Als hoffnungsloser Fall wird der 13-jährige Ernst Lossa von Heim zu Heim weitergereicht, bis der als schwererziehbar geltende und als „Zigeuner“ verunglimpfte Junge 1942 in eine „Heil- und Pflegeanstalt“ verlegt wird. Dort ist dem ersten Anschein nach die Stimmung durchaus freundlich. Und offensichtlich geht es auch mit rechten Dingen zu. Der Anstaltsdirektor ist seinen Schützlingen zugetan, er untersucht sie sorgfältig und setzt sich für eine gute Pflege ein. Die persönliche Habe wird gewissenhaft registriert und verwahrt. Doch schon wenig später entdeckt der junge Jenische den Januskopf des Leiters: Unter seiner Aufsicht werden in der Anstalt Schwerstkranke selektiert und ermordet.
Regisseur Kai Wessel und der Drehbuchautor Holger Karsten Schmidt stützen sich in ihrem Film auf die gleichnamige Romanbiografie von Robert Domes. Der Journalist hat das erschütternde Schicksal des Sprösslings einer fahrenden Händlerfamilie recherchiert und mit „Szenen, Dialogen, Handlungen und Gefühlen“ bildreich ausgesponnen.
Abweichungen vom Roman
Der Film dagegen will nicht im gleichen Maß „die Person Ernst Lossa mit Leben erfüllen“. Er spart vielmehr dessen Lebensgeschichte aus, erzählt nichts von seiner Herkunft, der Prägung durch die Eltern und den Erlebnissen in den Erziehungsheimen. Die Hauptfigur gewinnt dadurch stilisiertere Züge und wirkt so auch hinsichtlich ihrer Leidenserfahrungen durch eine „schwarze Pädagogik“ etwas eindimensionaler als in der literarischen Vorlage. Die starke Präsenz des Hauptdarstellers Ivo Pietzcker wiegt den Verlust an Facettenreichtum jedoch wieder auf.
Der Film reduziert auch das Personal der Romanvorlage auf wenige zentrale Figuren. Er konzentriert die Handlung auf den letzten Aufenthaltsort des Jungen, bei dem es sich um die Anstalt Kaufbeuren/Irsee handelt. Die geschilderten Vorgänge machen beispielhaft die konkreten Umstände der NS-Euthanasie deutlich. Anfangs erfasst der Anstaltsleiter bei der zentral gesteuerten „Aktion T4“ die Patienten und wählte diejenigen aus, die durch Gas in eigens dafür bestimmten Tötungsanstalten ermordet wurden. Nach dem Stopp der „Aktion“ aufgrund von Protesten der Bevölkerung und des Münsteraner Bischofs Clemens August Graf von Galen setzt er eifriger Erfüllungsgehilfe der NS-Ideologie die Euthanasie in eigener Regie fort. So denkt er sich Methoden aus, wie die Patienten durch Medikamente oder eine so genannte „Hungerkost“ umgebracht werden können und stellt seine „Erfindung“ voller Stolz in einer Konferenz anderen Anstaltsleitern vor.
Der Degradierung von Behinderten, „Zigeunern“ und „Asozialen“ zu „Nicht-Menschen ohne Lebenswert“ setzt der Film die Humanität der Opfer entgegen. Ernst Lossa und sein behinderter Mitpatient Oja können sich manche Glücksmomente erkämpfen. Mit dem Mädchen Nandl knüpft Ernst Lossa erste zarte Bande und träumt von ihrer gemeinsamen Zukunft in Amerika. Mit Hilfe der Ordensschwester Sophia, die bei ihrem Bischof allerdings keine Unterstützung für eine größer angelegte kirchliche Protestaktion findet, trotzt er dem inhumanen Handeln.
Dabei betonen schnell gesetzte Wendepunkte in der Geschichte, wie beide immer wieder durch das kalte Vorgehen der Täter oder den Folgen der aggressiven Politik Hitlers scheitern. Kaum hat Lossa im Speisesaal einen Aufstand gegen die schlechte Ernährung angezettelt, heult die Sirene wegen eines Fliegerangriffs los. Die verängstigten Insassen werden evakuiert, die kleine Rebellion verpufft, während die Bomben Sophia töten, die sich mit einem vor der Euthanasie geretteten Kind im Keller versteckte.
Die Debatte um Sterbehilfe
Im Unterschied zum Roman, wo der Junge nur bruchstückhaft, durch eigene Beobachtungen oder durch Gehörtes von den Verbrechen erfährt, ist er im Film über alles informiert und klagt den Anstaltsleiter offen als Mörder an. Die erfundene Figur der Freundin Nandl setzt am Ende sogar einen Hoffnungsakzent: Obwohl der Junge tot ist, verkündet sie den andern Insassen, dass er in Amerika sei. Wessel unterstreicht sein Anliegen durch eine vorzügliche Licht- und Farbregie. Chiaroscuro-Effekte oder neusachlich-kühle Bildkompositionen setzen die unterschiedlichen Seiten der Anstalt dramatisch ins Bild.
„Nebel im August“ vermittelt eindrucksvoll, auf welch schiefe Ebene die Sterbehilfe-Debatte geraten kann, wenn sich das Leben nach Kriterien der Nützlichkeit für einen Finanzhaushalt oder das soziale Leben bemisst. Der Film macht deutlich, wie sich die Gruppe der Opfer jederzeit ausweiten kann, aber auch, welche unterschiedlichen, mitunter befremdlichen Vorstellungen Menschen vom Mitleid haben. Während die Nonne einen Schwerstbehinderten aus Barmherzigkeit heraus versorgt, ihm in seinem Leiden beisteht, will ihn eine Krankenschwester von seinem Leiden „erlösen“, was nichts anderes als „skrupellos töten“ meint. Weil nur Schönes ein Existenzrecht habe, wie sie selbst, die mit Licht und Schatten modellierte Schöne. Schließlich führt die Gestalt des Anstaltsleiters geradezu schmerzhaft vor Augen, wie unheimlich es ist, wenn ein Arzt nicht nur heilen, sondern auch töten soll, wenn er seinen Schützling, den er eben noch mit einem Spielzeug versorgt hat, anschließend auf die Todesliste setzt. Davor hat schon der Arzt Christoph Wilhelm Hufeland gewarnt: Dann wird der Arzt zum „gefährlichsten Menschen im Staate“.