Das Entschwinden
Drama | Norwegen/Niederlande 2017 | 92 Minuten
Regie: Boudewijn Koole
Filmdaten
- Originaltitel
- VERDWIJNEN
- Produktionsland
- Norwegen/Niederlande
- Produktionsjahr
- 2017
- Produktionsfirma
- Sweet Films/The Film Kitchen/Avrotros/FilmCamp
- Regie
- Boudewijn Koole
- Buch
- Jolein Laarman
- Kamera
- Melle van Essen
- Musik
- Alex Simu
- Schnitt
- Gys Zevenbergen
- Darsteller
- Jakob Oftebro (Johnny) · Rifka Lodeizen (Roos) · Elsie de Brauw (Louise) · Eva Garet (Louise, jung) · Marcus Hanssen (Bengt)
- Länge
- 92 Minuten
- Kinostart
- 06.12.2018
- Fsk
- ab 12; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 16.
- Genre
- Drama | Mystery
- Externe Links
- IMDb | TMDB | JustWatch
Heimkino
Sensibel beobachtetes Kammerspiel um eine schwierige Aussöhnung zwischen Mutter und Tochter im winterlichen Norwegen.
Eine lange, winterliche Autofahrt zu einem abgelegenen Gehöft in Norwegen. Ein Blick ins Gesicht der Fotojournalistin Roos lässt wenig Vorfreude auf das Kommende erkennen, das sie vielleicht schon zu oft erlebt hat. Aber der aufgeregte Empfang durch die Schlittenhunde und den viel jüngeren (Halb-)Bruder Bengt scheinen mögliche Bedenken kurzerhand wegzuwischen.
Ganz anders fällt dann wohl die Begegnung von Roos und ihrer Mutter Louise in der Küche aus; ihr erstes Aufeinandertreffen hat der niederländische Regisseur Boudewijn Koole bewusst ausgespart. Man könnte Louises Haltung ihrer Tochter gegenüber als freundlich-verletzendes Desinteresse charakterisieren. Routiniert artikulierte Vorwürfe stehen neben kleinen Sticheleien.
Länger als anderthalb Jahre war Roos nicht mehr zu Besuch. Da darf die Mutter doch schon mal vergessen, wo oder was die Tochter gearbeitet hat? Roos’ Blicke verraten, dass sie auf ein Zeichen der Empathie wartet, doch Leidenschaft lässt die Mutter, die einst eine international gefeierte Konzertpianistin war, nur beim Musizieren oder im Umgang mit ihren Hunden erkennen.
Deutlich entspannter gestaltet sich Roos’ Beziehung zum 13-jährigen Bengt, der das musikalische Talent der Mutter geerbt hat und damit beschäftigt ist, in der Manier eines Terje Isungset die Natur mit dem Mikrophon zu belauschen und in der Postproduktion zum Klingen zu bringen. Er hat sich seine eigene kleine Klangwelt erschaffen, in die er sich nach Belieben unter seine Kopfhörer zurückziehen kann.
Mit Bengt tobt Roos durch die Natur, nimmt ein Bad im Eis oder geht in die Sauna. Bengt fragt besorgt: „Werdet ihr euch wieder streiten?“ Als Roos verneint, rollt er vielsagend die Augen, legt die Stirn in Falten und erwidert skeptisch den Blick. Roos verspricht, sich Mühe zu geben.
Sehr zurückhaltend und subtil entwickelt der Film ein Kammerspiel, wobei die Inszenierung auf Andeutungen, Blicke und vor allem auf die Faszination setzt, die von der winterlichen Landschaft ausgeht; sie neigt dazu, Menschen und Tiere dem (Kamera-)Blick zu entziehen.
Zwar ahnt man rasch, dass es sich bei Roos’ Besuch um einen Abschiedsbesuch handelt, aber es dauert, bis sich Roos zunächst ihrem Ex-Freund Johnny offenbart, mit dem sie eine frühere Affäre aufwärmt. Unausgesprochen bleibt hingegen lange, was die Beziehung zwischen Mutter und Tochter so nachhaltig beschädigt hat. Als sich irgendwann die Spannungen zwischen Mutter und Tochter erst verbal und dann auch körperlich entladen, steht Roos im Begriff, Bengt durch eine weitere grußlose Flucht erneut zu enttäuschen. Doch diesmal kommt ihm buchstäblich die Natur in Gestalt einer Elchkuh zu Hilfe, was den Raum eröffnet, um doch noch ein paar erzählerische Puzzleteilchen nachzureichen, die es vielleicht ein wenig plausibler machen, warum die Beziehung zwischen Mutter und Tochter so im Argen liegt.
Die Gründe dafür reichen weit in Roos’ Kindheit zurück und haben mit Louises Karriere und einer gescheiterten Ehe zu tun. Die beiden Frauen beginnen sich zu öffnen; auf Gesten der Entfremdung folgen Gesten der Fürsorge. So wird es Roos möglich, versöhnt und in der Manier legendärer Polarforscher aus dem Leben zu treten und ins große, weite Weiß zu entschwinden, bis sie nur noch ein kleiner schwarzer Punkt am Horizont ist.