Darf man an Gott zweifeln? Darf man das Bild des gütigen Allmächtigen hinterfragen? Oder ist es nicht gerade umgekehrt, und solches Fragen in der globalisierungs- und migrations-wirren Gegenwart, in der unterschiedliche Kulturen und Religionen permanent aufeinandertreffen, eigentlich unabdingbar? Auch und gerade im Blick auf kommende Generationen, denen auch die Protagonistin von Jaco Van Dormaels großartig grob-satirischem und letztlich doch so köstlich fein gefühltem Film angehört?
Ea ist zehn Jahre alt und wird wohltuend keck von der belgischen Newcomerin Pili Groyne gespielt. Sie lebt mit ihren Eltern in Brüssel und hat einen älteren Bruder, JC (für Jesus Christus), der große Wunder zu vollbringen versteht. Er hat die Familie schon vor langer Zeit verlassen und geistert über die Erde. In ihrem Zimmer hat Ea seine JC-Statue stehen, die in Notfällen zum Leben erwacht und ihr mit weisem Rat zur Seite steht. Das ist in „Das brandneue Testament“ öfters der Fall. Denn jener Gott, den van Dormael und sein Drehbuchautor Thomas Gunzig geschaffen haben, ist ein Misanthrop und auch sonst ein höchst unsympathischer Kerl. Er hat in einem schöpferischen Eklat zwar Tag und Nacht, Sonne, Mond, Erde, Brüssel, die Natur, Pflanzen, Tiere und schließlich auch die Menschen geschaffen. Doch heute hockt er in seinem verwaschenen Bademantel frustriert zu Hause, schikaniert Tochter und Gattin und verbietet den beiden sogar, die Wohnung zu verlassen. Das Einzige, was ihm Freude bereitet, ist, in seinem Büro sadistische Gesetze – etwa Murphy’s Law – auszutüfteln und unmögliche Gebote zu erlassen, die den Menschen das Leben vergällen.
Ea hat von diesem Papa gehörig die Schnauze voll. Als sie eines Tages in seinem ansonsten verschlossenen Büro die Bilder der von ihm arrangierten Kriege und Katastrophen entdeckt, beschließt sie, seinem fiesen Treiben ins Handwerk zu spucken. Sie hackt in einer unbeobachteten Minute seinen Computer, verrät den Menschen per SMS ihr persönliches Sterbedatum und setzt sich dann durch einen in die Waschmaschine eingebauten Geheimgang von zu Hause ab.
Das ist ganz schön dreist, und der von Benoît Poelvoorde lustvoll nonchalant gespielte Allmächtige macht sich auch sogleich auf den Weg, seine Tochter zu suchen und zur Räson zu bringen. Doch Ea ist ihm immer eine Nase voraus und tut auf Erden, was ihre sanftmütige Mama (Yolande Moreau) sich in ihren Träumen sehnlichst wünscht und JC ihr zu tun heißt: Sie sammelt sechs weitere Apostel, damit das Leonardo’sche Abendmahl-Bild künftig statt einem Fussball- eher einem Baseballteam ähnelt. Zu den neuen Jüngern gehören eine von Catherine Deneuve gespielte einsame Frau, ein todkranker Junge und eine bildhübsche Frau mit einem künstlichen Arm. Hinzu kommen ein Mörder, ein Sexsüchtiger sowie ein Clochard, der zwar kaum lesen und schreiben kann, aber Ea hilft, das „brandneue“ Testament niederzuschreiben.
Wie alle Jaco-Van-Dormael-Filme (erinnert sei etwa an „Am achten Tag“, fd 32 282, und „Toto der Held“, fd 29 209) steckt auch „Das brandneue Tesamtent“ voller aberwitziger Ideen und grotesker inszenatorischer Einfälle. Hinter seinem schwarzen Humor verbirgt sich eine großzügige Menschlichkeit – sowie eine kindliche Sehnsucht nach einer besseren Welt. Auch wenn die Satire mitunter ins Übertriebene gleitet und man dem zweiten Teil des Films eine bemühende Episodenhaftigkeit vorhalten kann, so streift die Inszenierung doch eine Reihe gern tabuisierter Themen wie Armut, Krankheit, Gewalt-, Sex- und Suchtverhalten. Nicht zuletzt aber fragt Van Dormael nach der Rolle, die der Frau in der Bibel und der heutigen Gesellschaft zukommt. Auch wenn es unglaublich kitschig ist, wie der Himmel im Finale von der Hand einer neuen Göttin re-designt wird und regenbogenbunt erstrahlt, so ist dies doch auch ein Statement für mehr Frauen-Power. Und solches tut und täte der Welt ganz einfach gut.