Das Theremin ist ein faszinierendes elektronisches Musikinstrument. Erfunden im Jahr 1920, wird es berührungslos, allein von menschlichen Bewegungen im „leeren“ Raum eines elektromagnetischen Felds gesteuert, wobei Töne und Melodien entstehen. So vernimmt man ätherisch anmutende Klänge, sieht aber nicht, wo sie herkommen. Alles nur ein Betrug? Oder doch Wahrheit? In Sam Garbarskis unterhaltsam-ernster, so tolldreister wie herzergreifend trauriger Schelmengeschichte kommt ein Theremin 1946 in einem Auffanglager für „Displaced Persons“ in Frankfurt/Main sinnbildlich zum Einsatz. Hier warten jüdische Holocaust-Überlebende, eben erst aus den KZs befreit, darauf, dass sie „repatriiert“ werden – zurückgeholt und wiedereingegliedert in ein Land, in dem sie eigentlich nicht willkommen sind.
Zunächst erklingt das Theremin zur wehmütigen Unterhaltung der Ausharrenden, später spielt es das Requiem für einen von ihnen, der Schuld auf sich lud, als er Rache an einem SS-Sturmbandführer nahm und sich dafür selbst richtete. Seine Anständigkeit habe ihn das Leben gekostet, heißt es. Es werden Fragen laut: Wie kann man beten zu einem Gott, der solche Fehler macht? Doch nichts ist greifbar, weder mit Händen noch mit Gedanken, in diesen Tagen, und doch wächst zaghaft und fragil jüdisches Leben neu im Deutschland nach der Katastrophe.
Es ist dieses Gedankenspiel um die Relativität des Faktischen, von Vernunft und Verstand, das die Textur des Films prägt. Vorrangig erzählt „Es war einmal in Deutschland…“ eine Geschichte über Menschen, die Geschichten erzählen, denen man lauscht und die einen in Bann schlagen – ob als Märchen, wie es der Filmtitel nahelegt, oder als authentischer Bericht, das mag jeder selbst entscheiden. Wenn man es denn will, denn eigentlich ist genau dieser „unberührte“ Schwebezustand Programm. Entsprechend stellt Garbarski dem Film ein Insert voran: „Das ist eine wahre Geschichte, und was nicht ganz wahr ist, stimmt trotzdem.“
Im Mittelpunkt steht der 1905 geborene David Bermann, begnadeter Erzähler, sprachgewandter Verführer, charmanter (Über-)Lebenskünstler, der mit Eleganz und Chuzpe nach seiner Zukunft greift. Während er auf seine Arbeitslizenz wartet, rekrutiert er fünf jüdische Mitwartende, mit denen er eine Firma aufbaut: für den Verkauf von Tisch- und Bettwäsche an deutsche Hausfrauen, die die Vertreter, die Teilacher, mit Tricks und kleinen Betrügereien verführen, wobei sie mitunter auch deren Schuldgefühle ausnutzen.
Immer wieder garnieren sie ihr schönes Warenangebot mit ebenso schönen Geschichten: „Was zählt, ist die Show“, erklärt Bermann, „am Ende müssen euch eure Kundinnen anflehen, etwas von euch kaufen zu dürfen.“ Skrupel wischt er wortgewandt beiseite: „Vergesst niemals: Hitler ist tot, aber wir leben noch.“ So beginnt ein einträglicher Handel, bei dem Bermann selbst geheimnisvoll, zwiespältig, auch angreifbar bleibt: Warum bekommt er keine Lizenz? Hat er gar mit den Nazis kollaboriert, um das KZ zu überleben? Genau dies fragt die US-Offizierin Sara Simon, die Bermann verhört, um seine Vergangenheit zu erforschen. Und Bermann antwortet ihr – mit Geschichten: Wie er den Holocaust wegen seines komischen Talents mit Nummernrevuen und dem Erzählen von Witzen überlebte, wie er Adolf Hitler auf dem Obersalzberg besuchen sollte, wie er ein Attentat auf ihn plante.
Auf der Grundlage der biografischen Romane von Michel Bergmann entwickelt der Film einen bemerkenswert eigenen, fast schon frankophonen Zungenschlag, der leicht, aber nicht leichtfertig daherkommt, ohne Berührungsängste und übervorsichtiges Taktieren. Sein Thema ist historisch und zugleich auch gegenwärtig, geht es doch um die liebevolle Auseinandersetzung der zweiten jüdischen Generation mit der Geschichte ihrer Eltern, die der Vergangenheit nicht entkommen konnten, aber auch um die tiefe Heimatverbundenheit aller Menschen, die vor Krieg und Rassismus fliehen müssen.
Anrührend „melodiös“ erzählt Garbarski, ohne zu verharmlosen, zelebriert das Geschichtenerzählen als Lebens- und Überlebenselixier. Nie sah man Moritz Bleibtreu besser: Mal amüsant, mal beklemmend lotet er fabulier- und spielfreudig seinen Charakter aus, die Abgründe, das Leiden, die Lebensgier, das Komische im Tragischen. „Wir haben so viel durchgemacht“, erläutert er einmal der zweifelnden US-Offizierin, „dass wir es manchmal selbst nicht glauben, was war und was nicht.“