Dying to Tell
Dokumentarfilm | Spanien 2018 | 87 Minuten
Regie: Hernán Zin
Filmdaten
- Originaltitel
- MORIR PARA CONTAR
- Produktionsland
- Spanien
- Produktionsjahr
- 2018
- Produktionsfirma
- Contramedia/Quexito
- Regie
- Hernán Zin
- Buch
- Hernán Zin
- Kamera
- Ignacio Barreto
- Musik
- Marcos Bayón
- Schnitt
- Alicia Medina
- Länge
- 87 Minuten
- Kinostart
- -
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 16.
- Genre
- Dokumentarfilm
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Um vom Krieg im untergehenden Jugoslawien zu berichten, benötigte Miguel Gil Moreno de Mora zunächst einmal sein Motorrad. Der journalistisch noch unbedarfte Unternehmensanwalt nahm sich 1993 Urlaub und fuhr aus der spanischen Heimat quer durch halb Europa. Im belagerten Sarajewo ließ er sich von Profis die Arbeit mit einer Kamera erklären und begann zu filmen. Binnen kurzer Zeit wandelte er sich zu einem von den erfahrenen Kollegen respektierten Kriegsreporter, arbeitete später für Associated Press. Bei aller Grausamkeit scheint Gil von bewaffneten Konflikten auch besessen gewesen zu sein: Später berichtete er aus dem Kosovo, ging schließlich nach Afrika, starb 2000 mit kaum 33 Jahren in Sierra Leone.
Ein Schicksal, das kein Einzelfall ist. Wer sind diese Menschen aus meist wohlhabenden Ländern, die es nach Afghanistan zieht, in den Irak, nach Syrien? Wofür setzen sie ihr Leben aufs Spiel?
Sie müssen unbedingt vom Krieg erzählen, von seinem Wesen. Von den Verheerungen, die er anrichtet. So plastisch und unscharf zugleich beantwortet Hernán Zin diese Fragen im Titel seiner Netflix-Dokumentation „Morir para contar“ („Dying to Tell“) – ins Deutsche nicht recht übersetzbar, da „Dying to“ auch ausdrückt, etwas kaum erwarten zu können. Doch als lebensmüde zeichnet Zin, einst selbst Kriegsreporter, seine ehemaligen Kollegen nicht. Als Besessene und Traumatisierte schon. So verwundert es nicht, dass die ausnahmslos von spanischen Journalisten gewonnenen Zeugnisse wie Therapiestunden wirken.
„Die Angst ist ein Abwehrmechanismus. Sie sagt dir: Du solltest nicht hier sein.“
In perfekt ausgeleuchteten Studios berichten die Frauen und Männer unterschiedlicher Reportergenerationen von ihren Gefühlen. Von ihren Familien, die im scheinbar sicheren Zuhause in pausenloser Sorge um sie lebten. Von den Beziehungen, die darüber in die Brüche gingen. „Die Angst ist ein Abwehrmechanismus. Sie sagt dir: Du solltest nicht hier sein.“ Wie ein Hammer schlage sie immer wieder auf den Kopf. Ähnlich wie Militärveteranen, die ihre Kriegserlebnisse nicht aus dem Kopf bekommen, haben die Journalisten Schwierigkeiten mit der Normalität. Eben noch unter Artilleriebeschuss oder als Geisel einer Bürgerkriegspartei (verwackelte Archivbilder künden davon); dann wieder der sichere, aber ereignisarme Alltag zwischen Supermarktregalen und mit fließendem Wasser.
Politische Zusammenhänge fehlen völlig in diesem Film, und das sollen sie wohl auch. Vom letzten Irakkrieg ist viel die Rede, vom absichtlichen Beschuss des Hotel Palestine durch amerikanische Panzer 2003, dem der Spanier José Couso zum Opfer fiel. Bisweilen erzählen die Reporter von Extremsituationen: „Mit ein oder zwei Leuten lässt sich reden, doch als Menge können sie dich lynchen.“ Eine junge Journalistin spricht von sexueller Gewalt in Ägypten. Auch die in Europa kaum beachteten Katastrophen im Kongo oder in Sierra Leone – „Afrika zieht nicht so viel Aufmerksamkeit auf sich“ – kommen vor. Hungerbäuche von Kindern stehen als Fanale menschlichen Leidens neben den todgeweihten IS-Geiseln in Syrien – deren Martyrium die Dokumentation auf fragwürdige Weise zur Schau stellt.
So halst sich Hernán Zin in „Dying to Tell“ am Ende ein bisschen zu viele Schauplätze, zu viele Konfliktherde auf, um über eine vage Anti-Kriegs-Botschaft hinaus dem Zuschauer weitere Reflexionen zu ermöglichen. Und so eindrücklich die Einblicke in das Seelenleben der Reporter auch sind: Was sie jenseits ethisch fundierter Pflicht zur Zeugenschaft wirklich immer wieder an die Kriegsschauplätze treibt, wo sie wie Miguel Gil Moreno de Mora sterben könnten, das kann der Film nicht erklären.