Der Pass
Krimi | Deutschland/Österreich 2018 | Minuten
Regie: Cyrill Boss
Filmdaten
- Originaltitel
- DER PASS
- Produktionsland
- Deutschland/Österreich
- Produktionsjahr
- 2018
- Produktionsfirma
- Wiedemann & Berg Television Epo-Film Produktionsgesellschaft
- Regie
- Cyrill Boss · Philipp Stennert · Thomas Kiennast · Christoph Schier
- Buch
- Cyrill Boss · Philipp Stennert · Mike Majzen · Robert Buchschwenter · Senad Halilbasic
- Kamera
- Philip Peschlow · Thomas Kiennast
- Musik
- Jacob Shea · Bleeding Fingers Music
- Schnitt
- Andreas Baltschun · Lucas Seeberger
- Darsteller
- Julia Jentsch (Ellie Stocker) · Nicholas Ofczarek (Gedeon Winter) · Hanno Koffler (Claas Wallinger) · Franz Hartwig (Gregor Ansbach) · Julian Looman (Adam Litkowski)
- Länge
- Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 12 bzw. ab 16 (Staffel 1, Episode 3&6)
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 16.
- Genre
- Krimi | Serie | Thriller
Heimkino
Eine hervorragend inszenierte Krimiserie um Verbrechen im alpinen deutsch-österreichischen Grenzgebiet und ein Ermittlerduo, das grenzüberschreitend das Katz-und-Maus-Spiel mit den Tätern aufnimmt.
Staffel 1
Eine schönere und subtilere Liebeserklärung hat es selten gegeben. Am Ende der achten Folge, als fast alles vorbei ist, erklärt sich der abgehalfterte Kommissar Winter (Nicholas Ofczarek) seiner Kollegin Ellie Stocker (Julia Jentsch). Und zwar, indem er ihre Rolle in den zermürbenden Ermittlungen um den sogenannten „Krampuskiller“ einordnet. Winter erzählt, wie ihm aufgegangen sei, dass es im Perchtenbrauchtum neben dem Nikolaus und dem Krampus ja auch noch „das Engerl“ gebe, das einfach nur da sei und lächle. Das habe er lange für „das ärmste Würschtel“ gehalten. Tatsächlich aber sei das „Engerl“ die wichtigste Figur in dem Dreiergespann. „Ohne des tät man die anderen beiden gar ned ertragen! Verstehst?“ Dass er damit Ellie meint, er selbst der Nikolaus und der Krampus der von beiden so lange gesuchte Serienmörder ist, versteht man auch ohne, dass es explizit ausgesprochen wird.
Auf ein passives „Engerl“ lässt sich Ellie zwar nicht reduzieren, das weiß auch Winter. Die junge Kommissarin war die treibende Kraft hinter den Ermittlungen; man muss sie auch eher als „direkt“ und „zielstrebig“ denn als „lieb“ und „sanft“ charakterisieren. Winter geht es um etwas anderes: darum, dass Ellie mit ihrer Beständigkeit und humanen Haltung die Seele der Duos war, der Fels in der Brandung, der emotionale Ankerpunkt. Das ist der zutiefst berührender Abschluss ihrer Zusammenarbeit, auch weil es wohl ein Moment des Abschieds für immer ist. Und zugleich ein formvollendetes Ende für eine beeindruckende Serie.
Ein „Percht“ bestraft die Menschen für ihre Unartigkeit
Die ungleichen Ermittler treffen das erste Mal bei einer nackten, gruselig drapierten Leiche über einem verschneiten Grenzstein zwischen Österreich und Deutschland aufeinander. Bei dem Toten handelt es sich um einen bulgarischen Schlepper, der für den Tod zahlreicher Flüchtlinge verantwortlich ist. Als kurz darauf ein korrupter Manager in seinem Chalet in den Bergen hingerichtet und auf ähnliche Weise „ausgestellt“ wird, ist klar, dass ein Serienmörder sein Unwesen treibt. Und zwar einer, der sich bei seinen Taten im bergig-waldigen Grenzgebiet beim alpenländischen Brauchtum bedient. Bei der im Winter in der Alpenregion noch immer gepflegten Tradition verkleidet man sich als wilde Kreatur, als „Percht“, und zieht durch die Gegend, um die Menschen für ihre Unartigkeiten zu maßregeln.
Dieses Motiv nimmt auch der Mörder mit der Krampusmaske für sich in Anspruch. In seiner eigenen Lesart ist er nur konsequent darin, „schuldige“ Menschen zu bestrafen. Vom narzisstisch-sadistisch geprägten Weltbild des Serienmörders erfährt man schon früh; bereits in der dritten Folge der insgesamt achtteiligen Serie wird hier enthüllt, wer der gesuchte Killer ist. Seine „Zentrale“ hat er in einer abgelegenen Blockhütte im Wald eingerichtet, in der er sich als naturverbundenes Gegenbild zur oberflächlich-eitlen Moderne gefällt.
Ein Wettlauf zwischen Polizei und Täter
„Der Pass“ erzählt davon, wie der Mörder seinen Verfolgern immer wieder (knapp) entschlüpft, wie die Ermittler falschen Fährten nachgehen, etwa einen Sekten-Guru, der vom Ende der Zivilisation und der „roten Jahreszeit“ faselt und sich als „Gott des Waldes“ inszeniert. Weitere Themen werden vertieft, etwa die Verknüpfungen zwischen Politik, Polizei und Presse, der ambivalente Charakter von Aufmerksamkeit und Öffentlichkeit, die Rechtlosigkeit und das Ausgeliefertsein von „illegalen“ Migranten.
Es geht auch um die Desillusionierung und mafiöse Verstrickung des Kommissars Winter sowie die zum Scheitern verurteilte Affäre zwischen Ellie und ihrem Chef Claas Wallinger (Hanno Koffler). Alle inhaltlichen Stränge behalten Buch und Regie (Cyrill Boss und Philipp Stennert) gut unter Kontrolle. Dem klugen und dramaturgisch geschickt aufgebauten Drehbuch gelingt es, aus dem Wettlauf zwischen Polizei und Täter eine enorme Spannung zu ziehen; es verliert aber auch die anderen Themen nicht aus dem Blick und erzählt diese parallel zum Hauptplot.
Die beiden Regisseure sowie der Kameramann Philip Peschlow kreiieren mit großem Stilbewusstsein und einer ausgeklügelter Farbdramaturgie starke, kinotaugliche Bilder: die farbreduzierten Aufnahmen der winterlich abweisenden Bergregion lassen regelrecht frösteln. Einen nicht geringen Anteil an diesem Effekt haben auch der raffinierte Schnitt und die dunkle Musik. Gelungen sind auch alle anderen Gewerke, das Szenenbild, die von dem Münchner Künstler Veit Kowald entworfenen Krampus-Masken, die Kostüme; insbesondere Ofczareks Dauer-Outfit aus verknittertem Anzug und schwerem Fellmantel erzählt viel über diesen derangierten, suchtkranken Ermittler, der sich eigentlich schon längst aufgegeben hatte.
Eine herausragende Produktion
Auch jenseits des Kostüms hat Ofczarek die abgründigere, interessantere Rolle; bei Julia Jentsch dauert es länger, bis sie ihrer Figur der Ellie neben der Geradlinigkeit ein paar weitere Facetten abgewinnt. Was weniger der Schauspielerin anzulasten ist, die wie das gesamte Ensemble überzeugend spielt. Die leichte „Blässe“ ihrer Figur ist so ziemlich der einzige Kritikpunkt.
Der Titel bezieht sich nicht nur auf das geografische Setting, einen Übergang über einen Gebirgszug, sondern auch auf eine Perchtengruppe, die man ebenfalls „Pass“ nennt. Inspirieren ließen sich die Macher angeblich von der skandinavischen Erfolgsserie „Die Brücke“, wie man dem Abspann entnehmen kann, doch außer den Grundzügen der polizeilichen Zusammenarbeit über Grenzen hinweg sowie den (vermeintlich) politisch-gesellschaftskritischen Motiven des Täters ist davon nicht allzu viel zu spüren. Der Alpenthriller erinnert mit seiner finsteren (Natur-)Stimmung eher an die erste Staffel der US-Serie „True Detective“, ohne allerdings an deren philosophische und atmosphärische Tiefe heranzureichen. Nichts desto trotz handelt es sich bei „Der Pass“ um eine herausragende Produktion, die einen noch lange nach dem Ende in ihrem düster-kalten Griff hat.
Staffel 2
Sich von der Tradition zu lösen, das ist hier klar zum Scheitern verurteilt: Denn in der bayerisch-österreichischen Grenzregion, in der auch die zweite Staffel von „Der Pass“ spielt, gibt man noch etwas (gelegentlich auch alles) aufs Althergebrachte. Weshalb sich auch die Hoffnung von Wolfgang Gössen zerschlagen wird, sein Leben „heller und lichter“ als der Vater zu gestalten. Sich zu lösen aus dem engen Korsett aus Konventionen sowie privaten wie beruflichen und politischen Verpflichtungen, das ihn umfängt wie die hier allgegenwärtigen Bergmassive: Der Mann mittleren Alters ist hochrangiger Manager und schwerreicher Erbe eines mächtigen Salzburger Bauunternehmens, das einst vom Großvater aufgebaut wurde. Aus dieser Verantwortung auszusteigen und einen eigenen Weg einzuschlagen, ist für ihn nicht vorgesehen.
Zurück ins Dunkle, Bedrückende, Abgründige
Doch Wolfgang hat ein Problem – und das ist viel größer als die seine Anwälte beschäftigenden Bestechungsvorwürfe gegen das Familienunternehmen: Seinen Bruder Alexander, genannt „Xandi“, ein unselbstständiges, verwöhntes und von einer Musikerkarriere träumendes großes Kind im Körper eines jungen Mannes. Xandi lebt allein, umgeben nur von Personal, im düsteren Jagdschloss des verstorbenen Vaters. Und zieht Wolfgang – konkret wie im übertragenen Sinne – immer wieder heraus aus dessen Salzburger Stadtwohnung mit den riesigen Fensterfronten und dem fantastischen Blick über die Stadt, zurück ins Dunkle, Bedrückende, Abgründige des zwischen Wäldern und Bergen gelegenen Schlosses. Denn Xandi hat nicht nur Wutanfälle, etwa als die Absage vom Konservatorium kommt – sondern vor allem sadistische Fantasien von Sex und Gewalt. Und er beginnt (wieder), diese auszuleben.
So wird eines Tages eine schrecklich zugerichtete Tote in der Nähe des (fiktiven) Zill-Flusses gefunden. Auf österreichischem Gebiet – doch weil es sich bei dem Opfer um eine Deutsche handelt, fordert die Polizei Unterstützung durch ihre Berchtesgadener Kollegen an. Da die dortige Kommissariatsleiterin Ellie Stocker (Julia Jentsch), die zentrale Ermittlerin aus der ersten Staffel von „Der Pass“, durch den dramatischen Showdown im „Krampuskiller“-Fall traumatisiert ist und gerade zwangsbeurlaubt wurde, schickt sie ihre junge, ehrgeizige Kollegin Yela Antic (Franziska von Harsdorf) nach Österreich.
Gedeon Winter ist auferstanden!
Diese wird dort auf Gedeon Winter treffen, Stockers suchtkranken, in zwielichtige Geschäfte verwickelten Kollegen von damals. Dass der zum Ende der ersten Staffel vermeintlich erschossen wurde und man von einem Abschied für immer ausgehen musste – geschenkt. Es ist nicht das erste Mal, dass eine Serienfigur wundersam wiederaufersteht. Vor allem aber ist Winters Rückkehr ins Leben so cool, fulminant und stilsicher inszeniert, dass man jegliche Einwände auf einen Schlag vergisst. Und dann sind die präzisen Macher hinter „Der Pass“ auch noch so klug, Winters unwahrscheinliches Überleben einfach dem Wirken des (hier ohnehin recht aktiven) „Leibhaftigen“ zuschreiben zu lassen.
Nun bilden also zunächst Antic und Winter ein Team, versuchen dem brutalen Triebtäter, der in einer Langläuferin sein nächstes Opfer findet, das Handwerk zu legen. Dass der Zuschauer den Täter schon sehr früh kennt, war bereits in der ersten Staffel so: Die Spannung resultiert auch diesmal aus dem Katz-und-Maus-Spiel zwischen Täter (mitsamt Komplizen) und Ermittlern. Und es gibt weitere Parallelen: Wie damals trägt der Mörder auch hier jungenhafte, sanfte Züge. Erneut ist die alpenländische Grenzregion mit ihren Sagen, Märchen und Mythen von zentraler Bedeutung, und wieder spielt das Geschehen in der kalten Jahreszeit.
Der Fokus liegt auf einem schwer gestörten Einzeltäter
Anders als 2019 hält sich das erneute Drehbuch- und Regie-Team Cyrill Boss und Philipp Stennert diesmal jedoch mit gesellschaftskritischen Aspekten stärker zurück, richtet seinen Fokus eher auf einen schwer gestörten Einzeltäter und sein ihn mit Geld und Einfluss schützendes Umfeld. Das macht den „Pass“ in der zweiten Staffel auf der Ebene der Krimi-Handlung vielleicht ein wenig gewöhnlicher – wenn man denn etwas kritisieren wollte an dieser hochklassigen Produktion. Statt der Gesellschaftskritik thematisiert die neue Staffel stärker das Getrieben-Sein der Ermittler und auch die Faszination, die vom „Bösen“ ausgeht. Yela Antic ist da eine Schwester im Geiste der Arbeitsjunkies Stocker und Winter, die hier von Julia Jentsch und Nicholas Ofczarek erneut herausragend dargestellt werden. Kein Wunder, dass die beiden die Nachwuchskommissarin unter ihre Fittiche nehmen (wenn auch im Falle von Stocker nicht ganz freiwillig). Die junge Polizistin ist ehrgeizig, hat Instinkt, will den Tätern „ins Auge sehen“, den Abgrund ergründen und damit zu fassen suchen. Dass der Abgrund aber eben auch zurückschaut, das wusste Nietzsche und das weiß auch die nüchterne Stocker, die ihre Kollegin noch entsprechend warnt. Franziska von Harsdorf verkörpert diese Yela umwerfend: Ihr Spiel erinnert zunächst ein wenig an ein etwas scheues, aber sehr neugieriges Kind oder Tier, das sich überall da herumdrückt, wo die Action ist. Unverhofft bekommt diese spannende Figur dann die Chance ihres Lebens – und nutzt sie in einer Mischung aus Beharrlichkeit und leiser Skrupellosigkeit. Unnachahmlich, wie kleinste Zuckungen um Yelas Mund ihre Nervosität, Freude, Erregung und ihren Adrenalin-Spiegel verraten, wenn sie dann endlich „bei den Großen“ mitmachen darf, sich erste Erfolge einstellen.
Wagemut, Präzision und Raffinesse
Auch ziehen die Macher diesmal eine kunstvolle Traumebene ein, sozusagen einen Part, der in Winters Kopf spielt. Und sie überzeugen mit einer krassen Wendung, die der 8-teiligen Staffel genau zur Mitte hin noch einmal eine neue Richtung gibt. Ohnehin glänzt die Serie erneut mit Wagemut, aber auch Präzision und Raffinesse, was Dramaturgie, Aufbau und Schnitt betrifft. So dauert es lange, bis sich die zahlreichen, assoziativ komponierten Szenen und Erzählstränge zu einer Geschichte sortieren. Doch ist die aufwändige Produktion in sämtlichen Gewerken einmal mehr derart sorgfältig und stilsicher gestaltet, dass man die dafür notwendige Geduld gerne aufbringt: Neben den vorzüglich geschriebenen und gespielten Figuren und der vielschichtigen, spannend inszenierten Story liegt das vor allem an den eindrücklichen Bildern von Philip Peschlow, der erneut für die Kamera verantwortlich zeichnet.
Ob die erhabene, kalte und mitleidslose Natur der alpenländischen Wald- und Bergwelt, ob die Behausungen der Menschen – Peschlow setzt diese Schauplätze mitsamt den darin verorteten, häufig verloren wirkenden Figuren in jeder einzelnen seiner oft auf die Mittelachse hin angelegten Perspektiven so sprechend wie atmosphärisch in Szene. Die oft sehr langen, ruhigen Einstellungen und Kamerafahrten, die im Grunde nach der großen Leinwand rufen, tragen zur düster-kalten Stimmung und der eindrücklich vermittelten Spannung der Serie bei, ebenso wie die bedrohlich-düstere, von Jacob Shea komponierte und von Hans Zimmer produzierte Musik. Der Glücksfall einer eleganten und überzeugenden Fortsetzung also, die ihrem vielfach preisgekrönten Vorgänger wenn überhaupt nur in Nuancen nachsteht.
Staffel 3
So entzweit waren Ellie Stocker (Julia Jentsch) und Gedeon Winter (Nicholas Ofczarek) noch nie. Zu Beginn der dritten Staffel von „Der Pass“ sind aus dem sich einst blind vertrauenden Ermittlerteam Feinde geworden. Ellie ist davon überzeugt, dass Gedeon sich hat korrumpieren lassen, und versucht, dessen Verwicklung in den gewaltsamen Tod der Kollegin Yela Antic aus der zweiten Staffel nachzuweisen. Aber gerade die Distanz zwischen den beiden zeigt auf, wie ähnlich sich die deutsche Polizistin und ihr österreichischer Kollege im Grunde sind. Beide sind Einzelgänger, obsessive Arbeitsjunkies und relativ skrupellos: Wenn es der jeweiligen Wahrheitssuche dient, überschreiten beide Ermittler, ohne mit der Wimper zu zucken, auch die Grenze zur Kriminalität.
Neue Mordfälle
Während Ellie sechs Monate nach Yelas Tod noch immer davon getrieben ist, den Mörder ihrer Kollegin hinter Gitter zu bringen, befindet sich Winter auf einem ganz persönlichen Rachefeldzug: Er ist auf der Suche nach dem Peiniger seiner Kindheit. Der Maler Oskar Maria Koschlick leitete die Kommune, in der Gedeon aufwuchs, und missbrauchte die dort lebenden Kinder nicht nur als Motiv für seine lüsternen „Knabenbilder“. In der länderübergreifenden Soko, die gebildet wird, als es zwei neue mysteriöse Todesfälle im bergigen Grenzgebiet zwischen Traunstein und Salzburg gibt, treffen Ellie und Gedeon erneut aufeinander. Und schweigen sich erst einmal an. Doch es wird, so viel darf verraten werden, wieder zu einer Annäherung zwischen dem eben gar nicht so ungleichen Paar kommen.
Der Weg dorthin ist gepflastert mit „Der Pass“-typischen Elementen: Eine lichtlose, nebelverhangene, undurchdringliche Wald- und Bergregion – die hier mindestens die dritte Hauptrolle spielt –, eingefangen von einer erneut fantastischen Kamera. Archaische Mythen und Geschichten. Maskierte wie unmaskierte Sadisten, wahre Teufel in Menschengestalt, die in unendlich gähnende Abgründe blicken lassen, die Erforschung des „Bösen“. Schier endlose, ewige Nacht, zig Variationen von Schwarz. Zahlreiche, zunächst scheinbar unzusammenhängende Erzählstränge, ineinander verschachtelt über viele Zeit- und Ort-Ebenen hinweg. Eine unheilvoll-bedrohlich dräuende Tonspur ... So weit, so bekannt. Und auch handwerklich ist all dies wieder hervorragend gestaltet.
Ein neues Autoren-Team führt die Serie weiter
Oberflächlich betrachtet haben die acht neuen Folgen also die DNA der Serie beibehalten. Bei näherem Hinsehen aber ist deutlich zu spüren, dass es sich diesmal eben doch ein wenig anders verhält. Und das liegt nicht daran, dass „Der Pass“ zum ersten Mal nicht im Winter, sondern in Sommer und Herbst spielt – die Szenerie liegt ohnehin wie gewohnt fast immer im Dunklen, Grauen, Düsteren, die Szenen spielen nachts, bei Regen, in Höhlen und lichtlosen Räumen. Es liegt vielmehr daran, dass die neuen Episoden nicht mehr wie bisher aus der Drehbuch- und Regie-Hand der „Pass“-Schöpfer Cyrill Boss und Philipp Stennert stammen, konkret wie gefühlt nicht mehr „aus einem Guss“ sind. Während das Trio Christoph Schier, Senad Halilbasic und Robert Buchschwenter diesmal die Bücher geschrieben hat, haben Schier und Thomas Kiennast (der zudem die Kamera verantwortete) die Regie übernommen.
Optisch wie schauspielerisch glänzt auch die neue Staffel, in der es neben den gewissermaßen „privaten“ Ermittlungen von Ellie Stocker und Gedeon Winter um einen scheinbar wahllos zuschlagenden, sadistischen Serienmörder, Satanisten, dutzendweise traumatisierte Kinder, Reichsbürger und ein Luxus-Bauprojekt der aus der zweiten Staffel bekannten Bauunternehmerfamilie Gössen mitten in einem Naturschutzgebiet geht.
Weniger Fokus, mehr Horror-Effekthascherei
Doch ist den Büchern diesmal ein gewisser Mangel an Fokus und Substanz anzumerken. Was, so scheint es, mit immer noch mehr zeitlich-thematischen Sprüngen, Einschüben aus mysteriösen Parallelhandlungen, exzessiven Brutalitäten und Horror-Elementen – kurz, äußeren Effekten – kaschiert werden soll. Man könnte es auch so formulieren: Bevor es irgendwie langweilig werden könnte, schmiert sich hier garantiert jemand mit Hasenblut ein, nötigt verängstigte Kinder zum Töten von Mäusen, onaniert vor Bildern von Mordopfern oder schlitzt auch einfach gleich direkt Menschen auf und lässt sie bei lebendigem Leib verbrennen – freilich nicht, ohne dafür zu sorgen, dass diese dabei möglichst lange bei Bewusstsein bleiben.
Nicht, dass es in den ersten beiden Staffeln nicht auch drastische Grausamkeiten gegeben hätte. Doch standen diese stets im Dienst der Handlung, waren zumeist nur so weit im Bild zu sehen, als sie der übergeordneten Erzählung dienten. Dass die diesmal sehr viel konkreteren, dick aufgetragenen Horror-Versatzstücke eine gewisse Leerstelle im Zentrum der Handlung kompensieren sollen, ist offensichtlich. Es fehlt die Konzentration auf ein, zwei zentrale, überzeugende Erzählkerne, wie sie in den ersten Staffeln bei aller Vernetzung in breite Themenspektren stets gegeben war. Womöglich mag die Überdrüssigkeit beim Zuschauer ein Stück weit auch daran liegen, dass man der filmischen Satanisten schon viele gesehen hat, und diese ja häufig für entsprechende Schockeffekte eingesetzt werden. Zudem fehlt in diesem Fall aber auch der besondere Bezug zu der süddeutschen Region, der im „Krampuskiller“-Fall und auch mit der „Fabel vom Schiach“ stärker gegeben war.
Spannungsreiche Beziehung der beiden Hauptfiguren
Insofern gehen die neuen Folgen weniger nahe, lassen einen die Episodenfiguren eher kalt – wehmütig denkt man da an die erste Staffel, in der einen sogar der Serientäter ein Stück weit zu berühren vermochte. Oder an die neue Kollegin Yela Antic aus Staffel zwei, die man sofort ins Herz schloss. Schön, überzeugend und anrührend wie eh und je aber ist auch hier die komplexe Beziehung zwischen Ellie und Gedeon gestaltet, was an deren herausragenden Darstellern liegt – aber nicht nur: Das Buch gibt seinen Hauptfiguren erneut die Möglichkeit der Entwicklung, der Ambivalenz, der Widersprüchlichkeit. Die introvertierte, nüchterne Ellie, die in ihrer Obsessivität und Skrupellosigkeit mittlerweile gelegentlich an die von Claire Danes gespielte Carrie Mathison aus „Homeland“ erinnert. Und der auch für sich selbst zunehmend unberechenbare, von Schmerzen und Schlaflosigkeit geplagte Gedeon, der alle auf Abstand zu halten sucht. „Wir haben beide was im Kopf, was wir nicht loswerden“, sagt Ellie einmal.
Auch vieles andere ist erneut gelungen, neben den darstellerischen Leistungen wirken besonders die kinotauglichen Bilder nach: Beispielsweise Gedeon Winter, wie er in seinem grindigen Fellmantel auf einem Boot stehend langsam über einen selbstverständlich nebelverhangenen Bergsee gefahren wird – ein regelrechtes Gemälde, und in Sachen Stimmung kaum zu toppen. Ellie, die mit anhören muss, wie ihre neue Kollegin den Job zugesprochen kriegt, den sie selbst unbedingt will und ihrer Meinung nach auch verdient hat: das Spielen der Emotionen auf ihrem Gesicht. Oder die Supertotale eines nächtlichen Provinzbahnhofs, an dem die Kamera – ist es die Täterperspektive? – das Ankommen eines Zuges, das Aussteigen und Sich-Zerstreuen der Fahrgäste beobachtet. Aufnahmen, die Atmosphäre, Nähe, Spannung schaffen und im Kopf bleiben.
Am Ende ist der österreichische Barde Wolfgang Ambros mit „I drah zua“ zu hören, dazu ist ein etwas unbeholfenes Tänzchen von Ellie und Gedeon zu sehen: „I drah zua, weil i hab gnua!“, ist der letzte Satz dieser über weite Strecken absolut grandiosen Serie, die nun mit der dritten und finalen Staffel ihren Abschluss findet.