Es macht sich immer gut, einen Horrorfilm mit einer Warnung einzuleiten. Schließlich ist diese auch ein Versprechen, gleich in ein Grenzgebiet des Erträglichen vorzudringen. Akiz stellt seinem Film gleich zwei Texttafeln voran, die sich aber nicht auf schockierende Inhalte beziehen, sondern auf die Filmform: Erst wird vor Stroboskopeffekten gewarnt, dann vor isochromatischen und binauralen Tönen – und schließlich ebenso selbstironisch wie selbstverliebt gefordert, der Film solle dennoch laut gespielt werden. Was danach beginnt, ist eine wilde Reise in die Berliner Club-Kultur, zu wummernden nächtlichen Techno-Partys in Schwimmbädern oder dunklen Fabrikhallen, all dies in einer Lautstärke, die – sollte der Kinobetreiber dem Wunsch der Filmemacher entsprochen haben und die Tonanlage die technischen Anforderungen erfüllen – tatsächlich ein neues, geradezu physisches Filmerlebnis eröffnet.
„Der Nachtmahr“, dieser kleine Experimental-Coming-of-Age-Horrorfilm, setzt auf Überwältigung der Sinne. In manchen Szenen kann man ihn in allen Poren spüren, er spricht Augen und Ohren ebenso an wie den Bauch. Ungefähr so, wie es David Lynch durch den Einsatz extremer Sub-Bass-Töne in „Lost Highway“
(fd 32 459) vorgemacht hat. Selbstzweck aber ist der so aufdringlich betonte Effekt nicht, vielmehr elementarer Bestandteil der Erzählung, indem er die Euphorie und den angespannten Bewusstseinszustand der 17-jährigen Tina unmittelbar spürbar macht und so gewissermaßen für den Grundbeat des Films sorgt.
Mehr durch die Nacht und dunkle Clubs als durch den Tag driftet Tina mit ihren Freundinnen. Sie steht auf den DJ Adam mit den lila gefärbten Haaren, treibende elektronische Musik ist der Soundtrack ihres Lebens. Am Rand einer Party packt sie plötzlich die nackte Panik. Sie entdeckt ein Wesen, das ihr von nun an nicht mehr von der Seite weicht. Ob im Gebüsch, vor dem Kühlschrank im Einfamilienhaus ihrer Eltern oder in ihrem Zimmer: Die buckelige kleine Kreatur mit der grauen Haut und den schlitzförmig geöffneten Augen und deren gutturale Laute verfolgen Tina auf Schritt und Tritt. Weil niemand sonst das Wesen sehen oder hören kann, ist die Diagnose bald klar: Tina hat, so formulieren ihre Eltern es vorsichtig, ein paar Probleme. Drogen? Überforderung in der Schule? Magersucht? Die Eltern schicken sie in Psychotherapie, die besten Freundinnen distanzieren sich.
Nach gängigen Genremustern wäre nun klar gesetzt, was passieren muss: Die unverstandene Heldin überzeugt andere von der Existenz der Kreatur, stellt sich dem Biest und bringt es im effektreichen Finale zur Strecke. Nicht so hier: „Der Nachtmahr“ schlägt eine ganz eigene Wendung, sobald sich Tina – ausgerechnet – den Rat ihres Therapeuten zu Herzen nimmt. Anstatt die Kreatur zu bekämpfen, die mit ihr geradezu symbiotisch verbunden zu sein scheint und deren Verletzungen sich direkt auf Tina übertragen, nimmt sie Kontakt auf.
Mit den Mitteln des Horrorfilms wandelt sich der Film nach und nach zu einem metaphorisch aufgeladenen Psychogramm der jugendlichen Protagonistin. Tinas Ängste erhalten ein konkretes Erscheinungsbild, mit dem sie interagieren kann. Und doch tut Akiz gut daran, offen zu lassen, welche inneren Kämpfe Tina auszutragen hat. Dass es ihm gelingt, die bizarre Fantasie Schritt für Schritt weiterzutreiben und dabei weder den roten Faden zu verlieren noch unglaubwürdig zu wirken, mag daran liegen, dass er auf persönliche Erfahrungen mit epileptischen Anfällen und Visionen sowie der folgenden Ausgrenzung zurückgreift. Genau diese Verschiebung der Perspektive ist es, die „Der Nachtmahr“ so außergewöhnlich macht: Nicht die Kreatur an sich ist das Furchterregende, sondern die Reaktion der Umwelt.
Akiz verknüpft in seinem faszinierenden, mit geringem Budget produzierten Spielfilmdebüt Einflüsse seiner Arbeit als Künstler (die Gestalt des Nachtmahrs war zunächst eine Skulptur und ist mit wenigen Ausnahmen auch im Film eine Puppe) mit Pop- und Techno-Kultur. Sogar ein Hauch von „E.T.“
(fd 23 743) weht durch den Film, der sich bereits durch zwei nahezu versteckte, kleine Figuren auf Tinas Schreibtisch subtil angekündigt hat. Fliegende Fahrräder gibt es nicht, dafür ist „Der Nachtmahr“, der trotz seiner düsteren Grundhaltung und all dem Getöse auch ein wenig zärtlich ist, viel zu geerdet. Das fremde Wesen will nicht abreisen. Es ist gekommen, um zu bleiben. Und Tina erfährt, wie befreiend es sein kann, wenn man das zunächst gefürchtete Unbekannte nicht nur als Teil seiner selbst akzeptiert, sondern ihm auch einmal das Steuer überlässt.