Zeiten ändern sich. Mehr als 170 Jahre nach Heinrich Heines Diktum ist man eher „um den Schlaf gebracht“, weil, um einen einschlägigen Szene-Hit zu bemühen, das Motto in den Clubs eben lautet: „3 Tage wach!“ Mit „Denk ich an Deutschland in der Nacht“ nimmt Romuald Karmakar einen Werkfaden wieder auf, der ihn seit der Jahrtausendwende beschäftigt und bislang zu den drei Dokumentationen „196BPM“ (2002), „Between the Devil and the Wide Blue Sea“ (2005) und „Villalobos“ (2009) führte.
Karmakar, der in den frühen 1990er-Jahren selbst mit der elektronischen Tanzmusik in Kontakt gekommen ist, widmet sich einer dokumentierenden Archivierung von DJ-Kultur auf der Basis einer grundlegenden Sympathie. Im vierten Teil dieser etwas anderen Langzeitbeobachtung weitet sich der Blick des Filmemachers bei aller formalen Strenge etwas. Vielleicht auch, weil die fünf ausgewählten Protagonisten nicht mehr die Jüngsten sind und zu vermitteln gelernt haben zwischen den Forderungen der Nachtarbeit und dem Familienleben, dem internationalen Jet Set und dem Wunsch, Wurzeln zu schlagen.
Mit dabei sind diesmal: Ricardo Villalobos (Jahrgang 1970), Sonja Moonear (Jahrgang 1978), Roman Flügel (Jahrgang 1970), Ata Macias (Jahrgang 1968) und David Moufang aka Move D. (geboren 1966). Die fünf Musiker werden bei ihrer Arbeit im Studio und im Club beobachtet. Atemberaubend, ja spektakulär pomadig gerät eine Live-Performance von Villalobos. Daneben erhalten die Musiker jeweils eine Plattform, um in längeren Passagen drinnen oder in der Natur über die Wechselwirkung zwischen der internationalen und deutschen Geschichte der elektronischen Musik, über die Ethik der Dancefloor-Gemeinschaft, über Religion und Musik und über die eigenen biografischen Wurzeln nachzudenken und anregend zu philosophieren.
So gibt es dann die anekdotischen Geschichten zu hören, wie man sich am Wochenende aus Genf aufmachte, um in Frankfurt am Main die Musik zu finden, nach der man suchte. Die Mythen um Kraftwerk und HipHop werden noch einmal ausgebreitet oder an die Rolle der Bhagwan-Discos zur Befreiung der Körper erinnert; es geht um psychedelische Erfahrungen zwischen NASA und Apfelbäumen, hoch über der Altstadt Heidelbergs. Mitunter darf es auch mal etwas ernster werden, wenn über Ökonomie, Glück und das Auflegen im Club in Zeiten der Terroranschläge geredet wird.
Zwischendurch geht es immer wieder zurück in die sehr unterschiedlichen Clubs, wo die Kamera von Frank Griebe dem DJ über die Schulter schaut und schön ausgiebig beobachtet, wie die Musik die heterogenen Gruppen der Tanzenden allmählich zur Gemeinschaft synchronisiert oder wie sich die Tänzer mit Getränken und Zigaretten die Zeit bis zum Abheben vertreiben. Dazu kommt die Arbeit der DJs selbst, das Schrauben am Beat, das Wissen um die perfekte Dramaturgie eines Tracks, die Freude an der Kommunikation mit den Tänzern allein über die Musik.
Mehr als einmal wird das Credo der elektronischen Tanzmusik mit großer Geduld sinnlich vor Augen und Ohren geführt: Wenn sich nicht viel verändert, nimmt man jede endlich eintretende kleine Veränderung als soghaft physisches Ereignis wahr.
Für einen Ruhepunkt im filmischen Fluss sorgen Ansichten der leeren Clubs, deren visueller Charakter sich radikal ändert, wenn sich am späteren Abend der Tanzboden füllt. Ein weiterer Aspekt wird im Film eher angedeutet als ausgearbeitet. Mit dem zunehmenden Alter der Protagonisten, die teilweise länger als 30 Jahre in der Szene unterwegs sind, verliert das Nachtleben vielleicht nicht an Reiz, droht aber zur Routine zu werden. Interessant sind deshalb die Versuche wie die von Villalobos, mit seinen musikalischen Mitteln in die Sphäre der improvisierten Musik vorzudringen und als Band mit anderen Musikern zu arbeiten. Ergänzt wird dieser Hinweis durch eine kurze Passage eines Live-Auftritts des Moritz von Oswald Trios, während David Moufang und Sonja Moonear immer wieder an den Schnittstellen zwischen Sounddesign, Hörspiel und Neuer Medienkunst arbeiten. Denn aktuell gibt es noch keine Vorzeigemodelle für das würdevolle Altern hinterm DJ-Pult.