Die Erbinnen
Drama | Paraguay/Deutschland/Brasilien/Uruguay/Norwegen/Frankreich 2018 | 98 Minuten
Regie: Marcelo Martinessi
Filmdaten
- Originaltitel
- LAS HEREDERAS
- Produktionsland
- Paraguay/Deutschland/Brasilien/Uruguay/Norwegen/Frankreich
- Produktionsjahr
- 2018
- Produktionsfirma
- La Babosa Cine/Pandora Filmprod./Mutante Cine/Esquina Filmes/Norsk Filmprod./La Fabrica Nocturna Prod.
- Regie
- Marcelo Martinessi
- Buch
- Marcelo Martinessi
- Kamera
- Luis Armando Arteaga
- Schnitt
- Fernando Epstein
- Darsteller
- Ana Brun (Chela) · Margarita Irún (Chiquita) · Ana Ivanova (Angy) · Nilda Gonzalez (Pati) · María Martins (Pituca)
- Länge
- 98 Minuten
- Kinostart
- 29.11.2018
- Fsk
- ab 0; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 14.
- Genre
- Drama
- Externe Links
- IMDb | TMDB | JustWatch
Heimkino
Stilles paraguayisches Melodram über ein seit vielen Jahren zusammenlebendes lesbisches Paar, das durch eine Gefängnishaft der einen getrennt wird und der bislang in der Beziehung zurückgedrängten Frau die Chance auf Emanzipation gibt.
In dem paraguayischen Film „Die Erbinnen“ von Marcelo Martinessi sind mit ein oder zwei Ausnahmen nur Frauen vertreten. Frauen verschiedener Gesellschaftsschichten, verschiedenen Alters, Frauen, die einen Beruf haben oder keinen brauchen. Erstaunlich ist ihr Umgang miteinander. Keine von ihnen, egal ob faltig, dick oder alt, ist mit jener Unsichtbarkeit belegt, mit der faltige, dicke, alte Frauen anderswo belegt werden. Die Frauen nehmen einander wahr. Es gibt zwischen ihnen eine selbstverständliche Wertschätzung, die Äußerlichkeiten oder Altersunterschiede ignoriert. Das schlägt sich im Selbstbewusstsein ihres Auftretens nieder; man sieht sie glitzern, auf Partys, aber auch in ihrem Alltag. Wenn man diesem Film glaubt, weiß man, dass man zum Altwerden nach Paraguay ziehen sollte.
Die beiden Hauptfiguren sind ein bourgeoises lesbisches Paar, das sichtlich schon lange zusammenlebt. Beide sind festgefahren in ihren Routinen, was zuerst ganz in Ordnung zu sein scheint. Die eine ist robust und beweglich, die andere schlapp und am Leben nur noch so wenig interessiert, dass sie das Bett der Außenwelt vorzieht.
Der Verkauf ihres Erbes wird für Chela zur Belastungsprobe
Der Film gibt keine Wertung seiner Charaktere vor, das muss man sich selbst überlegen. Der Freundeskreis jedenfalls schätzt Chiquita, die aktive. Chiquita ist auch für den Titel des Films verantwortlich, obwohl es nicht ums Erben geht, sondern eher um etwas Gegenteiliges: Das Erbe von Chela, der Ruhigen, wird verkauft. Nicht Gewinn, sondern Verlust ist damit verbunden; Chiquita hat hohe Schulden gemacht, die nun bezahlt werden müssen.
Chela trennt sich nicht gern von ihrem Besitz. Sie schaut durch den Türspalt, wenn fremde Besucher ihre Bilder, Stühle oder Tische mustern; es ist nicht ganz klar, ob die prüfenden Blicke der anderen sie ärgern oder einschüchtern. Manchmal merkt man, dass sie die Dinge liebt, die sie hier abgibt. Andererseits ist genug davon da; die Wohnung ist riesig, in jedem Zimmer steht genügend Nippes herum, um den bröckelnden Putz der Wände bis unters Dach zu kaschieren. Chiquita wiederum hat kein Problem, das Haus ihrer Freundin leer zu verkaufen. Sie ist so energisch bei der Finanzakquise, dass auf der Leinwand für kaum etwas anderes als ihre Tatkraft Platz bleibt.
Trotzdem ist die Bank von Asunción nicht zufrieden, weshalb Chiquita ins Gefängnis muss. Sie engagiert noch schnell ein Dienstmädchen, Pati, um sicherzustellen, dass sich jemand um Chela kümmert; dann verschwindet sie im Frauenknast. Das ist kein schrecklicher Ort. Es geht laut und turbulent zu, die Zellen sind offen, die Machtstrukturen nicht sonderlich gefährlich. Jemand wie Chiquita findet sich dort gut zurecht. Chela hingegen erhält durch Chiquitas Haftstrafe die Möglichkeit, zuhause Platz zurückzuerobern. Zum Beispiel kann sie jetzt den vom Vater geerbten grünen Mercedes wieder selbst fahren.
Die Chauffeur-Dienste befreien aus der Starre
Doch noch während man befürchtet, dass die langweilige Chela den Film nach unten zieht, entführt der Mercedes sie in die Welt. Vorerst nur ein paar Stadtviertel weiter, denn sie wird von ihrer Nachbarin gebeten, sie zur wöchentlichen Bridge-Runde zu fahren. Dort trifft Chela fremde Frauen, die ebenfalls den Mercedes nutzen wollen. Wie selbstverständlich zahlt eine jede von ihnen für die Fahrten; das wird von der Nachbarin streng eingefordert. So rutscht Chela ins Chauffieren hinein, zunächst unwillig, dann aber immer interessierter an ihrer neuen Aufgabe. Die Wege durch die Stadt werden zur Befreiung aus ihrer Starre, die räumliche Bewegung lässt eine Bewegung in ihrem Inneren zu.
Der Film führt unaufdringlich vor, was Selbständigkeit bewirkt. Chela lacht, sie schaut sich im Spiegel an. Immer wieder überrascht der Moment, wenn sie merkt, dass es sie wieder gibt. Natürlich ist da auch eine neue Freundin im Spiel, eine unvermutete Schwärmerei, aber das führt höchstens dazu, dass Chela sich auch an Sex erinnert. Man sieht bei jeder Fahrt ein neues Gefühl an ihr, genauso wie man bei jeder Fahrt den neuesten Klatsch hört, der hinten im Auto vergnügt ausgetauscht wird.
Das Gefängnis bleibt trotzdem präsent: Jede Woche besucht sie Chiquita, doch im Trubel des Gefängnishofs verfliegt Chelas Emanzipation. Der Kontrast von Knast und Herrenhäusern gibt ein wenig Aufschluss über das Land; es reicht, um für keine der Frauen zu fürchten.
In einer Nacht wandert Chela voll Liebeskummer und betrunken durch die Stadt. Es ist sehr spät, sie setzt sich an eine Imbissbude, Männer lungern auch herum. Aber es werden nur Freundlichkeiten getauscht, während sie einen Hotdog und ein Bier bestellt. So sanft ist der Film zu seinen Figuren. Er trägt die Krimi-Action, die sich hier und dort anbieten würde, nicht in die Geschichte hinein. Die Inszenierung lässt den Figuren den Raum, das Drama in ihrem Inneren durchzukämpfen; sie brauchen kein äußeres Drama dazu. Am Ende, wenn Chiquita aus dem Gefängnis zurückkommt, wird sich weisen, was Chela aus diesem Kampf macht.