuldet, denn Jette (Maj-Britt Klenke), die gerade ihr Abitur gemacht hat, muss zum Flughafen, um nach Costa Rica zu fliegen, wo sie in einem Krankenhaus arbeiten wird. Das ist das „freiwillige Jahr“ des Titels. Aber die Anspannung hat einen tieferen Grund. Er liegt in der Dynamik der Situation dieser Menschen und ihres Umfelds, die der Film über die folgenden drei Tage entfalten wird. Denn Jette nimmt den Flug nicht. Vorwand ist ein kleiner Blechschaden am Auto, als ihr Freund sie zum Flughafen bringt. „Bleib doch hier“, sagt er, und dann bleibt sie tatsächlich im Auto. Die beiden verbringen dort auch die folgende Nacht, nehmen Anrufe der Angehörigen nicht an.
Man lernt mit Vater und Tochter somit zwei Menschen kennen, die ihr Leben in irgendeiner Weise nicht ganz unter Kontrolle haben. Tochter Jette hat Schwierigkeiten, sich zu entscheiden. Sie weiß nur, was sie nicht will. Als der Freund am Morgen doch seine Mutter anruft, geht sie kurzerhand einfach weg, geradeaus in den Wald, um erst am Abend wieder aufzutauchen. Eine Verweigerungshaltung.
Ein Vater-Tochter-Verhältnis, über die Bande gespielt
Vater Urs (Sebastian Rudolph) entscheidet viel, vor allem für andere. Für den praktischen Arzt, der er ist, sind sein Benehmen und die Art, wie er mit seinem Mitmenschen (nicht) kommuniziert, allerdings erstaunlich unsensibel. Urs ist auf gewisse Weise ein Chaot und oft unwirsch. Er hört nicht auf andere, ist sehr auf sich fixiert und auf seine Tochter. Die erzieht Urs offenbar allein – von der Mutter ist nicht die Rede, bis zum Ende des Films erfährt man nicht, ob die Eltern getrennt sind oder die Mutter gestorben. Urs’ Verhältnis zu den anderen Mitmenschen ist oft unfreundlich. Er will es zwar allen recht machen, macht es dadurch aber niemandem recht, zumal klar ist, dass er auch will, dass alle seinen Erwartungen entsprechen. Die einzige Ausnahme bildet die verheiratete Nicole, die auch in der Praxis arbeitet und mit der Urs ein Verhältnis hat.
Nachdem Jette im Wald verschwunden ist, wechselt der Film die Perspektive und wendet sich von der Tochter dem Vater zu. Das Vater-Tochter-Verhältnis wird auf diese Weise gewissermaßen „über Bande“ erzählt, steht aber immer im Zentrum. Und mit der Zeit versteht der Zuschauer, dass die beiden sich vielleicht viel ähnlicher sind, als es zunächst schien. Deutlich wird allerdings auch bald der eine Unterschied: Urs hasst den Ort, an dem sie leben, das westfälische Dorf Donop. Darum projiziert er seinen Traum zum Aufbruch in die „weite Welt“ auf die Tochter.
Ein Porträt der Provinz und des deutschen Mittelstands
Die beiden Berliner Regisseure Ulrich Köhler und Henner Winckler – beide Jahrgang 1969 – entwickelten und inszenierten diesen Film gemeinsam, ursprünglich als reine Fernseharbeit für den WDR. Das merkt man dem Film kaum an. Im Gegenteil: Kameramann Patrick Orth findet immer wieder ungewöhnliche Bilder und überraschende, schiefe, auch poetische Perspektiven auf die Figuren und den Ort. So rundet er sich auch zum etwas anderen, schrägen Porträt des Dorflebens, der Provinz und eines ganz normalen deutschen Mittelstands.
Es ist auch ein Film geworden, der um Generationenverhältnisse kreist. Die Alten können nicht loslassen, die Jungen kopieren entweder schon das Lebensmodell ihrer Eltern, leben verspießert und alternativlos, oder sie müssen noch lernen, die Bevormundungen durch die Erwartungen der Anderen abzuwerfen. Erzählt wird aber auch von widersprüchlichen Weltbildern. Weil diese aber vielleicht auch nur die Widersprüchlichkeit des Lebens spiegeln, müssen die Menschen immer wieder lernen, mit ihnen umzugehen. Das gelingt nicht allen. Die Menschen in diesem Film haben alle das Talent, ungebetene Gäste zu sein, im falschen Moment am falschen Ort aufzutauchen. Jeder hier will vom anderen irgendetwas, was der andere nicht will. „Du musst dir vielleicht mal klar werden, was du willst, auch wenn du damit vielleicht jemand anderen verletzt“, sagt der Vater zur Tochter – und meint damit aber eigentlich sich selbst. Wenn geschwiegen wird in diesem Film, ist es ein sehr lautes Schweigen. Unausgesprochen bleiben auch viele Geschichten, die dieser dichte, kurzweilige, mitunter absurden Witz entfaltende Film auch noch erzählen könnte, aber nur andeutet.