Ein konsequenter Auftakt: Gut viereinhalb Minuten lang sieht man wogende Kornfelder und andere pittoreske Landschaftsbilder. Dazu hört man: nichts. Die Dauer der Stille ist eine Hommage an John Cages legendäres Stück „4’33“, in dem kein einziger Ton erklingt. Von dieser avantgardistischen Komposition ist im weiteren Verlauf von „Zeit für Stille“ noch öfter die Rede. Etwa wenn sich der Pianist David Tudor an die Uraufführung des Stücks im August 1952 erinnert, als ihm die Zuhörer Prügel androhten. Heutzutage genießen Konzertbesucher die Schweigeminuten mit einem wissenden Lächeln. Doch es geht dem Filmemacher Patrick Shen weniger um John Cage als um die grundsätzliche Bedeutung von Stille. Wobei der Ausgangspunkt seiner Erkundungen wenig überraschend ist: Die Menschen in den industrialisierten Ländern sind nahezu permanent einer nie dagewesenen Reizüberflutung ausgesetzt, zu der vor allem der Lärm gehört. Dass dies dem Wohlbefinden auf Dauer nicht zuträglich ist, hatte man schon immer geahnt.
Um Belege für diese These zu sammeln, reist Shen einmal um den Globus. Orte der Stille werden solchen des Lärms gegenübergestellt; dazu führen Mediziner, Biologen und andere Experten aus, dass Krach ungesund ist. So erfährt man von Mönchen, dass Gott in der Stille lebt, lernt einen Japaner kennen, der die wohltuende Wirkung von Waldspaziergängen wissenschaftlich erforscht oder lauscht der Klage eines Architekten, dass seine Kollegen nur visuell, nicht akustisch denken.
Hinzu kommen weitere Autoren, die sich mit dem Thema befasst haben und pseudo-tiefsinnige Erkenntnisse wie diese zum Besten geben: „Stille ist eine Reise ins Innere unseres Seins.“ Der junge US-Amerikaner Greg Hindy durchquert seinen Heimatkontinent von Ost nach West zu Fuß, wobei er sich für die Dauer der Reise ein Schweigegelübde auferlegt hat; seine Erkenntnisse während dieser Wanderschaft notiert er in einem Block, den er in die Kamera hält. Doch was ihn wirklich antreibt, bleibt ebenso unbeantwortet wie die Frage, warum er auf seiner Reise vorwiegend auf viel befahrenen Straßen unterwegs ist.
Die Qualitäten des Films liegen weniger in seinen von viel zu vielen Experten zusammengetragenen Informationen als in den beeindruckenden Bildern wirklich stiller Orte wie etwa den verschneiten Weiten Alaskas. Die Kamera verzichtet dabei konsequent auf Schwenks und Fahrten, und auch die Montage gibt dem Film einen ruhigen Grundton. Die vielen Talking Heads aber sorgen dafür, dass es in diesem ambitionierten Unterfangen über die Stille viel zu selten still ist. Zudem beraubt die eindimensionale Verurteilung nahezu jeder Art von Geräuschen der Annäherung viel von ihrer Komplexität. Schließlich haben auch Großstädte und Industriekomplexe durchaus faszinierende Sounds zu bieten. Ähnliches gilt für die Filmmusik, in der lediglich dezente Klassik eine Daseinsberechtigung hat.