Zeichentrickklassiker neu zu verfilmen ist bei Disney gerade en vogue. Nach der „Dornröschen“-Neuinterpretation „Maleficent“
(fd 42 404) und „Cinderella“
(fd 42 942) hat man sich nun das „Dschungelbuch“
(fd 15 898) vorgenommen, Wolfgang Reithermans Zeichentrickfilm aus dem Jahr 1967, der durch seine heiter-beschwingten Musicalnummern und seine ikonischen Figuren wie keine zweite Adaption der Vorlage von Rudyard Kipling Leben eingehaucht und das kulturelle Gedächtnis von Kindern mehrerer Generationen geprägt hat.
Wie schon bei „Maleficent“ entschloss man sich auch bei „The Jungle Book“ für einen deutlich ernsthafteren Tonfall. So hat sich der heimelig grüne Abenteuerspielplatz der Zeichentrickvorlage in ein dunkles, nicht selten ziemlich bedrohliches Dickicht verwandelt, und die Beschaulichkeit ist Actionelementen gewichen. Schon in der ersten Szene heftet sich die scheinbar schwerelose Kamera wortwörtlich an die Fersen des Menschenjungen Mogli, der seit seiner Geburt bei einem Wolfsrudel lebt. Sie folgt ihm über Äste und Abgründe und führt so auch das Publikum immer tiefer in den indischen Dschungel hinein. Bis sich alles als recht harmloser Wettlauf entpuppt, zwischen Mogli und seinem Mentor, dem weisen schwarzen Panther Baghira. An Idylle ist trotzdem nicht zu denken. Denn der Tiger Shir Khan, der mit den Menschen schlechte Erfahrungen gemacht hat, hält Mogli für eine Gefahr. Der Junge soll deshalb die Tiergemeinschaft verlassen. Und weil dem Tiger nicht zu trauen ist, macht Mogli sich tatsächlich bald alleine auf den Weg – um nur wenig später in dem behäbigen Bären Balu, einem trickreichen Faulpelz, einen neuen Freund zu finden.
Abgesehen vom einzigen menschlichen Darsteller ist auch das neue „Jungle Book“ ein Animationsfilm; nur eben einer, der aufgrund seiner fotorealistischen Qualitäten so echt daherkommt, dass eine Unterscheidung zwischen realer und digitaler Wirklichkeit mit bloßem Auge kaum noch zu treffen ist. Selbstbewusst nennt der Abspann den Drehort: Shot in Downtown L.A. Was die tricktechnische Umsetzung angeht, so ist dieser Abenteuerfilm schlicht fulminant. Dies setzt sich im Einsatz der 3D-Technik fort, die hier kein zusätzliches Gimmick ist, sondern neue Räume eröffnet und so zu einem immanenten und dramaturgisch gerechtfertigten Bestandteil des Films wird. Und sie findet einen weiteren Höhepunkt in der Darstellung der unterschiedlichen Tierarten, deren Körper und deren anmutende fließende Bewegungen so real wie nur möglich erscheinen.
Ein fantastisches Sprecherensemble leiht den Tieren in der englischen Originalfassung seine Stimme: Ben Kingsley spricht den bedächtig-klugen Lehrer Baghira, Bill Murray den Lebebären Balu, Scarlett Johansson macht aus Kaa eine wahrhaft verführerische Schlange und Christopher Walken aus dem Riesenaffen King Louie einen stattlichen Gangster. So gewaltig, prägnant und ausdrucksstark sind diese Stimmen, die in enger Verbindung mit der Körpersprache und dem Aussehen der Tiere stehen, dass es der Newcomer Neel Sethi als Mogli denkbar schwer hat. Ohnehin verlangt das Drehbuch von Mogli vor allem körperliche Präsenz und viel Akrobatik, während es seine Entwicklung und die Moral der Geschichte eher mit dem Holzhammer präsentiert.
Das größte Problem besteht allerdings darin, dass die recht simpel gestrickte Handlung keinen rechten Fluss entwickelt und wie schon der Zeichentrickfilm eher wie eine Nummernrevue wirkt. Besonders seltsam ist dies, wenn „The Jungle Book“ sich vor dem Original verneigt und der mythische Riesenaffe King Louie, der hier nicht nur bedrohlich aussieht, sondern es auch wirklich ist, dennoch überraschend sein „I wanna be like you“ anstimmt. Das betont düstere Setting und das luftige Swing-Lied wollen einfach nicht zueinander passen.
Unter der Regie von Jon Favreau ist so ein Actionspektakel für (ältere) Kinder entstanden, das nebenbei zwar auch den Wert des Zusammenhalts feiert und über die Suche nach dem Platz inmitten einer Gemeinschaft erzählt, letztlich aber kaum mehr als eindrucksvolles Effektkino ist. Das hat seinen Reiz und fesselt zweifellos. Doch wenn Mogli von Szene zu Szene hetzt, dann möchte man ihm bisweilen doch zurufen: Probier’s mal mit Gemütlichkeit!