Alles beginnt als Geschichte einer Verurteilung mit mehr als zweifelhaften Beweisen. Denn vor der Gegenüberstellung war dem Opfer von der Polizei ein Foto des Beklagten zugesteckt worden. Dessen Auto, ein VW-Käfer, passt nicht zur ursprünglichen Beschreibung des Tatfahrzeugs. Und außerdem ist der Angeklagte Ted Bundy anscheinend ein wahrer Mustermann: Student der Juristerei, glücklich liiert mit Liz, ein liebevoller Ersatzvater für deren Tochter Molly. Kann ein so netter Mann mit vorbildlichem Leumund eine Frau belästigt, gefangen, geschlagen und mit dem Tod bedroht haben?
Dennoch muss Ted Bundy am 1. März 1976 wegen schwerer Freiheitsberaubung seine Strafe im Staatsgefängnis von Utah antreten. Dann aber wird Bundy von Utah nach Colorado verlegt, weil dort ein ähnlicher Fall der Klärung harrt. Außerdem gibt es noch den Fall zweier verschwundener Mädchen am Lake Sammamish im King County. Ted Bundy soll auch hier angeklagt werden; je nach Verlauf der Beweisaufnahme könnte die Anklage auf Mord lauten und mit der Todesstrafe geahndet werden.
Eine grausige Realität
Am Tag der Urteilsverkündung, dem 7. Juni 1977, springt Bundy in einem unbeobachteten Moment aus dem ersten Stock des Gerichtsgebäudes in Aspen und flüchtet. Kommt das einem Schuldeingeständnis gleich? Oder ist es ein hilfloser Versuch, zu seiner Geliebten zu gelangen? Aufgrund seines Verhaltens drohen Ted 15 Jahre Haft in Utah und 95 Jahre in Colorado, vielleicht aber auch noch die Todesstrafe. Am 30. Dezember 1977 gelingt ihm erneut die Flucht.
„Nur wenige Menschen haben die Fantasie für die Realität“: Dieses Zitat frei nach Johann Wolfgang von Goethe hat Regisseur Joe Berlinger dem Film vorangestellt, und spätestens nach einer Stunde weiß man auch warum.
Als Zuschauer wird man während des Gerichtsprozess Zeuge, wie beliebt Ted Bundy bei den Zuhörern im Saal noch immer ist, selbst als langsam klar wird, mit was für einem Verbrecher es die Justiz es hier tatsächlich zu tun hat. Doch Bundy hat in seinem kriminellen Doppelleben mindestens 30 Frauen geschändet und getötet. Dennoch hat weiterhin Fans und Groupies, die für ihn aussagen und die jubeln, wenn es ihm in seiner Verteidigung gelingt, einen Punkt zu machen. Ted Bundy ist einfach zu nett; dass er in Wirklichkeit ein Monster ist, übersteigt schlicht die Vorstellung vieler Beobachter.
Der Film stützt sich auf aktenkundige Aussagen oder Fernsehberichte, die aus den 1970er-ahren stammen und um der Authentizität willen im Original belassen und Deutsch untertitelt sind.
Regisseur Joe Berlinger ist von Hause aus Dokumentarist. Er hat die Heavy-Metal-Band Metallica mit der Kamera begleitet („Some Kind of Monster“) und dem Fall der „Memphis Three“ („Paradise Lost“-Trilogie) zur Bekanntheit verholfen, über einen Gerichtsskandal, der offenbarte, wie unsäglich die US-amerikanische Rechtsprechung mit Angeklagten umgeht.
Die Macht der (Selbst-)Inszenierung
Berlinger zieht den Film als eine Art „Anwalt für die Vorverurteilten“ wie ein Verteidigungsplädoyer auf. Ted Bundy, der bis wenige Stunden vor seiner Hinrichtung stoisch seine Unschuld beteuerte, erhebt nie die Hand, ist im Bild nie latent wahnsinnig oder gewalttätig. Zack Efron spielt ihn eindringlich als Womanizer, den sympathischen Liebling einer jeden Schwiegermutter.
Will sich der Regisseur hier mit einem Monster solidarisieren und ihn als Opfer stilisieren? Mitnichten. Vielmehr thematisiert der Film eindrucksvoll die Macht der (Selbst-)Inszenierung gegenüber dem Faktischen, wobei der Film offen lässt, ob Bundys Selbstdarstellung als aufrechter Bürger auch seinem eigenen Selbstbild entspricht oder eine bewusste Täuschung der Öffentlichkeit ist. Berlinger zeigt eindrucksvoll, wie ein zunehmender Teil der Gesellschaft diese Selbstinszenierung Ted Bundys als Wahrheit zu begreifen bereit ist.
Der Prozess gegen Bundy war 1978 das erste Gerichtverfahren, der live im US-Fernsehen ausgestrahlt wurde. Bundy ist einer der ersten Serienmörder-„Stars“ der US-Justizgeschichte.
Ein „Verlust für die Gesellschaft“
Berlinger ist virtuos in seiner Bestandsaufnahme. Er arbeitet brillant mit der Chronologie der Ereignisse, schürt Sympathien und schürt Zweifel mit der Einflechtung von dokumentarischem Material. Bundys Taten waren schon Gegenstand etlicher Dokumentarfilme, Bücher und vor allem (Horror-)Filme. „Extremly Wicked …“ ist davon weit entfernt: Er wirkt fast wie ein Melodram, weil er unter anderem auch das Leiden der tragischen Figur von Liz zeigt, die lange Zeit nicht glauben konnte, von ihrem Verlobten so getäuscht worden zu sein.
Besonders eindrücklich ist der Film immer dort, wo es um den ambivalenten Umgang der Öffentlichkeit und des Gerichts mit dem Täter geht. So verwendet Richter Edward Cowar, von John Malkovich in nonchalant-fesselnder Oberflächlichkeit verkörpert, für seinen Urteilsspruch die titelgebende Formulierung, dass die Morde „entsetzlich und grausam, extrem widerwärtig, schockierend boshaft und verderbt“ waren, nennt Bundy im selben Atemzug fraternisierend aber auch „Partner“ und bezeichnet seinen Tod als tragischen Verlust für die Gesellschaft. Da fröstelt es den Betrachter. „Nur wenige Menschen haben die Fantasie für die Realität“!