Düster hebt der kehlige Gesang an, dann setzt der treibende Rhythmus der japanischen Taiko-Trommeln ein, die der Filmkomponist Alexandre Desplat durch ein verfremdendes Saxophon ergänzt. Der Einstieg in „Isle of Dogs“ macht einmal mehr klar, dass kaum ein Regisseur die Stimmung seiner Filme so unmittelbar durch Musik festzulegen vermag wie Wes Anderson. Die nostalgisch-optimistische Fernsehmelodie „The Ballad of Davy Crockett“ in seinem ersten Stop-Motion-Animationsfilm „Der fantastische Mr. Fox“
(fd 39 887), die Einzelinstrumenten-Kür aus Benjamin Brittens „A Young Person’s Guide to the Orchestra“ in „Moonrise Kingdom“
(fd 41 116) und das wehmütige Jodeln zum Auftakt von „Grand Budapest Hotel“
(fd 42 220) haben den Tonfall ähnlich vergleichbar definiert wie in dem neuen, erneut mittels Stop-Motion realisierten Film die archaischen, bedrohlich anschwellenden Klänge.
„Isle of Dogs“ hebt mit einer Geschichte an, die nicht von Siegern geschrieben wurde. Japan war über Jahrhunderte hinweg nicht nur ein Schauplatz der Kämpfe zwischen menschlichen Parteien; auch Hunde und Katzen kämpfen um die Position an der Seite des Menschen. Ein Sprung „20 Jahre in die Zukunft“ zeigt das Ergebnis: Die Hunde haben den Kampf nicht nur verloren, sondern müssen überdies als Sündenböcke für all das herhalten, was in Megasaki City alles schiefläuft.
In schwärzesten Farben malt Bürgermeister Kobayashi die vorgebliche Gefahr einer Seuche durch ungebremst zunehmende Hundehorden aus. Dabei vergibt sich der Demagoge nichts, wenn er auf der Versammlung demonstrativ auch eine Gegenmeinung zulässt; wie vorherzusehen, machen die verängstigten Zuhörer mit rabiaten Mitteln ihrem Unmut über die beruhigenden Worte eines Wissenschaftlers Luft. Gestützt von Militär, Polizei und der Unterwelt setzt Kobayashi sich durch. Von nun an werden neben dem Abfall auch alle Hunde nach Trash Island im Meer vor den Toren der Stadt entsorgt.
Wenige Monate später haben sich die Tiere auf der Insel jedoch neu organisiert. Sie trotzen Krankheiten und suchen sich im Müll ihre Nahrung zusammen. Vier einstmals hofierte Haushunde plus ein vergleichbar stolzer Streuner namens Chief sind dabei als Rudel besonders erfolgreich; bis auf den Straßenhund haben sie sich allerdings nur temporär der Verwilderung ergeben.
So fällt es der Rudelmehrheit nicht schwer, ihr domestiziertes Verhalten wiederaufzunehmen, als ein 12-jähriger Junge im selbstgebastelten Flugapparat auf der Insel landet. Der oberste Hundehasser Kobayashi hatte seinen braven Wachhund Spots als erstes abgeschoben. Und damit unvermutet im eigenen Haus den Keim des Widerstands gesät, denn sein Ziehsohn Atari akzeptiert die Trennung von seinem besten Freund keineswegs. Für die Hunde ist es Ehrensache, dem Jungen zu helfen; selbst Chief muss als Vertreter der die Menschen ablehnenden Minderheit mitziehen, da er von seinen Gefährten regelmäßig überstimmt wird.
Während sich auf der labyrinthischen Insel eine Heldenreise klassischen Stils mit Abenteuern, Mut- und Treuebeweisen entspinnt, springt die Handlung immer wieder aufs Festland zurück. Die Fraktion der Hundefeinde räumt hier skrupellos die letzten Gegner aus dem Weg, um die Hunde endgültig ausmerzen zu können. Für „Ersatz“ ist in Form von Roboter-Haustieren bereits gesorgt. Kobayashi und seine Kumpane haben sich im Vertrauen auf ihre Schreckensmethoden jedoch einmal mehr verschätzt. In jungen Schüleraktivisten, unter denen sich vor allem die US-amerikanische Austauschschülerin Tracy mit einem ausgeprägten Pfadfinderherzen hervortut, erwachsen ihnen unerwartete Gegner. Tracy ist nicht gewillt, die offensichtlichen Lügen der Administration durchgehen zu lassen. Sie forscht eigenmächtig nach und stellt eine subversive Opposition gegen die Pläne des Bürgermeisters auf die Beine.
Mit der gewitzten Tracy, die im Alleingang ebenso viel ausrichtet wie Atari und fünf männliche Hunde zusammen, hat Wes Anderson die bislang stärkste Frauenfigur seines Oeuvres geschaffen. Auch sonst findet sich manches Überraschende in dem Film, bei dem jede Einstellung die einzigartige visuelle Handschrift des Regisseurs verrät, der zugleich faszinierend unberechenbar bleibt. „Isle of Dogs“ ist Andersons erster dezidiert politischer Film, der Grausamkeit gegen Tiere anprangert, vor allem aber Politiker jeglicher Couleur geißelt, die in Rhetorik und Praxis auf Hass, Dämonisierung und Ausgrenzung setzen. Aktuelle Machthaber dürfen sich durchaus angesprochen fühlen.
Die politische Ebene geht dabei nicht auf Kosten des schrägen Humors und der liebevolle Detailfreude der Settings. So wie „Grand Budapest Hotel“ aus unterschiedlichsten Elementen mittel- und osteuropäischer Kulturen ein einzigartiges (Fantasie-)Reich kreierte, haben Anderson und seine kongenialen Set-Designer Paul Harrod und Adam Stockhausen für „Isle of Dogs“ die japanische Kulturgeschichte durchforstet. Die Holzschnitte des Malers Katsushika Hokusai, Animes, insbesondere aber japanische Filmklassiker von Kurosawa, Ozu und den Monsterfilmen Ishiro Hondas sind erkennbar Vorbilder für den Look von Megasaki und Trash Island.
Dass die japanischen Figuren fast durchweg in ihrer Landessprache sprechen, ist ebenso ein Zeichen des Respekts wie der Umgang mit Stereotypen. Wenn Anderson etwa auf ein Nationalgericht wie Sushi anspielt, belässt er es nicht beim bloßen Verweis, sondern erfindet gleich seine eigene Variation. Wenn es um die Machtverhältnisse zwischen Mensch und Hund geht oder um das von Herrchen/Frauchen und ihren Haustieren, hält sich der Film mit Utopien hingegen zurück. Letztlich ist das aber konsequent: Nicht der Umsturz der Verhältnisse ist hier die Devise, sondern die friedliche Koexistenz zwischen Angehörigen unterschiedlicher Spezies.