Die Ausgangssituation ist so einfach und doch so kompliziert: Ein Mord in einem verschlossenen Raum. Als »locked-room-mystery« erfreut diese Plot-Finte seit Edgar Allan Poes »Der Doppelmord in der Rue Morgue« (1841) immer wieder Krimi-Fans. Regisseur Oriol Paulo hat nun eine »Art Hommage an die Romane über geschlossene Räume« gedreht, wie er im Audiokommentar seines auf Blu-ray und DVD erschienenen Film sagt. Und der spanische Thriller beweist eindrucksvoll, dass das Subgenre noch längst nicht auserzählt ist. Der erfolgreiche Geschäftsmann Adrián Doria (Mario Casas) wird des Mordes angeklagt; er soll seine Geliebte in einem Hotelzimmer getötet haben. Die Indizien sprechen gegen ihn: Er wird mit einer Kopfverletzung von der Polizei am Tatort gefunden, das Zimmer war von innen verriegelt. Seine einzige Rettung scheint die Anwältin Virgina Goodman (Ana Wagener) zu sein, die ihn auf den Prozess vorbereiten soll. Zwischen den beiden entwickelt sich ein packendes Kammerspiel. Sie überprüft seine Aussagen durch bohrende Nachfragen, versetzt ihren Mandanten in ein Kreuzverhör, wie er es auch vor Gericht zu erwarten hat. Eine erste Version des Geschehens wird dem Zuschauer präsentiert – um das Rekonstruierte per Perspektivwechsel kurz darauf wieder ins Wanken zu bringen: In der einen Fassung ist Adrián noch das schuldlose Opfer eines ausgeklügelten Plans, in der nächsten der eiskalte Geschäftsmann. Die Szenarien bleiben stets plausibel, was nicht nur dem tollen Drehbuch, sondern auch den exzellenten Schauspielern zu verdanken ist. Besonders Hauptdarsteller Mario Casas setzt die verschiedenen Facetten seiner Rolle überzeugend um. Durch die Befragungen offenbart er immer tiefere Einblicke in Adríans Innenleben und auf das komplexe Geschehen, begibt sich in dunklere Bereiche seines Lebens, als er eigentlich möchte.
Oriol Paulo fordert dabei die gesamte Aufmerksamkeit des Zuschauers. Obwohl »Der unsichtbare Gast« erst sein zweiter Spielfilm ist, wurde der Spanier bereits mit Alfred Hitchcock verglichen. Schon in seinem Erstling »The Body – Die Leiche« verdichtete er seine Geschichte auf wenige Personen und spann um sie ein raffiniertes Geflecht aus Hinweisen und Plot-Twists, das schließlich in einer unerwarteten Auflösung aufgeht – ein perfektes Spiel der Illusion, das Paulo auch in »Der unsichtbare Gast« vorzüglich beherrscht.