Die Ära des klassischen Kino-Westerns war schon zu Ende. Das Fernsehen hatte ein Genre erobert, das zu den ureigensten der Leinwand gehörte. Serien wie „Bonanza“, „Rauchende Colts“ und „Die Leute von der Shiloh Ranch“ fesselten das Publikum bereits über ein Jahrzehnt lang an den Bildschirm. Quentin Tarantinos „Once Upon a Time… in Hollywood“ spielt im Jahr 1969. Tarantino war damals gerade sechs Jahre alt. Man darf deshalb keinen nostalgischen Film erwarten, keinen Film, der in persönlichen Erinnerungen schwelgt. Der Titel macht das schon klar. Er ist nicht nur ein Verweis auf zwei große Sergio-Leone-Filme, sondern auch ein Hinweis auf den Legendencharakter, der Tarantinos Story ständig begleitet, auch wenn sie noch so eng mit realen Ereignissen der endsechziger Jahre verknüpft ist. Anhänger des Regisseurs zitieren immer wieder dessen enzyklopädisches Wissen, das sich in allen seinen Filmen niederschlägt. Vieles davon hat er sich in jungen Jahren mit der Arbeit in einer Videothek angeeignet, wo er mitsamt seinen Kunden eine Vorliebe für Western- und andere Actionfilme entwickelte, die sich auch in diesem Film widerspiegelt.
Rekonstrukteur einer Fantasielandschaft
„Once Upon a Time… in Hollywood“ ist nicht nur mit den Kenntnissen, sondern auch mit dem Herzblut des Bewunderers einer Filmära geschrieben, zu deren Mythologisierung Tarantino wesentlich beigetragen hat – nicht als sich erinnernder Verehrer (dafür ist er zu jung), sondern als Rekonstrukteur einer inzwischen zur Fantasielandschaft verwandelten Geschichtsperiode, in der Film und Fernsehen eine mehr als nur reflektierende Rolle spielten. Sein Film, dessen rudimentäre Story aufgebaut ist auf dem maskulinen Charisma der Westernhelden, ist ein Buddy-Movie alter Tradition, aber ständig beherrscht von der bedrohlichen Ahnung einer latenten Gewalttätigkeit, die sich in der schrittweisen Einbeziehung historischer Ereignisse manifestiert. Die Geschichte eines abgehalfterten Western-Darstellers und seines treuen Stuntman geht zunehmend eine Symbiose mit der schockierenden Präsenz des Manson-Clans und der Sharon-Tate-Morde ein.
Gleichberechtigte Helden der Story sind Rick Dalton (Leonardo DiCaprio), ein allmählich nicht mehr hoch im Kurs stehender Hauptdarsteller von schwarz-weißen Westernserien, und Cliff Booth (Brad Pitt), Ricks Stuntman und Mädchen für alles. Ricks Karriere hat einen unverkennbaren Knick erfahren, sodass er sich sogar gezwungen sieht, eine Rolle in einem Italo-Western anzunehmen. Noch kann er sich das üppige Haus am Cielo Drive leisten, gleich nebenan von Roman Polanski und Sharon Tate, während Cliff im Tal in einem heruntergekommenen Wohnmobil haust. Doch die sozialen Unterschiede spielen für die beiden keine Rolle. Ihre Männerfreundschaft hält sie auch in schlechten Tagen zusammen, wenn Cliff als Ricks Chauffeur fungiert oder dessen Fernsehantenne repariert.
Lustvolle Hollywood-Parade und die Begegnung mit den Mördern
Es ist auch diesmal wieder keine sich traditionell entwickelnde Geschichte, die Tarantino erzählt, sondern ein Kaleidoskop von alltäglichen Begegnungen und Ereignissen, Vignetten aus dem langsam aus dem Lot laufenden Leben der beiden „Helden“, die einem bunten Hollywood-Tableau die Tür öffnen, in dem reale Figuren wie Steve McQueen, Bruce Lee und eben auch Sharon Tate ein- und ausgehen. Lange Zeit bleibt „Once Upon a Time… in Hollywood“ ein lustvoll detailliertes Abbild von Tarantinos fantasievoller Vorstellung, wie es 1969 dort ausgesehen haben könnte, farbenfroh rekonstruiert, aber stets mit dem Hauch des „Es war einmal“ versehen. Filme wie Sam Peckinpahs „Ride the High Country“ und der Roy-Rogers-Film „The Golden Stallion“ (1949) werden ebenso zitiert wie die TV-Shows, Musik und Werbespots jener Zeit. Ganze Straßenzüge, Ladenfronten und Restaurants hat Tarantino nachbauen lassen, und alte Schauspieler wie Bruce Dern bekommen ihre kleinen Auftritte.
Erst allmählich drängt sich die Charles-Manson-Geschichte, zunächst nicht wichtiger als eine Irritation, später als wesentlicher Bestandteil in die Handlung ein. Auch dann bleibt „Once Upon a Time… in Hollywood“ bei seinem Legendencharakter. Man mag das frei erfundene Ende verrückt und übertrieben, dunkel und extrem gewalttätig nennen, aber es ist typischer, unverwechselbarer Tarantino. Die reale Killer-Geschichte, die zumindest im Bewusstsein des amerikanischen Publikums bis zum heutigen Tag fest verankert ist, wird umgekehrt in eine orgiastische Parodie, mit der Tarantino noch einmal bestätigt, dass die Fantasie eines Filmemachers auch die grässlichsten Auswüchse der Realität in schwindelerregende – und dabei gleichzeitig vieldeutige – Komik verwandeln kann.