Ein verhärmtes Ehepaar holt einen jugendlich wirkenden Mann, der als Soldat aus Afghanistan zurückkehrt, vom Bahnhof ab und beherbergt ihn für eine Nacht. Dieser Vorgang wiederholt sich mehrere Male mit anderen jungen Männern. Der Videokünstler Omer Fast entwickelt seine gleichnamige Videoinstallation von der documenta 2012 zum zirkulären Vexierspiel über Verlust und Trauma, Wahn und Wirklichkeit, wobei der spannend-suggestive Film auf eine lineare Handlung sowie auf psychologischen Realismus verzichtet. Aus dem Bruch mit dem Vertrauten resultiert eine verwirrende Befragung der erlebten Gegenwart, die sich auch durch die Wiederholung des Rituals nicht verflüchtigt. (Frühere Version: "Continuity", Dt. 2012, 42 Min., FSK: ab 16; f)
- Ab 16.
Continuity
Drama | Deutschland 2015 | 85 Minuten
Regie: Omer Fast
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Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland
- Produktionsjahr
- 2015
- Produktionsfirma
- Filmgalerie 451
- Regie
- Omer Fast
- Buch
- Omer Fast
- Kamera
- Patrick Orth · Bernhard Keller
- Musik
- Dirk Dresselhaus · Ilpo Väisänen
- Schnitt
- Janina Herhoffer · Heike Parplies · Omer Fast
- Darsteller
- André M. Hennicke (Torsten Fiedler) · Iris Böhm (Katja Fiedler) · Constantin von Jascheroff (Daniel Vogel) · Bruno Alexander (Daniel Fiedler) · Milton Welsh (Roy)
- Länge
- 85 Minuten
- Kinostart
- 17.11.2016
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 16.
- Genre
- Drama | Experimentalfilm
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Experimentelles Drama von Omer Fast über Verlust und Desorientierung
Diskussion
„Continuity“ beginnt als anrührende Geschichte der Rückkehr in die Heimat. Die Eltern, ein Ehepaar mittleren Alters, warten auf dem Bahnhof einer kleinen deutschen Stadt. Ihre Gesichter sind angespannt, ein wenig verhärmt. Der Sohn, blond und immer noch mit einem Ausdruck kindlicher Unschuld im Gesicht, kehrt aus dem Krieg im fernen Afghanistan nach Hause zurück.
Alles scheint normal, die Eltern sind besorgt, der Sohn offensichtlich vom Kampfeinsatz noch tief verwirrt. Alles könnte möglich sein, ein Kriegstrauma, ein Kindheitstrauma, eine zerrissene Familie, mit unterschiedlichen emotionalen Ansprüchen, die nicht erfüllt werden können.
Das Unheimliche entsteht dann, wenn sich Vertrautes in Verstörendes verwandelt. Der scheinbare Konflikt, die Gefühle zwischen den Eltern und dem Sohn werden obsolet, das Unheimliche liegt in der Wiederholung des Rituals.
Drei Mal holt das Paar einen jungen Mann in Uniform vom Bahnhof ab und bringt ihn in ihr Einfamilienhaus. Dreimal verbringen die vermeintlichen Kriegsheimkehrer eine Nacht im „Elternhaus“ und sind am nächsten Tag verschwunden. Offen bleibt, ob das Paar wirklich einen tragischen Verlust erlitten hat, oder ob das morbide Spiel mit den Ersatzsöhnen nur die eigene Ehe beleben soll.
Der Film wurde 2015 in Berlin und Marokko gedreht. Eine erste, 41-minütige Version entstand bereits 2012 im Auftrag der documenta. Auch hier ist ein Paar zu sehen, das seinen Sohn vom Bahnhof abholt. Zuhause entwickelt sich das familiäre Beisammensein zum spannungsreichen Kammerspiel, das der Regisseur Omer Fast für die Kinoversion um wichtige Außenaufnahmen erweitert hat. Die abendfüllende Fassung kann ihre Herkunft als Kunstinstallation nicht verleugnen. Sie gibt dem Zuschauer keine Gelegenheit, sich in vertrauten Darstellungsmustern bequem zu machen.
„Continuity“ besitzt keine lineare Erzählstruktur. Obwohl sie sich dem orientierenden Plot eines Genrefilms ebenso verweigert wie dem psychologischen Realismus eines Fernsehspiels, ist der Film spannend und suggestiv. Die Inszenierung erzeugt Bilder und widersprüchliche Gefühle, die haftenbleiben, etwa wenn die Eltern und alle Söhne zusammen in einer Sandgrube zu sehen sind, die sich weder in Deutschland noch an einem staubigen Kriegsschauplatz befindet, ein Limbus zwischen Tod und Leben.
Der Videokünstler und Regisseur Omer Fast arbeitet sich in „Continuity“ weiter am Thema der Zeit, des Vergehens und Wiederfindens ab. Dazu wählt er eine kreisförmige Struktur, in der Anfang und Ende ineinander übergehen. Im Zentrum geht es um Symptome von Verlust und Trauma. Der Film verzichtet darauf, den Ursprung dieses Traumas zu entfalten; offen bleibt, ob etwa das Paar wirklich einen Sohn verloren hat, oder ob es andere Ursachen für ihr sonderbares Verhalten gibt. Es geht Omar Fast vielmehr um die veränderte Wahrnehmung von Raum und Zeit, die Verlusterfahrungen mit sich bringen. Die Betroffenen erleben Gegenwart und Vergangenheit gleichzeitig, die Ereignisse entwickeln sich nicht mehr linear, man fühlt sich in der Wirklichkeit „unheimlich“, nicht mehr heimisch. Es gelingt „Continuity“, diese Desorientierung und Verwirrung auf den Zuschauer zu übertragen.
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