Drama | Chile/Deutschland/Argentinien/Frankreich/Portugal/Schweiz 2017 | 94 Minuten

Regie: Marcela Said

Eine wohlhabende Frau freundet sich mit einem wesentlich älteren Reitlehrer an, in dem sie einen Seelenverwandten zu erkennen glaubt. Als der vormalige Oberst schwerer Verbrechen während des Pinochet-Regimes angeklagt wird, reagiert sie mit tiefer Ambivalenz; sie spürt der Vergangenheit ihres Geliebten nach, will aber die Verstrickung ihres eigenen Vaters in die Gräuel der chilenischen Diktatur nicht anerkennen. Mit großer Präzision entfaltet der spannungsgeladene Film ein komplexes Gefüge aus Schuld und Verdrängung, wobei vor allem die Rolle passiver Mittäterschaft ins Zentrum rückt und die Frage, wie sehr gerade die namenlosen Kollaborateure für das Fortwirken der lateinamerikanischen Gewaltverhältnisse verantwortlich sind. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
LOS PERROS
Produktionsland
Chile/Deutschland/Argentinien/Frankreich/Portugal/Schweiz
Produktionsjahr
2017
Produktionsfirma
Cinémadefacto/Jirafa/Augenschein Filmprod./Bord Cadre Films/Rei Cine/Terratreme
Regie
Marcela Said
Buch
Marcela Said
Kamera
Georges Lechaptois
Musik
Gregoire Auger
Schnitt
Jean de Certeau
Darsteller
Antonia Zegers (Mariana) · Alfredo Castro (Juan) · Alejandro Sieveking (Francisco) · Rafael Spregelburd (Pedro) · Elvis Fuentes (Javier)
Länge
94 Minuten
Kinostart
06.06.2019
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama
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Komplexes Drama um eine wohlhabende Frau, die sich mit einem wesentlich älteren Reitlehrer anfreundet, der während der chilenischen Diktatur unter Pinochet schwere Verbrechen begangen haben soll.

Diskussion

Das Monströse in all seinen Formen übt einen unwiderstehlichen Reiz auf die wohlhabende Chilenin Mariana (Antonia Zegers) aus. In ihrer Kunstgalerie zeigt sie provokative Fotografien und Skulpturen von entstellten Körpern, die animalische Dimensionen aufweisen. Doch diese Beschäftigung ist nur eine von vielen, mit der sich die gelangweilte Unternehmergattin die Zeit vertreibt. Finanzielle Liquidität verdanken die beiden Eheleute Marianas Vater, der sie zwar als Geschäftsführerin des Familienunternehmens eingesetzt hat, seine Tochter bei Entscheidungen aber nur konsultiert, wenn ihre Unterschrift unabkömmlich ist.

Tieren fühlt sich Mariana meist näher als den Menschen in ihrer unmittelbarsten Umgebung, allen voran ihrem Kampfhund Neptuno, den sie nicht an die Kette legt. Von ihrem Mann hat sich die 42-Jährige zwar zu einer künstlichen Befruchtung überreden lassen, doch der Kinderwunsch beruht für beide eher auf einem neutralen Projektcharakter als auf tiefen Gefühlen. Als Mariana Reitstunden zu nehmen beginnt, gerät sie an den 20 Jahre älteren Trainer Juan (Alfredo Castro), zu dem sie sich unmittelbar erotisch hingezogen fühlt. Doch dem vormaligen Oberst steht eine Anklage bevor, in der er beschuldigt wird, während der Militärdiktatur schwere Verbrechen begangen zu haben.

Im Dunst der Verleugnung

Die Tatsache, dass unter dem Pinochet-Regime von 1973 bis 1990 tausende Menschen gefoltert wurden und spurlos verschwanden, ist Mariana zwar nicht unbekannt, doch die Konfrontation mit der Vergangenheit berührt sie zunächst kaum. Als der Leiter der Ermittlungen ihr gegenüber äußert, dass das Land nach wie vor voller Monster sei, reagiert sie mit einem minutenlangen Lachanfall.

Regisseurin Marcela Said hat mit der bekannten chilenischen Darstellerin Antonia Zegers eine grandiose Besetzung gefunden. Mit der von ihr verkörperten Figur zeigt sie eine tiefe Ambivalenz auf, die sich durchaus auf die gesellschaftliche Situation in Chile nach der „Transición“ beziehen lässt. Die Dringlichkeit der historischen Aufarbeitung trifft dabei immer wieder auf eine grundsätzliche Verleugnung der Gewalt. Mit der Unerbittlichkeit eines Spürhundes begibt sich Mariana auf die Fährte ihres älteren Geliebten; gleichzeitig ist sie aber völlig außerstande, die Verstrickung ihres eigenen Vaters in die Verbrechen zu adressieren. Symptomatisch erscheint ihre Angabe beim Frauenarzt, dass sie Nichtraucherin sei, während man sie die meiste Zeit des Films in Zigarettendunst eingehüllt sieht. Dass Sprache und Handlungen auseinander fallen, zählt zu den bekannten Entkopplungen sozialer Verbindlichkeiten während einer Diktatur.

Die Beiläufigkeit patriarchaler Gewalt

Schon zu Beginn von „Los Perros“ zeigt sich, dass zwischen Mariana und ihrem Vater eine vergiftete Intimität herrscht, die als ödipale Fixierung deutlich wird. Immer wieder sucht sie wie ein kleines Mädchen auch körperlich seine Nähe, was angesichts ihres Alters mehr als unpassend erscheint; umgekehrt lässt sie seine spöttischen Infantilisierungen über sich ergehen. Doch solche scheinbar spielerischen Dialoge kippen oft schlagartig in die Gewalt verbaler Drohungen und Entwertungen um.

Der Inszenierung von Marcela Said, die auch das Drehbuch geschrieben hat, gelingt es immer wieder, alltägliche Gespräche so entgleisen zu lassen, dass die strukturelle Dimension männlicher Herrschaft erfahrbar wird, die über das Pinochet-Regime hinaus weiterbesteht. So wird von Mariana beispielsweise als Stute gesprochen, deren Zügel ihr Ehemann fest im Griff haben soll, besonders in Bezug auf ihre Fruchtbarkeit. Dass diese nicht ihrer Entscheidung unterliegt, sondern von dem sie umgebenden Herrenclub gemeinsam mit dem Gynäkologen diskutiert wird, spricht für sich.

Dennoch ist es fesselnd zu beobachten, wie Mariana sich mit trotziger Bissigkeit durch eine Welt bewegt, in der Frauen außerhalb einer dienenden Rolle kaum vorkommen. Ihr machtvolles Auftreten bleibt jedoch in der Ambivalenz ihrer eigenen Identifikation mit den vom Vater verliehenen Privilegien.

Eine Gesellschaft von passiven Mittätern

Auch wenn Marianas Geschichte als Versuch gelesen werden kann, sich aus den Zwängen ihres Ehelebens zu flüchten und dem Vater gegenüber zu emanzipieren, wird klar, dass diese Rebellion kaum gelingen kann, weil sie selbst buchstäblich zu gerne im Sattel sitzt. Ihre Forderungen oder Verweigerungen lassen immer auch etwas von der Gnadenlosigkeit durchscheinen, die man aus Verhören kennt. Auf unheimliche und beiläufige Weise bleibt die Militärdiktatur so in der Gegenwart präsent, etwa über das Schlagen der Tiere mit einer Reitgerte oder dem schon bereitstehenden Kalk bei der Beerdigung eines Hundekadavers.

Das Tierische zeigt sich in „Los Perros“ in vielen verschiedenen Facetten. Es wird als Hilflosigkeit eines entmenschlichten Opfers spürbar, aber auch in der Bestialität der reuelosen Täter. Die Grenze zwischen Schoßhündchen und Bluthunden ist fließend; was sie verbindet, ist ihr Abgerichtetwerden auf Befehle. Wie kann es sein, dass eine ganze Gesellschaft das Abgleiten in beispiellose Gewalt zulässt, fragt der Film, und nimmt dabei insbesondere die Rolle passiver Mittäterschaft in den Blick. Es geht hierbei nicht nur um bewusste Überzeugungstäter, sondern um die Vielzahl an Kollaborateuren, die sich über Befehlsketten ihrer Verantwortung zu entledigen versuchen. Wer wissentlich Lastwagen für Deportationen verleiht, macht sich schuldig, auch wenn er die Ausführung der Tat von Handlangern übernehmen lässt. Diese Struktur wiederholt sich in der letzten Szene des Films an Mariana selbst auf subtile Weise.

Mit ungeheurer Präzision gelingt Marcela Said eine dichte, spannungsgeladene Betrachtung der Gewaltverhältnisse, die Lateinamerika bis heute prägen. In einem Spiel aus Opazität und gezielter Fokussierung auf das Beziehungsgeflecht der Figuren erhellt sich ein komplexes Gefüge aus Schuld und Verdrängung. „Los Perros“ reiht sich damit ebenso wie die Arbeiten von Pablo Larraín und Sebastian Lélio in die Bewegung eines neuen chilenischen Kinos ein, dessen Kraft in der Adressierung gesellschaftlicher Ungerechtigkeit liegt.

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