Was soll aus dem Mädchen bloß werden? Die elfjährige Stacey rülpst, flucht, spuckt aus – und ist Waise. Gerade mal sechs Wochen ist es her, dass sie ihre Mutter tot auf dem Küchenboden gefunden hat. Der Vater starb schon vor Jahren. Staceys Lebensweg scheint vorgezeichnet: von einer Pflegefamilie zur nächsten. Doch dann steht ihr Onkel Will vor der Tür, auch er ein Fremder, aber immerhin der Bruder ihrer Mutter. Blut ist dicker als Wasser, hat sich die Fürsorge wohl gedacht. Jetzt soll sich der Mann um seine Nichte kümmern und wurde dafür sogar frühzeitig aus dem Gefängnis entlassen. Warum er einsaß, das will er nicht verraten. Da kann Stacey noch so sehr bohren und ihn mit schnoddrigen Bemerkungen provozieren.
Ausgerechnet Will mit seiner kriminellen Vergangenheit soll Stacey nun ein Vater, gar ein Vorbild sein? Aber das Mädchen hat keine Wahl. In einem klapprigen Wagen geht es von Dublin ins Nirgendwo der irischen Midlands. Ein alter Wohnwagen in einem Trailer-Park soll ein neues Zuhause werden. Ein Ort wie ein Wartesaal, in dem die Menschen auf ein besseres Leben hoffen.
Das ungleiche Gespann hat also nicht die besten Voraussetzungen für ein harmonisches Miteinander. Aber man kennt die Konstellation „Erwachsener Mann und vorlaute Göre“ ja bereits aus „Paper Moon“ (1973;
(fd 18 623)) von Peter Bogdanovich oder aus Wim Wenders’ „Alice in den Städten“ (1974;
(fd 18 848)). Der ungeschönte, dabei stets empathische Blick auf den Alltag von Menschen, die sich am gesellschaftlichen Rand behaupten müssen, erinnert dagegen an den der Dardenne-Brüder. Dennoch findet Regisseur und Drehbuchautor Mark Noonan in seinem Debütfilm eine eigene Sprache. Neben den geschliffenen Dialogen zählen für ihn vor allem die kleinen Gesten – hier ein scheues Lächeln, dort ein verständnisvoller Blick. Nichts wird auserzählt. Stattdessen kann der Zuschauer die Figuren selbst erkunden. Leise zeichnet Noonan die Annäherung zweier Menschen nach, die sich fremd sind, und setzt darauf, dass sich sein Publikum auf den ruhigen Erzählfluss und die fragmentarischen Alltagsbeobachtungen einlässt. Und so entsteht zwischen Job-Suche und Skateboarden, zwischen dem Ausloten von Nähe und Distanz langsam mehr, so etwas wie Vertrauen oder gar Bindung.
Dabei versuchen Stacey und Will nie, zu viel von sich und ihren Verwundungen in der Vergangenheit preiszugeben. Man fragt sich schon, wohin die Elfjährige ihre Trauer packt. Vielleicht leidet sie deshalb an einer zwar dramaturgisch wichtigen, aber trotzdem etwas konstruiert erscheinenden Narkolepsie. Ist die Krankheit ihr Weg, den Verlust der Mutter zu verarbeiten? Das Mädchen wirkt mit seinem Understatement sowieso erwachsener als Will, der sich manchmal zu Albernheiten hinreißen lässt und schwer an der neuen Verantwortung zu tragen hat. Wenn ihm alles zu viel wird – die Sorge um seine Nichte, die Auflagen des Bewährungshelfers, die eigene Perspektivlosigkeit und sein dunkles Geheimnis, hinter das Stacey schließlich kommen und die Beziehung auf die Probe stellen wird –, dann greift er zur Flasche und schmeißt ein paar Pillen ein, die der Arzt eigentlich dem Kind verschrieben hat.
Dass es Stacey und Will nicht einfach haben, verschweigt der Film keine Minute. Das Sonnenlicht scheint im tristen Trailer-Park nie anzukommen, die Wärme entsteht durch den Zusammenhalt der Menschen. Und fast ist für Will und Stacey so etwas wie Familie möglich, als sie die junge Lehrerin Emilie kennenlernen, die aber verheiratet ist und ein Kind hat. Der durchweg lakonische Humor rettet den Film (und die Figuren) stets davor, nur noch schweres Drama zu sein – auch wenn Stacey und Will nach einer Verstrickung ungünstiger Ereignisse schließlich Opfer eines Systems werden, in dem Menschen wie sie nicht die besten Chancen haben. Wie es mit beiden weitergehen wird, lässt der Film offen. Aber vielleicht sind die Familienbande zwischen ihnen doch so stark geworden, dass sie einander in Zukunft Halt geben können. Und diese Aussicht hat durchaus etwas Hoffnungsvolles.