„Ich bin schwanger.“ Mit diesem Satz fängt alles an. Drei einfache, bedeutsame Worte. Die Kamera fokussiert auf Mildreds Gesicht, im Halbdunkel und in Großaufnahme. Getrennt durch einen Schnitt erscheint dann ihr Gesprächspartner, Richard, auf der Leinwand. Auch er im Close-up. Auch er allein im Bild. Mit ausdrucksloser, undurchsichtiger Kuleschow-Mimik und tief in den Höhlen sitzenden Augen starrt er vor sich hin. Nachdenklich? Niedergeschlagen? Entsetzt? Gerührt?
Es dauert eine Weile, bis er plötzlich auflacht und nuschelt, das sei gut, richtig gut. Die Cutterin Julie Monroe schneidet dann wieder hart zu Mildred zurück, die überrascht und forschend zu Richard hinüberspäht. Erst als sich auch auf ihrem Gesicht ein befreiendes Lächeln ausbreitet, löst sich die Anspannung, und die Montage überwindet die Segregation der beiden Liebenden, zeigt sie in einer harmonischen Totalen einträchtig nebeneinander auf der Veranda sitzend. Sie sehen einander an. Er reicht ihr die Hand. Sie ergreift die seine. Das war’s.
Verbotene Liebe
Nach rund zwei Minuten ist die Liebesgeschichte von Jeff Nichols im Grunde zu Ende erzählt. Das heißt, sie wäre es, wenn sie nicht im Jahr 1958 in Virginia spielen würde, einem der 24 US-Bundesstaaten, in denen so genannte Mischehen zwischen Schwarzen und Weißen damals noch verboten waren. So dauert es im Kino zwei Stunden, bis Mildred und Richard Loving, die schwarze Frau und der weiße Mann, endlich unbehelligt von Polizei, Richtern und Rassengesetzen miteinander leben dürfen.
In Wirklichkeit hat es neun lange Jahre gedauert. „Loving“ basiert auf einem realen Fall, der die USA so nachhaltig veränderte, dass das Urteil des Obersten Gerichtshofes in der Causa Loving vs. Virginia vom 12. Juni 1967 bis heute jährlich am „Loving Day“ gefeiert wird. Wenige Tage vor dem deutschen Bundesstart des Films jährt sich dieses Urteil zum 50. Mal.
Jeff Nichols, einer der spannendsten und eigenwilligsten Filmemacher des zeitgenössischen US-Kinos, erzählt die Geschichte der Lovings recht nah an den bekannten Fakten in ruhigen, unaufgeregten, aber nie nostalgisch überzuckerten Bildern. Er zeigt, wie mitten in der Nacht die Polizei die Tür aufbricht, ins Schlafzimmer des Paares platzt, den beiden mit Taschenlampen ins Gesicht leuchtet, sie anherrscht aufzustehen und getrennt voneinander in Gefängniszellen sperrt. Richard kommt nach einer Nacht wieder frei, Mildred wird erst nach mehreren Tagen entlassen. Dass die beiden in Washington, D.C. geheiratet haben, hilft ihnen nicht weiter. Die Ehe wird in Virginia nicht anerkannt. Ein Richter verurteilt sie zu einer einjährigen Haftstrafe, die unter der Auflage ausgesetzt wird, dass sie Virginia verlassen und in den nächsten 25 Jahren nicht mehr gemeinsam dorthin zurückkehren.
Richard, ein einfacher Bauarbeiter, und Mildred, die gerade erst 18 geworden ist, fügen sich und ziehen nach Washington, in einen ärmlichen Stadtteil, in dem sie sich nie zu Hause fühlen. Als einige Jahre später eines ihrer mittlerweile drei Kinder von einem Auto angefahren wird, schreibt Mildred einen Brief an den Generalbundesanwalt Robert F. Kennedy, der das Schreiben an die Bürgerrechtsbewegung „American Civil Liberties Union“ weiterleitet. Zwei junge, ambitionierte, aber unerfahrene Anwälte, Bernard Cohen und Phil Hirschkop, nehmen sich des Falles an und bringen ihn über mehrere Instanzen bis vor den Obersten Gerichtshof.
Glücksfall des US-Gegenwartskinos
„Loving“ ist ein Glücksfall des US-Gegenwartskinos, weil er gleich mehrere Grenzen überwindet. Formal verknüpft Nichols die geduldige, zurückhaltende Erzählweise des Independentfilms mit klassischen Genreelementen wie einem kurzen Kamerablick auf Lackschuhe, der genügt, um zu demonstrieren, dass die Anwälte aus einer anderen Welt als die Lovings stammen. Dass diese beiden Welten aber nicht gegeneinander ausgespielt werden, offenbart eine differenzierte Perspektive, die für Nichols wie den Film charakteristisch ist. Zwar legt der Film den institutionalisierten Rassismus in den USA der 1950er- und 1960er-Jahre offen, aber er kreiert keine menschlichen Monster. Mancher weiße Richter oder Polizist entpuppt sich zwar als übler Rassist, doch schon das Setting der Liebe zwischen Schwarz und Weiß verhindert, dass der Film perspektivisch oder empathisch Front gegen eine Unterdrücker-Klasse macht. „Loving“ ist kein Film, der Wunden aufreißt, es ist einer, der Brücken schlägt. Und das gilt nicht nur in der Rassenproblematik.
In diesem Film treffen mit den wohlmeinenden, aber auch karriereorientierten Anwälten aus der Stadt und den bescheidenen, ungebildeten Menschen vom Lande Protagonisten dies- und jenseits eines kulturellen Grabens aufeinander, der die USA bis heute durchzieht. Nichols ergreift keine Partei. Er verheimlicht nicht, dass das Ehepaar Loving für die ehrgeizigen Anwälte vor allem Mittel zum Zweck ist. Sie wollen unbedingt eine Grundsatzentscheidung vor dem Obersten Gerichtshof herbeiführen und wiegen ihre Klienten deshalb in trügerischer Sicherheit. Wenn sie verhaftet würden, verspricht Cohen dem Ehepaar, würden die beiden Anwälte sie sofort wieder aus dem Gefängnis herausholen. Nachdem die Lovings gegangen sind, fragt ihn Hirschkop, ob ihm klar sei, dass er das nicht garantieren könne, woraufhin Cohen nickt. Dennoch charakterisiert Nichols die beiden keineswegs als skrupellos oder hinterhältig. Es sind sympathische junge Menschen, gewitzt und vielleicht ein wenig windig, Idealisten, die sich eine Menge vorgenommen haben, dabei aber auch an sich selbst denken.
Auf der anderen Seite aber macht Nichols auch klar, dass die begrenzte Perspektive von Richard Loving zu kurz greift. Ihm geht es nur darum, mit seiner Frau und Familie unbehelligt zusammenleben zu können. Mehr will er nicht. Weiter denkt er nicht. Diese Herangehensweisen prallen beispielhaft aufeinander, als sich die Lovings entscheiden, der Verhandlung vor dem Obersten Gerichtshof fernzubleiben. Cohen kann das kaum fassen. Er ist ganz berauscht von der Ehre und der historischen Chance, die sich ihnen vor dem Supreme Court bietet. Ob er den Richtern nichts ausrichten solle, fragt er Richard Loving. Der wortkarge Eigenbrötler antwortet im Film mit jenem simplen, schönen Satz, den er den Anwälten auch in Wirklichkeit mit auf den Weg gab: „Sagen Sie dem Richter, ich liebe meine Frau.“